Neues französisches Ausländerwahlrecht

Reif für die Kabine

Die Pariser Nationalversammlung hat dem Entwurf für ein neues Ausländerwahlrecht zugestimmt.

An diesem Thema wollte sich lange Zeit niemand die Finger verbrennen: das Wahlrecht für die in Frankreich lebenden Nicht-EU-Staatsbürger. Im rassistischen Klima der achtziger und neunziger Jahre wagte es keine der französischen Linksparteien, mit einer solchen Forderung an die Öffentlichkeit zu treten. So kam es schon einer kleinen Kulturrevolution gleich, als Anfang Mai die französische Nationalversammlung mehrheitlich für eine Änderung des französischen Wahlrechts zu Gunsten der hier lebenden ImmigrantInnen stimmte.

Bei genauerer Betrachtung wird jedoch deutlich, warum der Gesetzesvorschlag der französischen Grünen bereits nach der ersten Lesung verabschiedet werden konnte: Nur unter erheblichen Einschränkungen soll den Nicht-EU-Staatsbürgern das Stimmrecht gewährt werden. Mit dem ursprünglichen Reform-Konzept der französischen Ökopartei hat die nun beschlossene Gesetzesänderung nur noch wenig zu tun. »Stecken Sie einen Gesetzentwurf der Grünen in die sozialistische Waschmaschine, und er kommt verwaschen und entfärbt wieder heraus«, kommentierte Le Monde.

Das Thema ImmigrantInnen-Wahlrecht wird in Frankreich verstärkt diskutiert, seit Anfang 1999 ein Bündnis aus 60 Bürgerinitiativen und antirassistischen Gruppen eine Kampagne dazu startete. Die entsprechende Petition wurde bisher von 20 000 BefürworterInnen unterschrieben. Im Herbst verloren allmählich auch die Parteien der regierenden Linkskoalition ihre Vorbehalte: Den Anfang machte die KP. Nach und nach folgten die Linksliberalen, die Grünen und auch die Sozialdemokraten, die schließlich entsprechende Reformentwürfe vorlegten. Ein solcher Schritt wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Das Standardargument der französischen Sozialisten lautete jahrzehntelang: Die Öffentlichkeit sei noch nicht reif für eine Reform des Ausländerwahlrechts.

Dabei gehörte das Wahlrecht für Immigranten seit 1972 zu den Wahlprogrammen der Sozialistischen und der Kommunistischen Parteien. 1981 war es sogar einer der »110 Punkte« im Wahlprogramm des damaligen Staatspräsidenten Fran ç ois Mitterrand. Und tatsächlich unternahm die Linksregierung unter Mitterrand ab 1981 eine Reihe von Reformen zu Gunsten der politischen Rechte der Immigranten: Durchgesetzt wurde das Recht auf legale Vereinsgründung, auf Teilnahme an Betriebsrats- und Personalvertretungswahlen sowie an den Wahlen von Arbeitsgerichten und Mieterparlamenten. Doch vor dem parlamentarischen Wahlrecht schreckte die damalige Linksregierung zurück. In den Folgejahren, als die extreme Rechte unter Jean-Marie Le Pen ihre Wahlerfolge feierte, verabschiedete sich die etablierte Linke vorläufig von dieser Idee.

Heute stehen die Chancen für ein Ausländerwahlrecht besser: Der Einfluss der Neofaschisten ist seit 1998 zurückgegangen; mit dem wirtschaftlichen Aufschwung hat die Zahl der Erwerbslosen abgenommen; schließlich haben die Tore schießenden Immigrantensöhne, wie bei der Fußball-WM 1998, zu einer größeren Akzeptanz geführt.

Die Gesetzentwürfe der vier Parteien aus der Koalition, die Ende letzten Jahres vorgelegt wurden, weisen jedoch große inhaltliche Unterschiede auf. Je weiter man sich der politischen Mitte nähert, desto restriktiver werden die Reformvorstellungen. Nach den Konzepten der Grünen und der KP sollen die seit mindestens fünf Jahren in Frankreich lebenden ausländischen StaatsbürgerInnen bei allen Wahlen unterhalb der nationalen Ebene mitstimmen: In den Kommunen ebenso wie in den Departements und den Regionen. Die Kommunisten wollen zudem das Wahlrecht mittelfristig auch auf die nationalen Parlamentswahlen ausdehnen.

Dagegen will die linksliberale Radikale Partei der Linken (PRG) den Immigranten nur ein sehr eingeschränktes Stimmrecht zugestehen: Wählen sollen nach den Vorstellungen der PRG nur diejenigen, die aus Staaten kommen, die ihrerseits Franzosen das Wahlrecht gewähren - was für die ehemaligen französischen Kolonien, die wichtigsten Herkunftsländer der Immigranten, nicht zutrifft. Der Großteil der potenziellen Neuwähler wäre damit von der Reform ausgeschlossen.

Schließlich waren jedoch die Grünen die einzige der vier Koalitionsparteien, die ihren Reformentwurf in der Nationalversammlung zur Abstimmung stellte. Zur Diskussion stand nur die reichlich eingedampfte Version des ursprünglichen Vorschlags: Statt bei allen Wahlen unterhalb der nationalen Ebene soll die Reform überhaupt nur auf kommunaler Ebene gelten. Und hier mit einer weiteren Einschränkung: Bei Rathauswahlen sollen Nicht-EU-Ausländer zwar das aktive und das passive Wahlrecht erhalten - doch damit können sie nur für die Posten der Stadträte kandidieren, das Amt des Bürgermeisters bleibt ihnen verschlossen. Dieses zusammengeschrumpfte Reformkonzept wurde in der Nationalversammlung mit den Stimmen fast aller anwesenden Abgeordneten angenommen.

Dennoch wird es wohl noch einige Zeit dauern, bis Immigranten in Frankreich ihr Kreuzchen machen können: Da die Reform eine Verfassungsänderung voraussetzt, muss der Gesetzentwurf auch den Senat passieren. Ob das von konservativen Kräften dominierte Oberhaus seine Zustimmung geben wird, ist fraglich. Und selbst wenn der Senat ein positives Votum abgibt, muss die Verfassungsänderung noch eine 60-Prozent-Mehrheit im Kongress finden oder per Volksabstimmung bestätigt werden.

Die nächsten Kommunalwahlen im März 2001 werden also ohne die neuen Wähler stattfinden. Und der Jospin-Regierung bleibt der Vorwurf erspart, mit der Reform das Wahlverfahren manipulieren zu wollen. Premierminister Lionel Jospin hat bereits zu erkennen gegeben, er persönlich halte sie für »logisch richtig«, werde aber das Thema bis zum Ende der Legislaturperiode nicht mehr auf die Tagesordnung bringen.

Die Grünen und die KP hingegen beharren darauf, dass die Reform bald in den Senat eingebracht wird, um die Senatoren unter Zugzwang zu setzen. Der Senat macht derweil seinem Ruf als konservativem Altherrenverein alle Ehre und weigert sich, eine Debatte über das Immigranten-Wahlrecht auf seine Tagesordnung zu setzen. Das parlamentarische Programm sei bis zum Sommer einfach zu überladen.