27.06.2001
Auf den Spuren des Nazi-Sonderbeauftragten Südost

Herrn N.s Projekte

Auf den Spuren von Hermann Neubacher, dem ehemaligen Nazi-Sonderbeauftragten Südost gemacht

Zwei Jahre nach dem Ende des Nato-Bombardements in Jugoslawien wird immer noch um politische Einschätzungen gerungen. Vor allem in Deutschland konzentriert sich die Diskussion immer wieder auf die Frage, inwieweit sich durch die Teilnahme am Nato-Luftkrieg deutsche Großmachtpolitik wiederholt bzw. erneuert habe. Kaum jemand kommt jedoch auf die Idee, tatsächlich zu recherchieren, inwieweit hier über bloße Vermutungen hinaus von historischen Kontinuitäten deutscher Politik gesprochen werden kann.

Ende April fuhr ich für den Film »Das Neubacher-Projekt« von Marcus J. Carney mit dem Historiker Nikolaus Wahl nach Jugoslawien und Mazedonien, um den Spuren von Hermann Neubacher zu folgen. Neubacher war in der nationalsozialistischen Hierarchie als Sonderbeauftragter Südost vor allem für die Ausplünderung Rumäniens, Serbiens und Bulgariens zuständig.

Abgesehen davon hatte Neubacher auch »die unabhängige Gründung des Staates Albanien auf eigene Initiative« hervorgebracht. So lautete der so genannte Führerbefehl, den Neubacher eifrig durch die Installation eines Quisling-Regimes realisierte. Das Ziel unserer Reise war, anhand eines konkreten Beispiels zu überprüfen, inwieweit die Spuren der deutschen - und österreichischen - Besatzung in der Gegenwart aktualisiert werden.

An das ehemalige Konzentrationslager in Sabac im Sava-Drina-Dreieck erinnert nur eine kleine Tafel an der alten türkischen Festung. Bekanntlich wüteten die deutschen Besatzungstruppen in Serbien auf besonders brutale Weise. Hier wurden der systematische Terror gegen die Bevölkerung und der zehntausendfache Mord an Juden, Roma und Kommunisten vor allem von der Wehrmacht verübt.

Anlässlich eines Feldzugs gegen die Zivilbevölkerung, die der Unterstützung von Partisanen verdächtigt wurde, erschoss eine einzige Wehrmachtsabteilung, die 342. Infanteriedivision, 1941 im Laufe von nur vier Wochen 4 408 Personen und internierte 25 735 weitere im KZ Sabac. Dort lebten sie unter erbärmlichen Bedingungen im Freien. Weitere 1 000 Personen wurden im KZ von Polizeieinheiten ermordet.

Heute findet sich vom KZ außer der Gedenktafel keine Spur mehr. Unübersehbar sind aber die Spuren des Nato-Bombardements. Der Ort liegt am Ufer der Sava zwischen einer Polizei- und einer Militärkaserne. Die Militärkaserne wurde während der Angriffe von mehreren Luftschlägen völlig zerstört. Tatsächlich wurden die meisten ehemaligen KZ der deutschen Besatzungstruppen von Nato-Marschflugkörpern getroffen, darunter auch das berüchtigte Konzentrationslager von Belgrad Banjica. Dort wurden hauptsächlich Regimegegner interniert, und dort befindet sich auch heute wie damals eine Kaserne.

Die Übereinstimmungen zwischen den Zerstörungen in Vergangenheit und Gegenwart erscheinen hier frappant. Allerdings wird uns sehr schnell klar, dass diese Übereinstimmungen außer uns eigentlich niemand bemerkenswert findet. Als wir bei unseren Dreharbeiten routinemäßig festgenommen werden, schauen uns die Polizisten verständnislos an: KZ? Gibt's hier nicht. Erst auf wiederholte Nachfrage erinnern sie sich vage. Viel wichtiger ist ihnen der Hinweis auf die Schlacht im Cer-Gebirge während des Ersten Weltkriegs. Dort gewannen serbische Truppen gegen österreichisch-ungarische. Der erste Sieg der Alliierten, wie sie stolz anmerken.

