Jordan Bardella, Spitzenkandidat des rechtsextremen Rassemblement national in Frankreich bei der Europawahl, hat eine Idee

Bardellas Austausch – KI statt Ausländer

Der 28jährige Jordan Bardella ist Spitzenkandidat der rechtsex­tremen französischen Partei Rassemblement national bei der Wahl zum Europaparlament im Juni. In Umfragen liegt der RN bei bis zu 32 Prozent der Stimmen.

Paris. Technische Innovation und politische Regression – diese Kombination ist bei der extremen Rechten nicht neu. Bereits der italienische Faschismus versprach in den zwanziger Jahren unter Mussolini beides: den Marsch in die technische Zukunft und den in die römisch-imperiale Vergangenheit.

Heutzutage nimmt dieses simultane Streben nach technischer Utopie und gesellschaftlicher Dystopie beispielsweise in den Vorstellungen eines Jordan Bardella Gestalt an. Der 28jährige ist Parteivorsitzender des neofaschistischen französischen Rassemblement national (RN, Nationale Sammlung), Spitzenkandidat der Partei bei der Europaparlamentswahl am 9. Juni. Dem RN werden derzeit bis zu 32 Prozent der Stimmen prognostiziert – hinzu kommen noch knapp über fünf Prozent für die konkurrierende rechtsextreme Partei Reconquête (Rückeroberung) von Marion Maréchal und Éric Zemmour, die also ebenfalls die bei Europawahlen in Frankreich geltende Fünfprozenthürde überwinden könnte.

Die Vorsitzende der Parlamentsfraktion des RN in der Nationalversammlung, Marine Le Pen, hatte noch Vorbehalte gegen den Gebrauch des Begriffs »Großer Austausch«.

Bardella inszeniert sich unter anderem als eifriger Befürworter der Nutzung sogenannter Künstlicher Intelligenz (KI), die immer mehr bisher menschliche Tätigkeiten übernehmen soll. Auch im derzeitigen Wahlkampf lässt er dies durchblicken. Im Juni 2023 hatte er im Namen der Fraktion »Identität und Demokratie« im Europaparlament, dem er seit 2019 angehört, eine eigene Veranstaltung dazu in einem Pariser Veranstaltungssaal organisiert, dem der Maison de la Chimie. Dort verwarf er die »finsteren Prophezeiungen«, die Technikfeinde oder andere Skeptiker mit dem Vordringen von KI verbänden, und verkündete, bald stehe »der andere große Austausch« bevor.

Damit nahm Bardella Bezug auf den Slogan vom grand remplacement – nach einer Wortschöpfung des französischen elitären, rassistischen und im April 2000 wegen antisemitischer Buchpassagen verurteilten Schriftstellers Renaud Camus. So bezeichnen die offenherzigeren französischen Rechtsex­tremen die angeblich von den »Eliten« geplante Ersetzung einheimischer Bevölkerungsgruppen durch »einen globalen Mischmasch«. Die Vorsitzende der Parlamentsfraktion des RN in der Nationalversammlung, Marine Le Pen, hatte allerdings Vorbehalte gegen den Gebrauch dieses Begriffs.

Nur 21 Parlamentsanträge in fünf Jahren

Ihr Nachfolger im Parteivorsitz, Bardella, ist da weniger vorsichtig. In seinen Augen ist dieser remplacement eine Horrorverstellung. Der andere dagegen, also der Austausch von Menschen durch programmierte Maschinen bei zahlreichen Arbeitsschritten, gilt ihm als Versprechen. Dabei beruft er sich unter anderem auf den Mediziner und »Zukunftsforscher« Laurent Alexandre, der sich für die technische Verbesserung des Menschen – die er auch als Transhumanismus bezeichnet – inklusive Genmanipulationen begeistert.

Ideen hat Bardella also mitunter. Das Europäische Parlament ließ er davon allerdings bislang nur in geringem Ausmaß profitieren; in seinen knapp fünf Jahren als dessen Abgeordneter brachte er dort nur insgesamt 21 Anträge ein, also im Durchschnitt einen pro Vierteljahr. Die politischen Unterstützer von Präsident Emmanuel Macron und seiner wirtschaftsliberalen Partei Renaissance sowie ihrer Verbündeten – Modem, Horizons, UDI – warfen ihm deswegen im Wahlkampf Faulheit und Inkompetenz vor. Die sozialistische französische Europaparlamentarierin Aurore Lalucq lästerte am Montag öffentlich: »Vom Europaparlament weiß Bardella, wo sich die Kantine und der Krafttrainingsraum befinden.« Auch seinen Fraktionskollegen, so Lalucq weiter, falle dort nichts anderes ein, als Reden zum Thema Immigration, also gegen Einwanderer, zu halten.

RN-Politikern solche Vorwürfe zu machen, fruchtet nur nicht. Bardellas Wählerschaft kommt es nicht darauf an, programmatische Vorstellungen ins EU-Parlament einzubringen, von dem sie sich in ihrer großen Mehrheit ohnehin wenig erwartet. Entsprechend führt der RN auch einen weitgehend auf die französische Innenpolitik zugeschnittenen Europaparlamentswahlkampf. Bei einer Großveranstaltung am 1. Mai mit Bardella und Marine Le Pen im RN-regierten südfranzösischen Perpignan ging es in den Reden fast ausschließlich um die 2027 anstehende nächste französische Präsidentschaftswahl und die dann nicht unwahrscheinlich wirkende Per­spektive einer Machtübernahme oder -beteiligung des RN.

Die sogenannte EU-Freizügigkeitsregelung soll nach den Vorstellungen der beiden rechtsextremen Spitzenkandidaten Bardella und Maréchal in ihrer jetzigen Form schnellstmöglich verschwinden.

In der Anfangsphase des Wahlkampfs, im Januar und Februar, hatte die Partei allerdings doch einen Vorschlag zur Europapolitik unterbreitet, der sich an den drei Farben einer Verkehrsampel orientierte. Rot stand dabei für das, was man an europäischer Integration zu beenden oder abzuschaffen habe, Gelb für das, was man für noch passabel hält, und Grün für die akzeptierten Themen transnationaler Zusammenarbeit.

Als grün gelten das Studierendenaustauschprogramm Erasmus und indus­trielle Projekte wie Airbus. Rot erscheint hingegen die sogenannte EU-Freizügigkeitsregelung. Diese soll nach den Vorstellungen der beiden rechtsextremen Spitzenkandidaten Bardella und Maréchal in ihrer jetzigen Form schnellstmöglich verschwinden.

Nach derzeitigem Rechtsstand genießen EU-Staatsangehörige ebenso wie mit einem Aufenthaltstitel in einem Mitgliedsland lebende Drittstaatsangehörige eine dreimonatige bedingungslose Freizügigkeit. Um sich über diesen Zeitraum hinaus niederzulassen, müssen EU-Bürger derzeit im Aufnahmeland arbeiten oder studieren; dasselbe gilt für EU-Bürger, die im Aufnahmeland ein Unternehmen führen. Drittstaatsangehörige können einen Antrag auf Umtausch ihres Aufenthaltstitels im neuen Aufnahmeland stellen und müssen dazu im Prinzip einen Arbeitsvertrag vorlegen oder ein Dauervisum etwa bei Familienzusammenführung beantragen. Bardella und Maréchal möchten dieser Personengruppe weder Freizügigkeit noch Niederlassung gewähren.