Entschädigung von Zwangsarbeitern

Einigkeit und Recht und Sicherheit

Die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft sorgt dafür, dass die Abschlusserklärung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern vorerst nicht zu Stande kommt.

Es muss schon etwas Bedeutendes passiert sein, wenn die deutsche Wirtschaft ein gesetztes Ziel nicht erfüllt. Noch erstaunlicher ist es, wenn die Verfehlung der Planvorgabe auch noch öffentlich eingestanden wird. Nein, die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft werde ihre fünf Milliarden Mark nicht rechtzeitig bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens im Juli zusammenbekommen, machte Manfred Gentz, Vorstandsmitglied bei DaimlerChrysler und Repräsentant der Initiative, am Wochenende unmissverständlich klar.

Genauso deutlich war die Konsequenz, die Gentz aus dem Scheitern zog: Anstatt sich dafür einzusetzen, die noch fehlenden zwei Milliarden Mark durch Maßnahmen gegen zahlungsunwillige Firmen endlich einzutreiben, soll das Bundesgesetz zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern trotzdem erstmal in Kraft treten. Dieser Forderung schloss sich umgehend auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Zwangsarbeiterentschädigung, Otto Graf Lambsdorff, an.

Woher die noch fehlenden Gelder kommen sollen, wissen weder Lambsdorff noch Gentz. Während der Bundesbeauftragte sich in immer neuen Appellen an die Wirtschaft versucht, weiß Gentz zumindest, von wem sie nicht kommen sollen: Die Gründerunternehmen der Stiftungsinitiative würden auf keinen Fall eine Garantie übernehmen.

Nun soll nach dem Willen der Stiftungsinitiative der Fehlbetrag für die Privatwirtschaft von Bundesunternehmen aufgebracht werden - obwohl diese nach einem bereits im Februar eingebrachten Gesetzesentwurf eigentlich in den Fünf-Milliarden-Fonds des Bundes einzahlen sollten. An diesem Modell hält Bundesfinanzminister Hans Eichel zwar fest, gleichzeitig weigert aber auch er sich, den Druck auf die Wirtschaft zu erhöhen.

Schließlich soll gegenüber den Verhandlungspartnern aus den USA und den Opferverbänden die Einigkeit der Deutschen demonstriert werden, bevor die ersten NS-Zwangsarbeiter mehr als 55 Jahre nach der deutschen Kapitulation das erste Geld sehen. Vor allem, wenn es darum geht, die Verantwortlichen für die fortgesetzte Verzögerung auszumachen. Alle Beteiligten in Deutschland betonen stereotyp, nichts falsch gemacht zu haben.

Schuld haben immer die anderen: die US-Regierung zum Beispiel. Keine »Diktate aus Amerika entgegennehmen« will etwa der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz. Und auch Volker Beck, der rechtspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, weiß, gegen wen die »Zwangsarbeiterverbände in Osteuropa« vorgehen sollten: »Um einen baldigen Abschluss zu erreichen«, müsse nun »der Druck auf die amerikanische Regierung« erhöht werden.

Denn nichts weniger als allumfassende Rechtssicherheit verlangen die Deutschen von ihren Gesprächspartnern aus den USA. Dass aus Washington bereits ein Statement of Interest zugesagt wurde - eine politische Erklärung von höchstem Rang, die deutsche Firmen bei Klagen von Zivilpersonen in den USA schützen soll -, reicht weder Lambsdorff noch der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft und ihrem Sprecher Wolfgang Gibowski aus.

Deshalb lassen sie sogar die ursprünglich für den 2. Juni geplante Unterzeichnung der Abschlusserklärung zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter durch US-Präsident Bill Clinton und Bundeskanzler Gerhard Schröder platzen. Der Süddeutschen Zeitung sagte Gibowski, man werde sich »nicht mit unzureichenden Antworten zufrieden geben, nur weil Clinton kommt«. In der Berliner Zeitung sekundierte Wiefelspütz, »die Frage der Rechtssicherheit ist eine Bringschuld der US-Seite«.

