Gender-Debatte

Wir stellen uns queer

Die Queer Theory muss ihren inneren dark continent entdecken, die Kapitalismuskritik.

Einige VertreterInnen und viele GegnerInnen von Queer Theories sind sich darin einig, dass diese bisher keine zufriedenstellende Kritik kapitalistischer Verhältnisse bieten. Vielleicht zeigen sich hier die Folgen einer überkommenen disziplinären Arbeitsteilung. Deren Auflösung gehörte zwar schon zum Programm, als Anfang der neunziger Jahre in Nordamerika die ersten Einrichtungen der Queer-Studien gegründet wurden. Doch Untersuchungen über Sexualität waren und sind jenseits der Medizin vor allem in den Kultur- und Geisteswissenschaften zu Hause, und bis heute hat die Mehrzahl der QueertheoretikerInnen dort gelernt.

Doch die mangelnde Verknüpfung queerer mit ökonomiekritischen Überlegungen ist weder zwangsläufig noch akzeptabel. Wenn das queerpolitische Programm die Regulation von und mittels Sexualität ins Zentrum der Kritik stellt, dann muss neben der Heteronormativität und der wechselseitigen Artikulation von Rassismus und Heterosexualität auch das Verhältnis von Kapitalismus und Sexualität thematisiert werden.

Die Einschreibung queerer Perspektiven in die Ökonomie startet nicht am Nullpunkt. Im Feld der Queer-Theorie finden sich zum Beispiel Arbeiten, die unter dem Stichwort pink economy die kapitalistische Konstitution sexueller Minderheiten in den Blick nehmen. So hat der Glasgower Soziologe David Evans untersucht, wie die moralische Regulation durch den Staat zur Entstehung amoralischer Subkultur-Märkte führt, die die Sexualität ihrer Subjekte warenförmig organisieren.

Diese Märkte prägen nach Rosemary Hennessy, die in den USA Critical Cultural Studies lehrt, eine Konsumkultur, in der die kapitalistische und die Begehrensökonomie ineinander greifen. Doch es wäre zu kurz geschlossen, deshalb allein Schwulen und Lesben die kapitalistische Formierung ihrer Sexualität vorzuwerfen. Vielmehr muss die Verfasstheit sexueller Minderheiten als Symptom der jeweiligen Form kapitalistischer Vergesellschaftung gelesen werden. In der Konsequenz ergibt sich daraus die Frage nach der Formierung von Heterosexualität im Kapitalismus.

Heterosexuelle Existenzweisen hatten und haben im Kapitalismus vielfältige und historisch variable Formen. Sie lassen sich nicht allein im Klischee der Kernfamilie mit dem Vater als Lohnarbeiter und der Mutter und Hausfrau als Subsistenzproduzentin abbilden - und auch nicht im modernisierten Klischee der neoliberalen Entfamiliarisierung. Doch sind in der Vielfalt heterosexueller Modelle immer nur bestimmte privilegiert, wie - als Kehrseite der glücklichen Normalfamilie - das Beispiel allein erziehender schwarzer Frauen in den USA, die von Sozialhilfe leben, zeigt.

Die afro-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cathy Cohen hat den Diskurs über die so genannten welfare mothers daraufhin untersucht, wie sich die rassistische Regulation in die Produktion von Heteronormativität einschreibt. Nun ist die ökonomische Privilegierung bestimmter Formen von Heterosexualität durch den Staat seit langem ein geläufiges Thema. Darüberhinaus interessiert aber, in welcher Weise diese Privilegierung der ökonomischen Rationalität von Unternehmen entspricht. Die klassische Antwort besteht in der Mitteilung, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sei ein Kernprinzip kapitalistischer Vergesellschaftung. Die Arbeitsteilung ist aber nicht bipolar, sondern auch entlang rassistischer und sexueller Grenzen hierarchisch strukturiert. Dadurch ist die gesellschaftliche Arbeitskraft in sich mehrfach different konstituiert und weist so unterschiedlich ausbeutbare Eigenschaften auf wie die Freundlichkeit des schwulen Verkäufers und die Rechtlosigkeit der illegal eingewanderten Putzfrau.

Aus den vielfältigen Formen heterosexueller Existenzweisen und Beziehungsformen sind ebenso unterschiedliche emanzipatorische Praxen entstanden. In einigen wird die Verschränkung von Ökonomie und Sexualität direkt thematisiert - etwa in den Kampagnen »Lohn für Hausarbeit«, mit denen Feministinnen seit den siebziger Jahren die unbezahlte emotionale und reproduktive Arbeit von Frauen skandalisieren. Doch in den meisten ökonomischen Kämpfen verschwindet Sexualität - und in gewissem Maß auch Geschlecht - hinter einer als natürlich gesetzten Anordnung.

Erst wenn diese Dimensionen jedoch mitgedacht werden, lassen sich das Potenzial und die Grenzen sozialer Kämpfe einschätzen. Einiges spricht für die These, dass heterosexuelle Männlichkeit in den klassischen Arbeitskämpfen eine zentrale Rolle spielt(e) und ihnen von vornherein eine Tendenz zum Ausschluss und zur Abwertung von Frauen genauso wie die Verwerfung von Homosexualität eingeschrieben war. Unter Frauen scheint die Abwertung von Prostituierten lange Zeit eine ähnlich normative Funktion erfüllt zu haben. Hier könnte auch ein Grund dafür liegen, dass Frauenstreiks die Forderungen der Hurenbewegung nach Anerkennung und sozialer Absicherung ihres Berufs so selten berücksichtigten.

