Neues Album von »The Fall«

Keine Vorschriften, keine Dissidenz

Für die einen sind sie The Fall, für die anderen die größte Band der Welt.

Kaum einer nimmt sie noch wahr, Leute unter dreißig kennen sie, wenn überhaupt, nur vom Hörensagen, und niemand erwartet mehr eine Platte von ihnen. The Fall sind nicht eben die bekannteste Band aller Zeiten. Andererseits kommen - wie vorletzten Woche geschehen - nicht nur ein paar Gestrige und Verlorene, die ihre Jugend nachholen wollen, wenn Fall-Sänger Mark E. Smith für 17 Minuten in einer kleinen Buchhandlung in Berlin auftritt. Mit Eventlüsternheit ist nicht zu erklären, warum sich nicht wenige Leute, die an diesem Tag keine Zeit hatten, die Haare rauften, warum sich hippe Soulbrüder und coole Technoschwestern auf den Pilgerweg machten und die taz diesen 17 Minuten einen Artikel gönnte.

In England ist die Panik noch größer. Zu einem Auftritt in Nottingham machten sich Fans von der ganzen Insel auf, und im Gästebuch der Fall-Fansite (www.visi.com/fall) schreibt ein Anhänger: »Manchmal fällt es einem schwer, zu erklären, warum The Fall die beste Band der Welt sind und immer bleiben werden, doch gestern wurde alles auf den Punkt gebracht.« Und der Fan erzählt von einem sturztrunkenen Konzert, bei dem insbesondere Mark E. Smith nicht nur besoffen gewesen sei, sondern schlicht böse. Schließlich fiel Smith um und erhob sich erst drei Songs später, in der Zwischenzeit sang er vom Boden aus. Der Fanbrief endet: »Fucking great night though.«

Doch Mark E. Smith ist nicht nur ein schlecht gelaunter Rocker, zu dessen Image Wildheit und Saufen gehören, er mag, so scheint es, auch seine Fans nicht. Selbst die Betreiber offizieller Fanseiten müssen die Songtexte mühsam beim Hören der Platten mitschreiben.

Long Fin Killie, Edwyn Collins und Elastica haben mit ihm zwar Songs aufgenommen, doch Smith schätzt ihre Musik überhaupt nicht. Die Gebrüder Gallagher von Oasis, die einem Gerücht zufolge für Smith eine immense Hotelrechnung beglichen, auf der vor allem zerschlagenes Mobiliar aufgelistet war, nannte er daraufhin eine passable Pub-Band. Der New Musical Express, dessen Fans Smith zu einem der ewigen Heroen britischer Popmusik gewählt hatten, bekam nach der Preisübergabe weder ein Interview gewährt noch ein Wort des Dankes zu hören.

Deutschen Fans erklärte er, dass ihre Liebe zu seiner Musik vor allem darauf beruhe, dass sie noch immer Faschisten seien. Faschisten findet er »dumm«.

Und er fordert den Ausbau der britischen Flotte, auf dass England geschützt sei. Auf die Frage nach seinem größten Wunsch, antwortete er: »eine Atombombe auf Manchester«. Außerdem sind die Songs von The Fall nur schwer zu verstehen, selbst harte Fans fragen den Nuschler Smith immer wieder, ob sie richtig gehört haben und wie das, was sie gehört haben, gemeint ist: Worauf beziehen sich »Bremen Nacht« und »Dresden Dolls«, gibt es das Alter Ego »Marquis Cha-Cha« noch, was heißt »Dog Is Life« oder »Das Vulture Ans Ein Nutter-Wain«?

Doch nach so großartigen Alben wie »Perverted By Language«, »Bend Sinister« oder »Cerebral Caustic« war es Mitte der Neunziger sehr still um die Band geworden. Brix Smith, die Ex-Frau des Frontmannes, die in den Achtzigern den Sound prägte, hatte endgültig die Band verlassen, auch die letzten Gründungsmitglieder waren den inzwischen knapp 30 Umbesetzungen der Band seit 1976 zum Opfer gefallen, und Smith verließ sich allzu sehr auf den Kult um seine Person. Auch wenn jeder sein Motto kannte, dass man sofort eine neue Platte herausbringen müsse, wenn die letzte erschienen sei, so wie das Bierglas wieder gefüllt wird, wenn es leer sei - »Otherwise you're dead!« -, war man doch etwas irritiert darüber, wie viele getarnte »Best Ofs« und »Demoversionen« herauskamen. Ein richtig gutes Album erwartete niemand mehr, man hielt einfach so die Treue, reagierte aber nie enthusiastisch. Die Radiolegende John Peel, einer der hartnäckigsten Fans, erzählte ab und an ein paar Anektdoten über Smith. Aber sonst wurde es still um ihn.

Die letzten Fall-Platten waren in Deutschland nur schwer zu kriegen, Besprechungen gab es kaum. Dabei hatte sich etwas getan: Smith ließ Götter neben sich zu. Und zwar die Keyboarderin Julia Nagle. Nicht nur, dass sie den Sound der Fall aufpolierte, nein, sie durfte sogar einige Songs komponieren. Und jetzt, mit einer neuen Band um Nagle und Smith, ist es passiert: Für den Großteil der Songs auf der soeben erschienenen Platte »The Unutterable« zeichnet die gesamte Band verantwortlich, ein ungewöhnlicher Anflug von Demokratie. Noch immer hat es das für The Fall typische stumpfe, manchmal beinahe Kirmes-kompatible, kontinuierliche und ordnende Schlagzeug, noch immer lallt Smith seinen Gesang und trimmt ihn durch das Dehnen des E auf diabolisch-desinteressiert. Doch durch das Keyboard und die Gitarre werden alle Songs zu Ereignissen.

Vor allem aber rocken The Fall wieder. Endlich haben sie jene Kunstszenen-Atmosphäre verlassen, in der es vor allem um Repräsentanz und weniger um Bedeutung geht. Früher kündigte sich die Band folgendermaßen an: »We are the Fall. Northern white crap that talks back.« Das war die emotionslose Selbsteinschätzung als Zivilisationsmüll. Und denen, die sich ebenfalls dazu zählen, gaben The Fall mit ihren eigenwilligen, parteilosen Songs eine Stimme. Seit einiger Zeit stehen sie nun wieder entschlossen auf Seiten der Verlierer. Die Fankurve des Fußballstadions, die RumhängerInnen in den Kneipen, die ArbeiterInnen. Schließlich ging und geht es bei The Fall genauso sehr gegen StudentInnen wie gegen FaschistInnen. The Fall mögen weder Vorschriften noch Dissidenzgebaren. Auch sind The Fall keine linke Band, sowenig wie Pop überhaupt politisch sein kann. Doch wie alle guten DialektikerInnen geht es ihnen darum, sich selbst aufzuheben: Sie machen zu viele Platten, Auftritte, Interviews. Sie beschimpfen ihr Publikum, um zurückbeschimpft zu werden. Sie wollen sich selbst als Stars abschaffen.

Wenn Smith sagt, dass die Welt keinen zweiten Mark E. Smith braucht, will er damit nicht seine Einzigartigkeit betonen. Es heißt nicht weniger als: Einer ist ihm schon zu viel.

The Fall: »The Unutterable«. Eagle (Connected)