»Fröhlich sein und singen«

Immer wenn es stinkt

Manchmal produziert der Eulenspiegel-Verlag auch Komisches wie das Musikbuch »Lieder aus unserem Leben«.

Wenn man früher im Musikunterricht besonders viel Pech hatte, dann stand weder Kompositionslehre noch Komponistenkunde auf dem Programm. Stattdessen wurde gesungen. Was gesungen wurde, kam auf den Musiklehrer an. Manche standen z.B. immer noch auf Nazi-Liedgut wie den Bombast-Fetzen »Hohe Tannen«. Ein empörter Elternanruf führte in solchen Fällen jedoch meistens zu einem raschen Programmwechsel. Was folgte, war dann aber auch nicht viel besser. Deutsche Volkslieder eben, in denen irgendwer auf der Suche nach seinem Feinsliebchen oder anderweitig unterwegs war. Spaß machte das nicht, auch wenn der von den Musiklehrern unverdrossen angekündigt wurde.

Denn die Gemütslagen ganzer Generationen von Oberstufenschülern präzise wiedergebende Lieder wie »Die Gedanken sind frei« oder »Oh hängt ihn auf« wurden nur selten angestimmt. Was Wunder, dass die meisten westlichen Schulentlassenen auch heute nur noch im äußersten Notfall singen.

In der DDR muss das dagegen ganz anders gewesen sein. Wenn man den wehmütigen Erinnerungen ihrer Insassen Glauben schenkt, wurde dort ständig in gemütlicher Runde, »in Kindergärten, Schulen und Ferienlagern, auf Bühnen und in Singeclubs« geträllert und tiriliert, jubiliert und gesungen, sich dabei wohlgefühlt, Mitmenschlichkeit gepflegt usw.

Ein kollektiv ständig dahersingendes Land ist eine schreckliche Vorstellung, bei der DDRler jedoch auch noch nach zehn Jahren ins Schwärmen geraten und nostalgische Gefühle entwickeln. Nun ist im Eulenspiegel-Verlag für diese Klientel ein Textbuch mit Noten erschienen: »Fröhlich sein und singen« mit dem für Ostler unglaublich süffisanten Untertitel: »Lieder aus unserem Leben«.

Zusammengetragen hat man dort u.a. Songs aus dem Alltagsleben. »Blumen für die Hausgemeinschaft« etwa, das »Vaterlandslied« oder »Da sind wir aber immer noch« sowie, man hatte es geahnt, »Feinslieb, du lachst dazu« und »Im Frühtau zu Berge«. Aber auch Subversives wurde in der Zone manchmal angestimmt: »Mein Trabbi paßt mir wie angegossen, ein Auto des Volkes, für Bürger, Genossen. Ein Wagen des Volkes, für dich und für mich, den könn' wir uns leisten, mehr aber nicht.«

Das wäre alles gar nicht so schlimm, schließlich sind in diesem Buch auch Lieder wie Schostakowitschs »Für den Frieden der Welt«, das »Lied der internationalen Brigade« und »Die Glocke von Buchenwald« abgedruckt, die man im Westen völlig zu Unrecht nie gewürdigt hat. Blöderweise hat das Eulenspiegel-Frösi jedoch auch noch ein ausgiebiges Vorwort. Eines »zur Anleitung für musikalische Heimwerker«, das mit einem in diesem Fall natürlich sehr ernst gemeinten Zitat von »Göthe« beginnt: »Und wenn man euch fast nichts mehr gönnt, dann singt so lange ihr noch könnt.«

Hans Eckhardt Wenzel ist dafür verantwortlich. Und er legt gleich gut los: »In den alten Zeiten, so lasen wir, haben die Leute abends unter der Linde gesessen, im Sommer, in den Himmel gesehen, wo die Sterne auftauchten«, und sich danach nicht etwa aufgemacht, um Fremde zu verprügeln, sondern »gesungen«. Damals war alles viel besser und insgesamt sehr großartig. Obwohl: »Welche Gemütsbewegungen diese Konzerte bei unseren Vorfahren auszulösen vermochten, die, noch nicht zerstreut von Uefa-Cup-Übertragungen, Fernsehserien, Talkshows, Internetsurfing und Cyberspace ihre Freizeit großzügig zu vernichten wussten, können wir nur ahnen.« Ebenfalls nur erahnen lässt sich, um wieviel vernichtender für die Moderne sein Urteil ausgefallen wäre, hätte der Verfasser bemerkt, dass auch die Champions League im TV gezeigt wird und Internet und Cyberspace ein und dassselbe sind.

Aber egal: »Jeder, der einmal am Lagerfeuer, am Strand oder voll Ferienübermut mit anderen zusammen gesungen hat, kennt diese Gefahr überraschender Geborgenheit. Erstaunt, dass der andere auch diese Melodie, diesen Text beherrscht, dass wir beide in beinah derselben Tonart klingen, dass deine Stimme sich an meine anschmiegt wie an eine Wange. Diese kleine Gruppe der Singenden beschwört eine Winzigkeit (!) aller Utopie im Gleichklang ihrer Stimmen.« Gegen so etwas sind in den letzten Jahren in manchen östlichen Bundesländern spezielle Polizeieinheiten gegründet worden, die Nacht für Nacht an Lagerfeuern, Stränden oder auf Zeltplätzen singende Personen festnehmen.

Auch Hans Eckhardt Wenzel macht sich Gedanken über den Missbrauch des deutschen Liedgutes, denkt dabei aber an einen völlig anderen Personenkreis: »Aber darf man eine Sache, die mißbraucht werden kann, überhaupt loben?« Eigentlich nein, aber das ist natürlich ganz blöd, denn dann dürfte man ja auch ein Buch wie dieses überhaupt nicht herausgeben. Und der Vorwortschreiber dürfte nicht formulieren: »Ist die Stimme des Menschen schlecht, weil man mit ihr Schlechtigkeiten verkünden kann?« Tendenziell ja, aber wozu sich mit Kleinigkeiten abgeben? »Alles ist auch zu missbrauchen. Die Madonnendarstellung kann ebenso sexuelle Phantasien bei den Mönchen freisetzen wie fromme Gefühle, ein Marschlied kann Heiterkeit erzeugen, wenn es der Feind parodiert.« Hä? Na, egal. »Und ein Liebeslied zur falschen Zeit kann Lachsalven voller Hohn gebieren. Das liegt niemals in den Dingen begründet, sondern stets in unserem Gebrauch.«

Es folgt ein ausführlicher Exkurs über Augen, die immer noch wegsehen können, während Ohren und Nase dagegen nicht in der Lage sind, wegzuhören bzw. -zuriechen. »Immer sind wir ganz eingebunden, wenn es stinkt oder laut ist in unserer Nähe«, erklärt der Autor und freut sich: »Welch Glück, dieses Liederbuch ist leise, man hört nur das Rascheln seiner Seiten, wenn wir es aufschlagen, weil wir gemeinsam singen wollen. Lieder, die wir seit Ewigkeiten kennen, deren Textzeilen aber verlorengegangen sind in der Hektik der Preisvergleiche, im Gestank der Deospray-Invasionen oder der ewig guten Laune der Radiostationen«. Die sich allesamt scheint's noch nicht genug angestrengt haben.

Charly Ocasek (Hg.): Fröhlich sein und singen. Lieder aus unserem Leben. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2000, 256 S., DM 19,80