Diese Abwertung erhält jedoch das heterosexuelle Liebesideal als ideologisches Fundament fast aller Beziehungsmodelle aufrecht und verschleiert damit die ökonomischen Aspekte trauter Zweisamkeit. Dieses Ideal dauerhafter heterosexueller Paarbeziehungen nimmt in der gesellschaftlichen Regulation eine zentrale Position ein. Das zeigt sich an seiner ökonomischen Privilegierung ebenso wie am heftigen Widerstand gegen alle Versuche seiner Modernisierung, selbst wenn diese so harmlos daherkommen wie die Homo-Ehe.

Der Kapitalismus bringt Heterosexualität nicht nur in spezifischen Formen hervor, sondern ist in allen von Judith Butler bezeichneten Aspekten selbst als heterosexuelle Matrix organisiert: hierarchische Anordnung der Geschlechter, Zwang zur kohärenten geschlechtlichen Selbstdefinition und -darstellung, Heterosexualisierung des Begehrens, das im Konsum vermarktet wird. Da Butler jedoch die Verknüpfung ihrer Theorie mit politisch-ökonomischen Überlegungen nicht leistet, wird die Matrix leicht auf ein Zuweisungssystem für differente kulturelle Positionen reduziert.

Verstehen wir aber Geschlechterverhältnisse und Sexualität als ein Feld, auf dem sich die ökonomische Regulierung des Lebens vollzieht, dann offenbart der queere Blick auf die heterosexuelle Matrix jene Mechanismen von Einschluss, Ausschluss und Verwerfung, von Entmächtigung und Ermächtigung, die Ausbeutungsverhältnisse etablieren und aufrecht erhalten. Oder anders gesagt: die Produktion von geschlechtlicher, rassistischer und sexueller Differenz ist Voraussetzung und Teil der Verteilung ungleicher Positionen im Gefüge gesellschaftlicher Produktionsformen.

Für das Projekt einer queeren Ökonomiekritik ist eine Auseinandersetzung über ihre wichtigsten Begriffe notwendig, beginnend mit dem Begriff Ökonomie. Die hermetische Strenge der marxistischen Konzeption ist bekannt, ihre Auslassungen wurden vielfach feministisch kritisiert und vor allem um ein anderes Verständnis von Produktion erweitert. Das Konzept der Begehrensökonomie, wie sie Gilles Deleuze und Félix Guattari kapitalismuskritisch gegen die Psychoanalyse und ihre Normalisierungstendenzen entworfen haben, versucht, das Zusammenspiel psychischer, geistiger, körperlicher und ökonomischer Mechanismen zu fassen.

Allerdings wurde feministische Ökonomiekritik in der Queer-Theorie nur zum Teil rezipiert. Und statt der poststrukturalistischen dominiert eine von Lacan strukturalistisch und sprachtheoretisch entwickelte Vorstellung von Begehrensökonomie, deren kapitalismusaffirmative Verwendung in der Queer-Theorie Hennessy mit Nachdruck kritisiert hat. Sinnvoll wäre jedoch ein Begehrensbegriff, der von Deleuze und Guattari ausgeht und Begehren als a-subjektiven Motor von Geschichtlichkeit und Gesellschaftlichkeit theoretisiert.

Als »sexuelle Arbeit« bezeichnen die Berliner Feministinnen Pauline Boudry, Brigitta Kuster und Renate Lorenz Produktion und Repräsentation eines kohärenten Geschlechts und einer bestimmten Sexualität, die Teil von Arbeitsprozessen sind. Mit diesem Begriff lässt sich die Diskriminierung von Transsexuellen und Transgender-Personen auf dem Arbeitsmarkt ebenso untersuchen wie die Privilegierung gewisser sexueller Ausdrucksstile in Subkultur-Ökonomien; das Lächeln einer Stewardess ebenso wie die heterosexistische Arbeitsanordnung in lateinamerikanischen Maquiladoras.

Die Herstellung und Darstellung geschlechtlicher und sexueller Kohärenz im Arbeitsprozess ist für Unternehmen funktional: Sie sichert eine hierarchische Anordnung der Arbeitskräfte, gehört aber bei Dienstleistungen auch zum verkauften Produkt. Zugleich trifft der Zwang, sexuelle Arbeit zu leisten, auf das Begehren des Subjekts, in einem kohärenten Geschlecht mit erzählbarer Sexualität zu existieren und wahrgenommen zu werden.

Das Aufdecken der Zusammenhänge zwischen Sexualität und Ökonomie macht diese politisierbar. Queer-Theorie kann also für antikapitalistische Politik einiges an Begriffen, Konzepten und Analysen bereitstellen. Zugleich wird sie ihrer Strategie, die Regulation von und mittels Sexualität zu untersuchen, nur gerecht, wenn sie die kapitalistische Formierung von Sexualität und ihre Einschreibung in die Ökonomie stärker als bisher untersucht. Widersprüche innerhalb queerer Communities treten zutage, und zugleich werden neue Koalitionen zwischen Marginalisierten möglich. Falls queer ein politisches Anliegen hat, dann dieses.