Zehn Jahre deutsche Einheit

Demontiert die Mythen!

Ohne eine kritische Aufarbeitung der linken Geschichte seit 1989 ist auch eine emanzipatorische Kritik der deutschen Verhältnisse nicht möglich.

Für die Linke in der alten BRD war das Coming-out der »selbstbewussten Nation« nach 1989 ein zwar verheerender Katalysator, die Absetzbewegung aus den linken Organisationen hatte aber bereits vorher begonnen. Dieser These von Felix Klopotek (Jungle World, 41/00) ist zuzustimmen. Doch in dem Versuch, allgemeine Entwicklungen in der Linken zu beschreiben, verliert er - ebenso wie Stefan Wirner (Jungle World, 40/00) - die Praxis linker Gruppen im vergangenen Jahrzehnt aus dem Blick. Um aber die Fehler und Erfahrungen von Linken in der BRD zu reflektieren, sollte man zuerst mit der eigenen Geschichte beginnen - wie in meinem Fall mit der des Kommunistischen Bundes (KB).

Die Organisation galt als eine der einflussreichsten K-Gruppen, die in Folge der Studentenbewegung entstanden waren. Von den meisten anderen Strömungen unterschied sie sich vor allem durch ihre pessimistische Analyse der politischen Perspektiven in Westdeutschland. Bis zum Ende der siebziger Jahre dominierte im KB die so genannte Faschisierungsthese. Demnach sah der KB - im Gegensatz zu anderen linken Organisationen dieser Zeit - »die Massen« in der BRD nicht auf dem Weg nach links. Vielmehr konstatierte er eine »schrittweise Faschisierung von Staat und Gesellschaft«, mit welcher die »kommenden Kämpfe« der Arbeiterklasse (später der Neuen Sozialen Bewegungen) unterdrückt werden sollten.

Deshalb war die praktische Politik des KB vom Antifaschismus und von der Verteidigung demokratischer Rechte geprägt. Auch wenn Faschisierung fälschlicherweise damals nur als Machination der Herrschenden begriffen wurde, entscheidend war, dass die Situation in der BRD als Entwicklung nach rechts analysiert wurde, die es zu bekämpfen galt.

Doch der gesellschaftliche Trend, der sich nach dem Regierungsantritt von Helmut Kohl 1982 mit der »geistig-moralischen Wende« auch ideologisch durchsetzen konnte, wurde nicht mehr als zusammenhängender Prozess verstanden. Das lag an einem verkürzten Faschismusbegriff: So wurde 1982 im Arbeiterkampf, der Zeitung des KB, die Regierungsübernahme als Vorstufe eines autoritären Staates unter Franz-Josef Strauß angesehen und das Augenmerk fast ausschließlich auf Neonazis und Repressionsapparate gerichtet.

Die entscheidenden Veränderungen fanden jedoch in gesellschaftlichen Bereichen statt, für die die »AG Ausländer« zuständig war - oder niemand so richtig, wie im Falle der Umdeutung der deutschen Naziverbrechen. Als 1985 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl über den SS-Gräbern von Bitburg die Hand des US-Präsidenten Ronald Reagan schüttelte, wurde dies nicht als Ausdruck einer nationalen Formierung begriffen.

Im selben Jahr wendeten sich Teile des KB von der Faschisierungsthese ab, die noch weitgehend auf der vulgär-marxistischen Theorie des bulgarischen Generalsekretärs der Komintern, Georgi Dimitroff, beruhte. Stattdessen wurde die Verfolgung der Arbeiterbewegung oder der radikalen Linken als Beleg für die Entstehung eines bürgerlichen Kontrollstaates interpretiert. Kohls Wende wurde nicht mehr als Vorstufe eines neuen Faschismus, sondern als bürgerliche »Normalisierung« der BRD betrachtet.

An diese Normalität begann sich in den achtziger Jahren auch die Linke zu gewöhnen. Während viele den Grünen beitraten oder in Nischen zu überwintern versuchten, wurde die westdeutsche Gesellschaft nationalistischer. Das Fernsehen spielte zum Sendeschluss die Nationalhymne, in Schulen wurde sie auch wieder gesungen, verbunden mit einem Rollback gegen linke Lehrinhalte. Der Ausgrenzungsbegriff »Asylant« wurde propagiert, ein Ausländerproblem herbeihalluziniert. Doch alle diese Entwicklungen kamen in der These von der angeblichen Normalisierung nicht vor.

