Stärkung der Hisbollah

Wahlsieg im Glaubenskrieg

Aus den libanesischen Parlamentswahlen ist die islamistische Hisbollah gestärkt hervorgegangen.

Salim Hoss, der Noch-Ministerpräsident des Libanon, war sichtlich verärgert: »Wir sind heute mit einer Situation konfrontiert, in der wie niemals zuvor Geld in der Wahlschlacht benutzt wird.« Sein Gegenkandidat Rafik al-Hariri hatte sein gewaltiges Vermögen benutzt, um durch die Stiftung von Sozial- und Bildungseinrichtungen Beiruts WählerInnen an sich zu binden. Seine Liste gewann 18 von 19 Sitzen der Wahldistrikte Beiruts, Hoss bekam nur halb so viele Stimmen wie sein Gegenkandidat und verfehlte sogar den Einzug ins Parlament.

Auch die islamistische Hisbollah verdankt ihren Wahlerfolg nicht zuletzt ihrem Netz von Sozial- und Bildungseinrichtungen. Gestärkt durch den israelischen Abzug aus dem Südlibanon im Mai dieses Jahres, gewannen die von der Hisbollah und der nicht-islamistischen schiitischen Amal-Bewegung getragenen Listen alle Sitze in den Distrikten Baalbek-Hermel und Südlibanon. Künftig werden zwölf statt neun Hisbollah-Abgeordnete im Parlament sitzen.

Zu den Wahlsiegern gehört auch Hariris Verbündeter Walid Dschumblatt, unangefochtener politischer Führer der drusischen Bevölkerungsgruppe, dessen Liste im Distrikt des Schuf-Gebirges alle Sitze gewann. Präsident Emile Lahoud wird jetzt unter starkem Druck stehen, Hariri, der nach Lahouds Wahl 1998 zurückgetreten war, wieder zum Ministerpräsidenten zu machen, wenn dieses Amt bei der ersten Sitzung des neuen Parlaments am 17. Oktober neu besetzt wird.

Die libanesische Politik besteht im Wesentlichen aus dem Interessenausgleich zwischen den konfessionellen Oligarchien. Das von der französischen Kolonialmacht eingeführte konfessionelle Proporzsystem war im Bürgerkrieg nach 1975 zusammengebrochen. Unter dem Druck Syriens, dessen Truppen in den Bürgerkrieg eingegriffen hatten und bis heute im Libanon stationiert sind, wurde es mit dem Abkommen von Taif (1989) leicht reformiert wieder zusammengefügt. Der libanesische Präsident muss ein Christ, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Parlamentspräsident ein Schiit sein; auch die 128 Abgeordneten werden nach konfessionellem Proporz gewählt.

Dieses System zwingt die ehemaligen Feinde zur Zusammenarbeit, verhindert aber auch politische und gesellschaftliche Reformen und bremst so den von der Regierung verfolgten kapitalistischen Modernisierungskurs. Obwohl die meisten Politiker Parteien angehören, entscheiden bei den Wahlen Status und Reichtum der Kandidaten, die zumeist aus den »großen Familien« der konfessionellen Oligarchien kommen.

Zum Teil haben die Wahlen die »modernen« Kräfte gestärkt: die Hisbollah, eine ideologische Partei, die eine Gegenelite zur alten schiitischen Oligarchie aufgebaut hat, und Hariri, dessen Verbindung von kapitalistischen Visionen und medienwirksamer Almosenverteilung dem US-Modell des compassionate conservatism (»Konservatismus mit Herz«) ähnelt. Aber auch die ehemaligen Warlords der Bürgerkriegszeit wie Amal-Chef Nabih Berri und der maronitische Christ Suleiman Franjieh konnten sich behaupten.

Linke Kandidaten, die gegen das konfessionelle System und die neoliberale Wirtschaftspolitik antraten, blieben erfolglos. Die geringe Wahlbeteiligung von kaum über 40 Prozent signalisiert jedoch weit verbreitete Distanz zum politischen System. Auch die überkonfessionellen wahltaktischen Bündnisse - in Baalbek-Hermel und Baabda kandidierte die Hisbollah auf einer Liste mit ehemaligen christlichen Warlords - betrachten viele Libanesen mit Misstrauen und Zynismus.

