Das britische Magazin ðWallpaperÐ

Hauptsache, es sieht gut aus

Von London über Theheran bis Wladiwostok: Das britische Magazin Wallpaper löst die Welt in Design auf.

Wir alle kennen die Innenstadtbezirke, wo die Galerien sind und wo die Multimedia-Firmen sitzen. Jede größere Stadt hat eine solche Gegend, und ihre Geschichte der vergangenen zehn oder fünfzehn Jahre ist überall die gleiche. Erst war es ein Arbeiterbezirk. Dann machten die Produktionsstätten dicht, ein paar Häuser wurden besetzt, die Fabriketagen wurden billig vermietet, WGs zogen ein und in den leer stehenden Läden siedelten sich Galerien an. Man konnte prima ausgehen, ein paar der Bohemiens gründeten irgendwelche Firmen, um ihre Kreativität zu Markte zu tragen, größere Agenturen wurden auf die Gegend aufmerksam, siedelten sich ebenfalls an, Boutiquen machten auf, Bioläden und Feinkostgeschäfte.

All diese Bezirke sind untereinander vernetzt. Sie werden durch Wege verbunden. Wege für die Bewohner - Taxi, Flughafen, Flugzeug, Flughafen, Taxi - und Wege für die diversen Güter und Dienstleistungen, also die Verbindungen zwischen den verschiedenen Galerien, Architekturbüros, Möbelgeschäften, Boutiquen und Restaurants.

Wie könnte es anders sein: Diese Innenstadtbezirke produzieren eine ganz bestimmte Form von Subjektivität, und wer deren ästhetische Oberfläche besichtigen möchte, nehme das britische Magazin Wallpaper zur Hand. »The stuff that surrounds you« lautet der Untertitel von Wallpaper, und das Prinzip der Zeitschrift kann man ungefähr so beschreiben: Die Lebenswelt dieser Innenstadtbezirke wird in ein Wahrnehmungsraster für die ganze Welt übersetzt. Radikal inklusionistisch - alle sind willkommen, solange ein Wille zum Stil erkennbar ist - und radikal ausdifferenziert. Die kleinsten Unterschiede und Details sind das, was zählt.

Ein Wallpaper-Heft muss man sich so vorstellen. Es wird über aktuelle Tendenzen im Wohnungsbau der slowenischen Hauptstadt Ljubljana berichtet, über die Renovierung des riesigen Wohnblocks Maison du Brézil bei Paris - jener Wohnanlage, die in den späten Fünfzigern von Lúcio Costa und Le Corbusier errichtet wurde und als wegweisend für den kommunistischen Wohnungsbau galt -, über das Einrichtungskonzept des Bally-Schuhladens auf dem Berliner Kudamm, über die Verpackungsgestaltung von brasilianischen Bräunungscremes, über das Design bulgarischer Bleistiftspitzer.

Dazwischen gibt es einen größeren Text über die Boombranche Kunstraub (»Why dirty your hands with drugs or arms? Stolen art is the most lucrative and stylish black market around (...). Logistically it's perfect: extortionately pricey, easily portable loot and crap security«), einen ausführlichen und gut recherchierten Artikel darüber, wie geistiges Eigentum gesichert wird (»When you've sketched out your latest multi-million-dollar product idea on the back of an envelope, you don't want it to be stolen (...). Head straight for the World Intellectual Property Organisation«), oder ein Bericht über eine Londoner Agentur, die die Seriosität von Geschäftsleuten prüft (»Imagine you're the manager of a succesful company and suddenly Boris, a Russian businessman, offers you a deal. He tells you it's all about natural gaz and money. Lots of money«).

Dazwischen werden ungezählte Designobjekte vorgestellt - Stühle, Vasen, Handtaschen, Fahrräder, Teebüchsen, Mayonnaisegläser, Lautsprecher. The stuff that surrounds you. Irgendwo auf der Welt. Hauptsache, es sieht gut aus.

Hätte die Wallpaper einen Chefideologen und argumentierte er politisch, so würde er sagen, all diese eindeutigen Ja/Nein-Unterscheidungen der Warenwelt zwischen Gucci und Prada, Coca Cola und Pepsi, BMW und Mercedes seien nichts weiter als symbolische Spätfolgen der alles entscheidenden Gegenüberstellung von USA und UdSSR. Und die gebe es nicht mehr. Heute gehe es um andere Dinge als darum, die Welt in zwei Seiten zu teilen, mit sauberen Grenzen, hier das, womit man sich identifiziert, dort das, was man nicht will.

Wallpaper kennt keine Grenzen, kein Außen. Nationen, Völker, Staaten: All diese identitären Zwangssysteme existieren für Wallpaper nicht. Es gibt Individuen, die eine Geschichte haben und schöne Dinge machen. Es gibt Orte, die eine bestimmte Geschichte haben und deshalb ihre Restaurants, Flughäfen und Autostoßstangen so gestalten, wie sie aussehen. Und all das steht zur Verfügung. Überall auf der Welt. Wallpaper argumentiert nicht politisch, nicht einmal postpolitisch. Wallpaper findet potenziell alles schön, was man kaufen kann. Dabei kommt die Zeitschrift weitgehend ohne kulturalistische Zuschreibungen aus. Wenn Wallpaper darüber berichtet, welches die am besten eingerichteten Restaurants von Teheran sind, dann geht es weniger darum, den Obskuritätsfaktor herauszustellen. Im Gegenteil: Selbstverständlich gibt es auch in Teheran Restaurants und Architekten, wer dort essen gehen will, der gehe da oder da hin.

Die Wallpaper-Welt ist eine Welt, deren Bewohner sich mit der gleichen Selbstverständlichkeit durch Delhi oder Wladiwostok bewegen wie durch London oder Berlin. Die Welt ist schließlich ein großer Innenstadtbezirk, mit leuchtenden Schaufensterauslagen und kreativen Köpfen, wo immer man ein Gespräch führt. Alle in dieser Welt sind gleich, weil sich alle unterscheiden.

Doch niemand sollte der Annahme verfallen, dies sei eine emanzipatorische Perspektive, auch wenn ihre Protagonisten das vielleicht gar nicht wissen. Nein, das ist es nicht. Die Bewohner der Wallpaper-Welt sind die progressivste Fraktion unter denen, die durchsetzen, was gemeinhin Globalisierung genannt wird. Ein Kapitalismus ohne eindeutigen Feind, ein Imperialismus ohne unbekannte Territorien. Notwendigerweise sind die Bewohner der Wallpaper-Welt blind für die realen Grenzen, denn Grenzen gelten schließlich für sie nicht. Die Wallpaper-Welt ist ähnlich strukturiert wie die Innenstadtbezirke, in denen die Leser des Magazins wohnen. Sie simuliert ein Zusammenleben aller mit allen, ein Nebeneinander der Unterschiedlichen. Prinzipiell ist willkommen, wer bezahlen kann. Alle anderen sind unsichtbar.

Wallpaper erscheint monatlich, ist im gut sortierten Zeitschriftenhandel zu bekommen und kostet DM 18