Der Eklat, die Unterzeichnung der Abschlusserklärung vermasselt zu haben, reicht Wiefelspütz noch nicht aus: Solange die US-Regierung bei der Rechtssicherheit keine Garantie abgebe, werde der Bundestag das Stiftungsgesetz nicht verabschieden, drohte der SPD-Politiker. Auch hier gilt: Nicht die fehlenden Gelder der deutschen Wirtschaft verzögern das Gesetzgebungsverfahren, sondern die US-Regierung. Dass die rund 800 000 anspruchsberechtigten ehemaligen Zwangsarbeiter in diesem Jahr keinen Pfennig erhalten werden, ist damit so gut wie sicher.

Als »erpresserisch« bezeichnet denn auch Kurt Goldstein, ehemaliger Zwangsarbeiter und Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Komitees, das Vorgehen der Deutschen gegenüber den USA. Goldstein hat Recht: Damit Deutschland bezahlt, so die unausgesprochene Konsequenz der gemeinsamen Forderung nach umfassender Rechtssicherheit, müsste die USA sowohl ihre Verfassung ändern als auch die Trennung von Legislative und Judikative aufheben.

Da man in Berlin weiß, dass dieser Schritt den USA wohl zu weit gehen würde, werden gleichzeitig die Appelle an deutsche Firmen erneuert: Fast alle Vorstandssprecher der großen Bankhäuser und Versicherungsunternehmen kündigten am letzten Wochenende an, durch vermehrte Aufforderungen an »Managerkollegen und Firmenchefs« das »Ansehen Deutschlands und der deutschen Wirtschaft in der Welt zu stärken« und als »Solidargemeinschaft zu überzeugen«.

Dass auf diese Weise die bereits vertraglich vereinbarten fünf Milliarden Mark der deutschen Wirtschaft wieder in einen Almosenfonds zurückverwandelt werden, darauf verweist in der aktuellen Ausgabe der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung das Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman: »Wie viel Druck ist eigentlich noch nötig, um eine Selbstverständlichkeit zu realisieren. Sollte der Fonds in den nächsten Wochen nicht aufgefüllt sein, wird es Konsequenzen geben müssen.«

Leider ist ein Teil der möglichen Konsequenzen in der vergangenen Woche von den USA als Druckmittel zurückgezogen worden: Nein, die Frage der Reparationszahlungen sei nicht mehr Teil der Verhandlungen um Entschädigungen und Rechtssicherheit, gab ein deutscher Diplomat gegenüber den Nachrichtenagenturen an. Vielleicht haben die USA gut daran getan, ihrerseits den Druck zu reduzieren.

Schließlich stoßen schon weniger weit reichende Vorschläge in Deutschland auf Ablehnung. So ist die am vorletzten Wochenende von der Jewish Claims Conference (JCC) angeregte Forderung, endlich die Namen der Firmen zu veröffentlichen, die noch nicht in den Entschädigungsfonds eingezahlt hätten, bisher überhaupt nicht aufgegriffen worden.

Im Gegenteil laufen in deutschen Medien schon seit Monaten Hetzkampagnen gegen die JCC. Den bisherigen Tiefpunkt bildete ein am 15. Mai ausgestrahlter Beitrag des ARD-Magazins »Report»: Unter dem Titel »Die große Abzocke. Wohin fließen die Entschädigungsgelder für Zwangsarbeiter?« wurde suggeriert, die Claims Conference und »einige Anwälte« - nicht aber die deutschen Firmen sowie der deutsche Staat als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches - seien die größten »Profiteure« der NS-Zwangsarbeit: »Vertragsentwürfe, die 'Report aus München' vorliegen, zeigen: Die Bandbreite der (Anwalts-)Honorare reicht von 15 über 20 bis zu 25 Prozent der zu erwartenden Entschädigungssumme.«

Die JCC kam noch schlechter weg. Nachdem sie zuerst wegen ihrer »Geschäfts- und Verteilungspraxis« in den Bereich des Dubiosen gesetzt wurde, verstieg sich »Report« schließlich sogar dazu, der Organisation Vernichtungsabsichten gegenüber Kritikern zu unterstellen: Gezeigt wurde ein faksimiliertes Schreiben, in dem das Wort »eliminieren« hervorgehoben ist. Das ist nur konsequent: Wenn schon das Profitieren, so muss auch das Eliminieren die Sache der anderen sein.