Diese relativ desinteressierte Haltung findet sich bei den meisten der Protagonisten wieder, die wir an den Stätten von Neubachers Wirken antreffen. Wo Neubacher in Belgrad nach Kriegsende als Kriegsverbrecher im Gefängnis saß, befindet sich jetzt eine technische Universität. Dort befasst sich der Professor für Hüttenwesen, der uns freundlicherweise die Örtlichkeiten zeigt, vor allem mit den massiven Umweltschäden, die vom Nato-Bombardement hervorgerufen wurden. Die vom Krieg und durch die Sanktionen verursachte Knappheit an Mitteln beschäftigt ihn wesentlich mehr als die Geschichte des Gebäudes als Gestapo-Gefängnis.

Es stellt sich heraus, dass fast jeder der Professoren hier inhaftierte Familienmitglieder hatte. Die einen waren Gestapo-Häftlinge, die anderen wurden erst nach dem Krieg von Titos Geheimpolizei UDBA inhaftiert. Die ehemalige Exekutionsstätte der Gestapo ist heute eine beliebte Techno-Disco der Studentenschaft.

Mit der so genannten Gedenkkultur ist es in Belgrad nicht weit her. Während die Grundsteinlegung des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden und das Bombardement der ehemaligen KZ in Serbien im Abstand von wenigen Wochen stattfanden, wird die Errichtung einer größeren Gedenkstätte in Zemun/Novi Beograd seit zehn Jahren verschoben, erzählt Aleksandar Mosic, ein Erdölingenieur und ehemaliger Partisanenhauptmann. Wegen der Kriege und Sanktionen seien keine Mittel vorhanden gewesen, um die geplante Gedenkstätte zu realisieren.

Von hier aus fuhr der so genannte Gaswagen mehrmals täglich über die Savabrücke in die Stadt. Durch die Einleitung von Abgasen ins Wageninnere wurden innerhalb weniger Wochen die Jüdinnen und jüdischen Kinder Serbiens ermordet. Die Männer waren bereits vorher erschossen worden. An der Denunziation der Belgrader Juden hatten sich allerdings auch die christlichen Mitbürger eifrig beteiligt. Sie zeigten bei den deutschen Besatzern mehr Juden an, als zu der Zeit überhaupt in der Stadt lebten.

Die deutschen Verantwortlichen für diese Massaker benutzten den alten Flugplatz. Der albanische »Staatsgründer« Neubacher, der erst nach der Ermordung der serbischen Juden in Belgrad eintraf, landete ebenfalls hier. Außen ein paar Hangars, an denen Löwenbräu-Reklametafeln hängen, im Innern der Hangars hat sich ein Filmstudio angesiedelt, in dem derzeit eine Komödie über das Alltagsleben in Belgrad gedreht wird. Wo einst die Rollbahn war, ist jetzt eine Stadt aus Decken, Holzverschlägen und Kartons entstanden. Hier wohnen Roma aus dem Kosovo.

Die ersten von ihnen flohen vor den Nato-Bomben, andere wurden erst vor einem Jahr aus ihren Häusern im Kosovo vertrieben. Viele Grünflächen des modernen Novi Beograd sind von diesen Zeltstädten kosovarischer Roma belegt, wie viele Flüchtlinge hier leben, kann uns niemand genau sagen. Allein in der Siedlung am Flugplatz sind es mehrere Hundert. Da das Gelände jetzt privatisiert wird, müssen diese Zeltstädte weichen - wohin, weiß niemand.

Ob sich aus diesen Beobachtungen historische Kontinuitäten ableiten lassen oder nicht, ist vor allem eine Frage der Perspektive. Während sich für meinen Blick immer wieder Übereinstimmungen aufdrängen, erscheinen sie, eigentlich allen, mit denen wir gesprochen haben, sehr weit hergeholt und für die Analyse der Gegenwart nicht besonders relevant; auch Herrn Mosic, einem Mitglied der Partisanenmarine, der beide Eltern durch die faschistische Auslöschungspolitik der Deutschen verlor.

Der Grund dafür ist aber nicht, dass die Verbrechen der Faschisten in Vergessenheit geraten sind. Es geht vielmehr darum, dass eben diese Faschisten von entschlossenen Kämpfern wie Herrn Mosic besiegt wurden. Somit verlieren sie auch an Wichtigkeit.

Vielleicht ist dies das größte Manko der deutschen Diskussion: dass sie die eigene Wichtigkeit überschätzt und die Perspektive jener, die die Faschisten historisch besiegt haben, negiert.