Gender-Debatte in Deutschland

Der Subversionsschwindel

In der deutschen Rezeption der Queer Theory wurde die Drag Queen zum Beweis dafür, dass der theoretische Ansatz stimmt. Doch die Konsequenz ist die Reduktion des politischen Potenzials von Drag auf parodistische Effekte.

In den Neunzigern wurde Queer Theory zum Synonym für die Hoffnung auf more radical and sexier politics, auf eine Politik, die den Normalisierungsimperativen und Identitätsversicherungen ein subversives Schnippchen zu schlagen vermag. Anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der deutschen Übersetzung von Judith Butlers »Gender Trouble« ist die Versuchung groß, der beliebten Frage, was aus den revolutionären Versprechen von gestern geworden sei, einen neuen Gegenstandsbereich zu geben und zu fragen: Warum riecht queer in der BRD nicht nach Straße und Bewegung, sondern nach Seminarraum? Warum fungiert queer vor allem als Name für einen importierten Theoriezusammenhang und klingt nicht einmal entfernt nach irgendeiner sexuellen Kultur? Wie war es möglich, könnten die Anglophilen unter uns stöhnen, dass ein so geiles Wort so verdammt unsexy wurde?

Als Antworten auf diese Fragen bieten sich zahllose konträre Diagnosen an, deren Thesen so viel Erklärungswert besitzen wie ihre jeweiligen Umkehrungen. So trifft sich die Klage, dass queer hierzulande vor allem als unpolitischer Partyslogan diene, weil noch nicht ausreichend Informations- und Übertragungsarbeit für die deutschen Verhältnisse geleistet worden sei, mit dem Hinweis, dass Queer Theory auch in Amerika eine akademische Kopfgeburt sei, deren politischer Effekt vor allem darin bestehe, ein paar Akademikern zu erlauben, sich subversiv zu fühlen, ohne den Campus verlassen zu müssen. Auf seltsame Weise vermeiden solche Erklärungsmodelle gerade im Reden über Politik die Frage des Politischen.

Wer das Verhältnis zwischen Theorie und politischer Praxis auf das Problem der Umsetzung reduziert, setzt voraus, dass wir alle längst wissen, wo der Ort von sexueller Politik ist, und warum der Clubraum darin eine sekundäre Rolle spielt. Und wenn ein bisschen Cultural Studies-Lektüre doch einmal den Club ins Blickfeld der Analyse geraten lässt, dann stehen die Beurteilungskriterien zumeist bereits ebenso fest wie die sichere Distanz der Urteilenden. Ein paar Abzählspiele hier - wie viele Lesben, wie viele Schwule und wie viele Transen? -, ein bisschen Geschlechterparodie dort, plus irgendwas Subkulturelles, und schon weiß man Bescheid. Durch das Raster solcher Analysen fällt die Frage nach der Verfasstheit der prekären Momente der Politisierung: Aus welcher Perspektive werden für wen welche sexuellen Räume politisch? Und wer trägt dabei die Last, Körper für diejenigen zu sein, die das Wissen von der Politik verwalten?

So läuft der Wunsch zu erklären, warum in der BRD die queere Bewegung zur queeren Theorie fehle, Gefahr, die Politik der eigenen theoretischen Begriffe zu verdecken. Welche Perspektive beispielsweise ließ Drag und Camp zu beliebten Themen der hiesigen Queer Theory-Rezeption werden? Und welcher Perspektive verdankt sich auf der anderen Seite die Kritik, dass dies eine Stilisierung sei, die den Ernst der Politik zugunsten der Exotisierung spezieller Überschreitungen opfere?

Die Diskussionen um Drag sind hierzulande weitgehend von Butlers Konzept der parodistischen Subversion geprägt. In »Gender Trouble« wird die Figur der Parodie in erster Linie als ein illustrierendes Argument eingeführt, um die These der Performativität des Geschlechts zu erläutern. Als Geschlechterparodie macht Drag, so Butler, die allgemeine Struktur von Geschlechtlichkeit sichtbar.

Indem Drag den Imitationscharakter der eigenen Geschlechtsperformance reflexiv ausstellt, zeigt sich zugleich das verborgene Konstitutionsprinzip von Geschlechtlichkeit überhaupt: Geschlechtlichkeit ist keine natürliche Gegebenheit, sondern eine soziale Praxis, die sich in jedem Augenblick dem Prozess der imitierenden Wiederholung vorausgegangener Geschlechtsperformances verdankt. Das subversive Potenzial von Drag besteht nach Butler somit in der parodistischen Entlarvung dieser performativen Struktur der natürlich erscheinenden Geschlechterdifferenz.

Der Einwand, dass dies eine illegitime Verallgemeinerung einer sehr spezifischen Überschreitung sei, muss sich die Frage gefallen lassen, aus welcher Position des Wissens diese Unterscheidung zwischen dem Allgemeinen und dem Spezifischen getroffen wird. Über genau diese Differenz wirken auch jene heterosexistischen Mechanismen, die jedes Hetero-Drama als Verkörperung allgemein menschlicher Probleme ausgeben und jede Darstellung anderer Sexualität automatisch unter den Verdacht des Minderheiteninteresses stellen.

