Neuer Krimi von Jakob Arjouni

So bin ich nicht

Jakob Arjouni ermittelt in der Ethnohölle. Im Offenbacher Adriagrill wird die deutsch-kroatische Freundschaft gepflegt.

Ob im Züricher Theater am Schiffbau oder in der Buchhandlung in Heppenheim: Wo Jakob Arjouni dieser Tage liest, ist ein vollbesetzter Raum garantiert. Zehn Jahre haben die Fans auf seinen neuen Krimi warten müssen, nun ist »Kismet« erschienen.

Arjouni war Anfang zwanzig, als ihm 1987 mit »Happy Birthday, Türke!« gleich der große Wurf gelang. Es folgten bis 1991 zwei weitere, sehr erfolgreiche Kayankaya-Krimis und die miserable Verfilmung durch Doris Dörie.

Dann war erstmal Schluss mit Frankfurt und dem herumschnüffelnden deutsch-türkischen Privatdetektiv. Arjouni verfasste Dramen, Erzählungen und den Roman »Magic Hoffmann«, dessen Schauplatz ausnahmsweise nicht Frankfurt, sondern Berlin im wiedervereinigten Deutschland war.

Heute ist Arjouni 36 Jahre alt, also, wie seine etwa gleichaltrige literarische Hauptfigur sagt, ein »alter Sack«. In »Kismet« lässt der gereifte Autor seinen gereiften Helden allerdings ein höllisches Tempo vorlegen. Kayankaya muss bei seinen Recherchen im Frankfurter Bahnhofsviertel Kopf und Kragen riskieren. Zu Beginn steckt er mit seinem Kumpel Slibulsky in einem Kleiderschrank. Ein kleiner Freundschaftsdienst für Romario, den Wirt des Saudade, einer armseligen »brasilianischen« Eckkneipe am Rande des Bahnhofsviertels. Schutzgelderpresser haben Romario den rechten Daumen abgeschnitten.

Kayankaya, mit seinem aktuellen Auftrag, der Suche nach Frau Beierles Hund Susi, nicht ausgelastet, nimmt sich der Sache an. Der Detektiv und der Ex-Knacki, der heute stolzer Inhaber von Gelati-Slibulsky ist, ahnen noch nicht, dass die Armee der Vernunft mit der Erpressung zu tun hat. Arjounis Frankfurt hat sich seit Kayankayas letztem Fall erheblich verändert.

In dem Moment, da Slibulsky und der Detektiv aus dem Schrank brechen, setzt eine Handlung mit atemberaubender Geschwindigkeit und Action wie in einem guten Hongkong-Film ein. Selten starb

es sich so schnell und so beiläufig in der deutschsprachigen Kriminalliteratur. Das hat allerdings nichts mit Zynismus zu tun. »Kismet« spielt vor der Kulisse der Jugoslawien-Feldzüge und der völkischen Wiederauferstehungen, die es ohne tatkräftige Unterstützung der »westlichen Freunde« nicht gegeben hätte. Auf der Suche nach der Armee der Vernunft und dem Ausgangspunkt für neue mörderische Spielregeln - »sie schossen sofort« - hetzt Arjounis Privatdetektiv quer durch die Stadt.

Kayankaya führt die Recherche an die Ränder der Metropole, an die angrenzenden Peripherien mit ihren heruntergekommenen Produktionsstätten und Asylunterkünften und nach Offenbach. »Auf einer hundert Meter breiten, von grauer Bürohausarchitektur gesäumten Straße fuhr man, wenn man es nicht besser wusste, so lange in die Stadt hinein, bis man wieder draußen war.«

Offenbach, der klassische Nichtort und Hinterhof. Hier gerät Arjounis Held unversehens in ein Netz geheimer Beziehungen, das, wie sich allmählich herausstellt, eine deutsch-kroatische Kriegsökonomie unterhält. Kayankaya wandelt zunehmend lädiert durch diese Geschichte und geht deswegen zwischendurch ganz gerne mit der 14jährigen Leila auf die Suche nach Susi.

Aufgewachsen ist Kayankaya in einer Zeit, als deutsche Luden noch westdeutsche Luden waren und als Albaner und Türken sich noch bestimmten Gruppen zuordnen ließen. Das war alles nicht gerade schön, aber irgendwie hatte er sich als Bewohner der alten Bundesrepublik zurechtgefunden. Aber heute?

»Klappe Halten! Herr Wirt, wat solln wa mit dit Schwein machen?« Die Glatze, von der Kayankaya in einem Offenbacher Adriagrill im Berliner Dialekt angepöbelt wird, ist nicht mehr Berliner, als Kayankaya Frankfurter ist. Allerdings hat sie daraus gänzlich andere Schlüsse gezogen: »Was is dit, na, was is dit?!« Arjouni karikiert durch die Perspektive seines deutschen Detektivs türkischen Namens den zoologischen Blick, mit dem Staat und Gesellschaft den »Ausländer« betrachten. Weinerliche oder moralisierende Klischees vom »guten« oder »armen« Ausländer gibt es deswegen aber nicht. Um solchem Missverständnis vorzubeugen, lässt Arjouni seinen Privatdetektiv im Rotlicht-Bezirk wohnen und auch wirklich dort leben. Während sich Cem Özdemir, Mitglied des deutschen Bundestags und grüner Edelkanake, damit brüstet, in der Disco sogar den Annäherungen von Sexagentinnen des türkischen Geheimdiensts zu widerstehen, besucht Kayankaya einmal in der Woche seine Deborah, eine Prostituierte.

»Kismet« steckt voller Details, genauer Betrachtungen und differenzierter Biografien. Die Bösen werden bekämpft, die Guten zusammengeführt, auch wenn sie nicht immer ganz korrekt agieren. Die Polizei spielt keine Rolle, ist höchstens dazu da, unfreiwillig Informationen zu liefern. Bei Arjouni, der eine klare gesellschaftliche Minderheitenposition vertritt und sie mit viel Humor und literarischer Sicherheit popularisiert, sind es eben die anderen, die cool sind und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Zwischen kleiner und großer Bühne geht es ständig hin und her. »Glauben Sie auch, dass die entscheidenden Fehler, die irgendwann später zum Bruch führen, ganz am Anfang gemacht werden, vielleicht schon beim ersten Treffen?« fragt eine Archäologin beim Essen, worauf Kayankaya aus dem Stegreif keine Antwort weiß.

Der in Frankreich und Berlin lebende Krimiautor, der mit Emir Kusturica befreundet ist und ihn gegen die Verleumdungen des deutschen Kriegsfeuilletons in Schutz genommen hat, setzt in seinen Büchern auf soziale Dekonstruktion statt auf ethnische Separation. Wenn Feridun Zaimoglus Kanak-Sprak sagen will: »Schaut mal her, so sind wir«, scheint Arjouni mit Kayankaya zu antworten: »Schau mal her, so bin ich nicht!«

Jakob Arjouni: Kismet - Ein Kayankaya-Roman. Diogenes, Zürich 2001, 265 S., DM 36,90