Die libanesischen Politiker wollen die Folgen des Bürgerkriegs überwinden, indem sie so tun, als sei nichts gewesen. Wie stabil die konfessionelle Integration ist, würde sich erst nach einem Abzug der syrischen Truppen zeigen. Organisationen wie die Hisbollah, aber auch die Parteien der christlichen Rechten, bekennen sich ja nicht aus reiner Neigung zur Demokratie und zum friedlichen Zusammenleben der Konfessionen.

In der gegenwärtigen Lage wäre eine Strategie der »islamischen Revolution« für die Hisbollah jedoch selbstmörderisch. Hisbollah-Kandidaten haben zwar die höchsten Stimmenzahlen errungen, doch im Süden ist die Amal noch immer eine bedeutende Macht, während sich die Islamisten in der Bekaa-Region, ihrer zweiten Bastion, mit einflussreichen dissidenten Geistlichen herumschlagen müssen. Außerhalb der schiitisch dominierten Gebiete, in denen etwa ein Drittel der libanesischen Gesamtbevölkerung lebt, könnte die Hisbollah nicht auf nennenswerte Unterstützung zählen, und den etwa 3 000 Kämpfern der Hisbollah stünden 55 000 libanesische und 35 000 syrische Soldaten gegenüber.

Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die Hisbollah damit abfindet, eine unter vielen konfessionellen Parteien und lokalen Machtpolen zu sein. Nach dem israelischen Abzug aus dem Südlibanon gab es in der Schura, dem Führungsgremium der Hisbollah, unterschiedliche Ansichten über die Frage, wie der Prestigegewinn genutzt werden soll. Den Ausschlag, so Nizar Hamdeh, Professor für Politologie an der Amerikanischen Universität in Beirut, gab die Anrufung Ali Khameneis, der als oberster Rechtsgelehrter das eigentliche Staatsoberhaupt des Iran ist und von der Hisbollah als geistlich-politische Autorität anerkannt wird.

Die Annäherung an die Amal soll auf Khameneis Entscheidungen zurückgehen. Das Wahlbündnis sei »der Beginn einer neuen Stufe der Kooperation«, erklärte Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hisbollah. »Wir müssen lernen, die Vergangenheit zu vergessen und in die Zukunft zu blicken, in der niemand den anderen eliminieren kann.« Die Hisbollah, die besser organisiert und finanzkräftiger als die Amal ist, hofft, durch den Umarmungskurs die geschwächte Amal dominieren und so die Hegemonie unter den Schiiten gewinnen zu können.

Die feste Verankerung im politischen System des Libanon soll die Grundlage für eine regionale Strategie sein. »Der wichtigste Aspekt der Zukunft der Hisbollah«, so Hamdeh, »ist die Rolle als Modell für andere islamistische Organisationen, durch Training, Beratung und Logistik.« Auf diese Weise hofft das iranische Regime, auch in anderen Staaten der Region Einfluss zu gewinnen. Die Erneuerung der Konfrontation mit Israel ist für die Hisbollah und den Iran eine taktische Frage, die dem übergeordneten Ziel der regionalen Einflussnahme untergeordnet wird.

Gegenwärtig wäre eine Konfrontation mit Israel nicht im Interesse der neuen syrischen Führung unter Bashar al-Assad, die eine Annäherung an den Westen anstrebt, und das iranische Regime hat in seiner Libanon-Politik syrische Interessen immer respektiert. Vergeltungsaktionen nach Angriffen auf israelisches Territorium würden, nachdem sich die israelischen Truppen aus dem Südlibanon zurückgezogen haben, der innenpolitischen Position der Islamisten schaden.

Für eine veränderte politische Lage hält sich die Hisbollah jedoch alle Optionen offen. Bei einer Wahlversammlung am 1. September warf Nasrallah Israel Provokationen an der Grenze vor und kündigte für den Fall ihrer Fortsetzung an: »Unsere Antwort wären die Gewehre und Raketen des Widerstands.«