Die Annexion der DDR im Herbst 1989 erwischte den KB eiskalt. Diejenigen, die vorher von gesellschaftlicher Normalisierung sprachen, grenzten sich von der beginnenden antideutschen Kritik im KB ab. Eine Erklärung des Leitenden Gremiums des KB unter dem Titel »Denk ich an Deutschland in der Nacht ...« läutete die Spaltung des KB ein. Darin wurde ein »Selbstbestimmungsrecht der Deutschen« bestritten. Nach einem Monat Streit war diese antideutsche Position dort, wo sie bis zum Ende des KB blieb - in der Minderheit.

Die Mehrheit hingegen kritisierte zwar ebenfalls die Annexion der DDR, bejahte aber das »Selbstbestimmungsrecht der Völker« im allgemeinen und auch das eines deutschen Volkes. Beide Richtungen schlossen einander in ihren praktischen Konsequenzen aus, was 1991 zur Spaltung des KB führte.

Während sich die Mehrheit an der PDS orientierte, versuchte die KB-Minderheit, sich in der Gruppe K zu reorganisieren. Dies gelang nur kurzfristig während der Nie-wieder-Deutschland-Kampagne Anfang der neunziger Jahre. Im Oktober 1995 löste eine Vollversammlung die Gruppe K schließlich auf. Übrig blieb nur die Zeitschrift bahamas, das ehemalige Zirkular der Gruppe.

Die KB-Mehrheit beschränkte sich in den folgenden Jahren darauf, einfach weiterzumachen wie zuvor. Entsprechend lautete der Titel der Jubiläumsausgabe ihres Zentralorgans 1997: »25 Jahre ak - wir machen weiter.« Der Grund, an dem der KB zerbrach, nämlich der Umgang mit dem Deutschtum nach 1989, kam nicht zur Sprache. Aus dem Arbeiterkampf wurde analyse & kritik. Zum Nato-Krieg gegen Jugoslawien brachte ak im April 1999 sogar die Überschrift »Stoppt den Krieg! Rettet die Menschen im Kosovo!« zustande.

Die Chance, aus der Geschichte des KB in ihrer spannenden Widersprüchlichkeit zu lernen, wurde verschenkt zugunsten verklärender Inszenierung von Identität und Tradition. Die Geschichte des KB wurde allein dafür eingesetzt, das heutige Produkt ak zu legitimieren und mit einer Herkunftslegende interessant zu machen.

Die Abgrenzung von der Gruppe K wurde dabei noch ergänzt durch inhaltliche Beliebigkeit beim Thema Volk und Nation. So wurde in ak über eine »russische Volksseele« lamentiert (1997) oder der Antisemitismus gegen AussiedlerInnen im ostdeutschen Dorf Gollwitz mit den Ressentiments in der Ex-DDR gegenüber Westdeutschen gleichgesetzt (1998).

Trotz der nationalen Wiedergeburt nach 1989 werden Nation und Rassismus - ebenso wie zuvor bereits das Thema Patriarchat - als Teilkämpfe einsortiert und entsprechenden Spezialseiten in ak zugeordnet. Ein Genosse der Gruppe K machte sich bei den Nachfolgegruppen des KB unbeliebt, als er Ende 1991 schrieb: »Im ehemaligen KB wurde Rassismus nicht als eine theoretische Herausforderung verstanden, sondern bis heute wird die Beschäftigung mit ihm den SpezialistInnen der entsprechenden AG überlassen, im besten Fall wird Antirassismus mit Antifaschismus gleichgesetzt. Wenn auch die Nachfolgegruppen des KB mit den Attributen weiß, deutsch und überwiegend männlich beschrieben werden können, wird das von den meisten als selbstverständlich und nicht als bezeichnend wahrgenommen. (...) Der sich abzeichnende Metropolenrassismus ist das Thema der nächsten Jahre. Eine Linke und ein AK, die nicht bereit sind, darauf entsprechend zu reagieren, auf die ist geschissen.«

Beide Flügel des KB reagierten auf diesen Artikel nicht. Die Mehrheit sah in dem Beitrag nur eine weitere Zumutung, die Mitglieder der Gruppe K waren ebenso beleidigt, weil auch sie kritisiert wurden. So geben KB-Mehrheit und Gruppe K leider gute Beispiele dafür, dass mangelnde Selbstreflexion und Behäbigkeit nicht nur bei traditionellen, sondern auch bei antideutschen Linken anzutreffen sind.

Einer Rekonstruktion emanzipatorischer und praktischer Kritik der gesellschaftlichen Verhältnisse ist aber ohne eine Kritik an der Linken nicht möglich. Deshalb ist auch eine Demontage des Mythos von der bis 1989 aufstrebenden Neuen Linken ebenso wichtig wie eine Reflexion, welche die eigenen Biografien und Fehler nicht verschweigt.