Parlamentsbericht über Folter in der Türkei

Macht der Wache

In der Türkei wird systematisch gefoltert. Das ist bekannt und wird auch von offiziellen Stellen eingeräumt. So hat letzte Woche die Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments eine detaillierte Dokumentation über Folter in Polizeiwachen und Gefängnissen vorgelegt. Bereits vor zwei Jahren hatte die Kommission einen Bericht veröffentlicht, dessen Ergebnis die Vorsitzende Sema Piskinsüt resümierte: »Es handelt es sich nicht um Einzelfälle. Folter wird systematisch angewandt.« Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Die jüngste Veröffentlichung ist also kein Zeichen dafür, dass nun grundlegende Reformen eingeleitet würden. Stellungnahmen wie diese sollen den Eindruck erwecken, die Türkei arbeite an der Überwindung der Hindernisse, die dem gewünschten EU-Beitritt im Weg stehen. So häufen sich in letzter Zeit Äußerungen von Politikern und Militärs, die demokratische Reformen anmahnen. Solche Statements schaden nicht und bessern das Image im Ausland.

Nicht ohne Erfolg, wie Coskun Üsterci von der Stiftung für Menschenrechte meint: »Seit einem halben Jahr gibt es sowohl in der Türkei als auch im Ausland einen merkwürdigen Optimismus. In der Praxis aber hat sich nichts geändert.« Die Maßnahmen der Ecevit-Regierung bestätigen diese Einschätzung. So konnte bislang nur nach Zustimmung eines Verwaltungsgerichts ein Strafverfahren gegen einen Beamten eingeleitet werden. Kürzlich wurde diese Befugnis auf die Administration übertragen. Wenn ein Folteropfer Anzeige erstattet, entscheidet eine übergeordnete Instanz darüber, ob ein Verfahren eröffnet wird - möglicherweise derselbe Offizier, der zuvor die Misshandlungen befohlen oder geduldet hat.

Nun will die politische Führung der EU beitreten und ist gewillt, einige oberflächliche Reformen durchzuführen. Die Todesstrafe wird man demnächst abschaffen und die eine oder andere Gesetzesänderung durchführen. Auch das Militär weiß sich nach gewonnenem Kurden-Krieg sicher und hat keine Einwände gegen eine Überholung der Fassade.

Aber: In Folge des Militärputsches von 1980 und des 15jährigen Krieges hat der Sicherheitsapparat ein Eigenleben entwickelt und steht weitgehend außerhalb der politischen Kontrolle. Die Sonderkommandos, die Anti-Terror-Polizei und die inoffiziellen Einheiten der Konterguerilla arbeiten auf eigene Rechnung und mischen im Drogengeschäft mit. Zudem gibt es enge Verbindungen zwischen der politischen Klasse und dem Polizeiapparat. Viele Kader der mitregierenden faschistischen MHP sind im Sicherheitsapparat tätig, in allen Parlamentsfraktionen sitzen ehemalige Polizisten, mit Sadettin Tantan ist einer von ihnen sogar Innenminister.

Die Mitglieder des Sicherheitsapparats haben sich daran gewöhnt, dass sie machen können, was sie wollen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. So skandierten Polizisten vor einigen Jahren auf einer Demonstration: »Nieder mit den Menschenrechten!« Gegen diese Macht ist kaum jemand geschützt. Zwar wird nicht jeder, der festgenommen wird, auch gefoltert, andererseits kann selbst ein Verkehrsdelikt mit Beleidigungen, Schlägen und sexuellen Übergriffen auf dem Polizeirevier enden. Am häufigsten trifft es kurdische Aktivisten und Linke, aber nicht immer ist die Folter zielgerichtet, sie geschieht oft aus purer Lust.

Die systematische Folter abzuschaffen, hieße einen Machtkampf mit dem Polizeiapparat einzugehen. Daran aber hat die politische Klasse kein Interesse. So wird man weiter foltern, ab und an Berichte veröffentlichen und diese als Fortschritt auf dem Weg der Demokratisierung vermarkten.