Interview mit dem Schauspieler Henry Hübchen

»Alle sind politisch verantwortlich«

Gregor Gysi als Kultursenator des bankrotten Berlin - ist das eine gute Lösung? Und wie politisch muss Theater sein? Ein Gespräch mit Henry Hübchen, Schauspieler an der Berliner Volksbühne

Voriges Jahr haben Sie zusammen mit Frank Castorf den Berliner Theaterpreis der Stiftung Preußische Seehandlung entgegengenommen. Was empfinden Sie bei der Vorstellung, dass dieser Preis demnächst von einem Kultursenator namens Gregor Gysi ausgehändigt wird?

Bisher präsentiert sich Gysi nur als möglicher Kandidat für die Abgeordnetenhauswahlen. Ich glaube nicht, dass er Berliner Bürgermeister wird. Vielleicht bekommt Gysi auch gar kein Amt. Die SPD besteht ja immer noch aus irgendwelchen Gründen - sagen wir mal aus Sauberkeitsgründen - darauf, sich von der PDS zu distanzieren. Offiziell wollen alle nichts mit der PDS zu tun haben. Stattdessen beschwören sie die alten Feindbilder.

Und wie ist Ihre persönliche Ansicht?

Es wäre durchaus angenehm, wenn Gregor Gysi in dieser Stadt ein Amt betreuen würde - wenn er vielleicht sogar den Kultursenator geben würde. Aber keine Ahnung, wie das wäre, wenn er Bürgermeister würde.

Gilt das nur für Gysi oder für die gesamte Partei?

In der Opposition ist die PDS momentan stark und deswegen auch sehr wichtig. Ich möchte sie aus dieser Parteienlandschaft nicht wegdenken.

Der Nachrichtensender n-tv hat vor kurzem gefragt: »Ist die PDS eine demokratische und zuverlässige Partei?« Was hätten Sie darauf geantwortet?

Wenn die PDS undemokratisch wäre und nicht zum Grundgesetz stünde, dann würde es die Partei jetzt gar nicht geben. Da würden die Konservativen schon für sorgen. Das haben sie ja auch schon versucht. Also, offensichtlich ist das eine demokratische Partei.

Viele, die der PDS nahe stehen, befürchten regelrecht, dass die Partei Regierungsverantwortung übernimmt. Auch mit Gysi als Bürgermeister müsste sie dann im bankrotten Berlin derart unpopuläre Maßnahmen durchsetzen, dass sie daran zerrieben werden könnte.

Das sind alles Zukunftsorakel, die mich absolut nicht interessieren. Fakt ist, dass diese Haushaltsmisere unter der Großen Koalition mit all ihren Seilschaften und Versumpfungen entstanden ist. Berlin hatte die ganze Zeit eine so schlechte Regierung, die derart abgewirtschaftet hat, da kann es gar nicht mehr schlimmer kommen. Das kann wirklich keiner unterbieten.

Was würden Sie besser machen?

Keine Ahnung, wie man eine Stadt saniert. Mir ist ja schon der Etat der Volksbühne ein Buch mit sieben Siegeln. Am liebsten würde ich mir mal die Zahlen zeigen lassen, weil da so viel Geld verschleudert wird. Ähnlich ist es wohl auch in Berlin. Ich bin überzeugt, dass in dieser Stadt so viel Geld verschleudert wird, weil die, die es ausgeben, es nicht selbst erarbeiten müssen. Das wird einfach verballert, weil es alles Fremdgeld ist: Mein Geld, dein Geld, ihr Geld. Und keiner muss da Rechenschaft ablegen.

Ein Vergleich von Gregor Gysi mit Joseph Fischer drängt sich auf. Fischer hat in den achtziger und neunziger Jahren den grünen Fundis das Wasser abgegraben und jegliches emanzipatorische Potenzial erstickt - bis die Grünen zur dieser Öko-FDP wurden, die sie jetzt sind. Droht der PDS mit Gysi ein ähnliches Schicksal?

Vielleicht. Wenn eine Partei Regierungsverantwortung übernimmt, sieht sie die Welt mit anderen Augen. Ich kann da nur von mir selbst ausgehen. Immer wenn ich Verantwortung übernehme, muss ich anders denken. Das ist eben etwas anderes als wenn ich ohne jegliche Verantwortung - am besten auch noch am Biertisch - räsonnieren kann, wie etwas nicht geht.

Und das reicht nicht aus, um es besser zu machen?

Um eine Brücke zum Theater zu schlagen: Das vergisst auch Frank Castorf immer. Denkend kann man nicht spielen. Denken verhindert Kreativität. Und deswegen reicht Denken allein nicht aus. An der Volkbühne kriegen wir das auch oft nicht hin. Aber das ist nicht so schlimm. Die gesamte Theaterlandschaft liegt ohnehin so darnieder, dass man selbst mit halben Sachen noch einen gewissen Erfolg erzielt.