Auf der anderen Seite ist aber auch die Verwendung, die der Begriff der parodistischen Subversion in der affirmativen Rezeption Butlers erfahren hat, oft nicht weit von jenem Gestus entfernt, mit dem sich das liberale Subjekt seiner Universalität vergewissert. Denn Butlers Drag-Interpretation wird nicht nur als Argument für die These vom performativen Charakter der Geschlechtlichkeit aufgefasst, sondern fungiert auch als Analyse der politischen Dimension des »Drag-Phänomens«. In der Folge werden Drag-Praktiken oft ausschließlich unter dem Blickwinkel betrachtet, ob sie die »heterosexuelle Matrix« auch wirklich »denaturalisieren« oder vielleicht doch irgendwie »re-idealisieren«. Was bedeutet es aber, wenn das politische Potenzial von Drag auf solche parodistischen Effekte eingeschränkt wird? Welchen Ort im sozialen Raum gibt das Lob der Subversion den so bezeichneten Praktiken?

Immer wieder festzustellen, dass Drag die hegemoniale Geschlechterordnung denaturalisieren könne, verstellt den Blick auf die anderen politischen Dimensionen der Drag-Performances. Unsichtbar werden auf diese Weise zum Beispiel ihre Bezüge auf unterschiedliche hoch-, pop- und subkulturelle Traditionen von Drag. Mit der Rede von der Parodie wird die politische Bedeutung der Drag-Performances, die sie als Teil oder Zitat einer queeren Tradition mit sich führen, auf ein allgemeines Möglichkeitsbewusstsein reduziert, auf ein Bewusstsein von - in Butlers Worten - der »fließende(n) Ungewißheit der Identitäten (...), die ein Gefühl der Offenheit für deren Re-Signifizierung und Re-Kontextualisierung vermittelt«. Die herrschende Geschlechterordnung als sozial verfasst und damit als veränderbar zu begreifen, ist aber eine Bedingung für Körperpolitik.

Diese basale Erkenntnis als Interpretation einzelner Praktiken auszugeben, bedeutet, ihren politischen Gehalt zu verwerfen. Die Beschreibung von Drag als Reflexionsfigur, mit der »wir« uns ein weiteres Mal unseres liberalen Kontingenzbewusstseins versichern, gerät damit zu einer Distanzierungsgeste, mit der all jene Fragen vermieden werden, die eine politische Positionierung zu der sexuellen Kultur verlangen, deren Teil die jeweilige Drag-Performance ist. Der Begriff der Parodie lässt Drag ausschließlich über die Konstitutionsgesetze der hegemonialen Geschlechterordnung sprechen. Keine Stimme erhält dagegen das Begehren, das Drag im Club produziert.

Eine Theorie, die Drag immer nur als Entlarvungsfigur des heimlichen »Ursprungs« der herrschenden Geschlechterordnung präsentiert, wiederholt auf paradoxe Weise die hegemoniale Geste des Ausstreichens der Geschichte und Wirklichkeit queerer Kulturen. Denn eine Performance als subversiv zu kennzeichnen, heißt, sie ausschließlich in der Relation zur Hegemonie zu betrachten: Um die Subversion der klassischen Geschlechterrollen feststellen zu können, muss die crossgedresste Person immer wieder auf die heterosexuelle Matrix zurückbezogen werden.

Also kann die Drag Queen nicht einen Moment lang unter eigenem Namen auftreten, sondern bleibt bloß ein Mann in Frauenkleidern. Damit läuft die Intepretationsperspektive der Parodie Gefahr, sich in der Haltung des distanziert-liberalen Ironikers einzurichten, überall Veränderungspotenziale zu feiern und dadurch die existierenden Geschichten der Differenz auf die Selbstvergewisserung der eigenen Handlungsfähigkeit zu reduzieren. Die paranoide Gewohnheit, immer und überall die Gefahr des Essenzialismus zu sehen, macht es unmöglich, die instabile Positivität von sozialen Räumen zu erkennen, die nicht allein von der heterosexuellen Matrix strukturiert werden.

Angesichts der Tatsache, dass die Geschichte queerer Kulturen nicht nur in den offiziellen Regimes des Heterosexismus, sondern auch durch die Begriffe scheinbarer Solidarisierungen ausgestrichen wird, stellt sich die Frage, ob die soziologisierenden Erklärungen, dass queer die Bewegung fehle, nicht auch nur eine weitere Variante dieser Figur darstellen.

Anstatt immer wieder das Fehlen queerer Politik auf Feldern zu beklagen, von denen man schon ganz genau weiß, was ihre möglichen politischen Züge sind, wäre es interessanter, denjenigen Räumen etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen, in denen die Politisierung prekär bleibt, weil sie sich den wissenden Emanzipationsdiskursen des Coming Out entzieht. Aber andererseits: Wer will in seinem Club schon Soziologen treffen?