Die Hoffnung auf eine wirkliche gesellschaftliche Veränderung nach der Ära Kohl starb, als Lafontaine ging und Schröders Anbiederungskurs an die Wirtschaft freien Lauf ließ. Als die Nato Jugoslawien bombardierte, hat es Ihnen an der Volksbühne offenbar die Sprache verschlagen und es kam nur zu einer verängstigten und zögerlichen Oppositionshaltung.

Ganz so war es ja nicht. Es gab ja jemanden, der sogar ins Kosovo gereist ist, das war Christoph Schlingensief. Der meinte, wir sollten jetzt die Volksbühne zumachen und voller Asylanten stecken. Für mich ist das vollkommenener Unsinn - selbst als Zeichen. Bei all dem Fürchterlichen, was da in Jugoslawien passiert ist und passiert, muss man noch mit seinen eigenen Waffen arbeiten. Wir hätten Stücke aufführen sollen, die künstlerisch diese Situation reflektieren.

Aber Schlingensief hat Aufmerksamkeit erregt.

Schlingensiefs Aktion war vor allem ohne Ende eitel. Das ist nur jemand, der die Kameras, die das Elend der Welt zeigen, nutzt, um sich davor zu stellen. Das ist zynisch. Mir wäre symphatischer gewesen, er hätte einen Sanitätskoffer dabeigehabt und hätte einfach nur eine Arbeit getan, als Sanitäter. Aber dafür ist er offensichtlich zu blöd. Das kann er wieder nicht. Obwohl er Apothekersohn ist.

Wie also engagiert man sich richtig?

Das ist die Frage: Ist es richtig, sich auf die Schienen zu setzen, wenn der Castor rollt? Oder ist es falsch? Ist es richtig, wenn die Nato Bomben auf Jugoslawien wirft? Oder ist es falsch? Das Problem dieser Gesellschaft ist, dass alle Themen so komplex sind. Deswegen stehe ich dem total hilflos gegenüber.

Wie viel politische Verantwortung haben Sie als Schauspieler?

Es hat jeder politische Verantwortung, der hier lebt. Und ein Schauspieler vielleicht ein gewisses Maß mehr als ein Orthopäde, weil er sich mit der Gesellschaft beschäftigt. Ich verstehe Theater als eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und mit dem Zeitgeist. Es geht nicht darum, Antworten zu geben, sondern darum, Fragen zu stellen, zu provozieren, zu verunsichern. Wer nicht verunsichert ist, stellt keine Fragen.

Wird das denn wirklich umgesetzt?

Wenn ich mir die Theaterlandschaft anschaue, sehe ich viele Leute, die mit dem sehr diffusen Anspruch, Kunst zu machen, Theater herstellen oder eine Aufführung herstellen. Aber das ist meist nichts weiter als eine Spiegelung ihrer eigenen Hilflosigkeit. Da begreift doch fast keiner, wenn er Theater macht, dass das eine politische Dimension haben muss, eine politische Aktion ist, politische Arbeit ist.

Man sieht nur Befindlichkeiten. Ein lustloser, unterhaltungsloser, gedankenloser Betrieb. Wie im Fernsehen auch. Aber die machen das wenigstens nicht mit dem Anspruch, hehre Kunst zu machen.

Was also kann das Theater überhaupt bewirken?

Ich glaube nicht an Theater. Ich bin vom Theater maßlos enttäuscht. Und es langweilt mich zu Tode.

Hat sich in Ihrem Leben denn so etwas wie ein Leitgedanke herauskristallisiert? Ein Wegweiser für das eigene Handeln, auch wenn alles Umgebende in eine andere Richtung strömt?

Ein Leitgedanke - wozu? Ich bin doch kein Metaphysiker. Das ist ja das Schlimme: Ich bin mehr Pragmatiker und Realist.

Henry Hübchen ist einer der wenigen Deutschen, die von West nach Ost übersiedelten. Im Gründungsjahr der Bundesrepublik und der DDR, 1949, zogen seine Eltern mit dem damals zwei Jahre alten Henry von Berlin-Charlottenburg gen Osten. Nach gescheiterten Versuchen als Musiker wurde er Schauspieler an der Volksbühne. 1974 gab er dort sein Debüt, seither hat er häufig mit dem Regisseur Frank Castorf zusammengearbeitet, der so etwas wie sein persönlicher Regisseur geworden ist. Das Duo Hübchen-Castorf schmeißt mehr oder weniger gemeinsam das Theater und mischt sich gegebenenfalls auch in die Hauptstadtpolitik ein.