Unruhen auf Jamaika

No Love Peace

Die Unruhen auf Jamaika sind das Ergebnis des wirtschaftlichen Niedergangs der Insel.

One Love Peace« lautete im April 1978 das Motto eines Reggae-Festivals für den Frieden auf Jamaika. Bob Marley schaffte es am Ende des Konzerts, den damaligen Premierminister, Michael Manley von der People's National Party (PNP), und seinen Widersacher von der Jamaica Labour Party (JLP), Edward Seaga, dazu zu bewegen, sich die Hände zur Versöhnung zu reichen. Vorangegangen waren jahrelange gewaltsame Kämpfe zwischen Anhängern beider Parteien.

Heute, knapp 20 Jahren später, kommt es immer noch zu bewaffneten Auseinandersetzungen in Kingston, der Hauptstadt Jamaikas. Höhepunkt der sich seit April wieder häufenden Konflikte war der Einmarsch von Spezialeinheiten der jamaikanischen Polizei in den Stadtteil Tivoli Garden am 7. Juli, die dort vermutete Waffen von so genannten kriminellen Banden konfiszieren wollten.

Diese Invasion löste schwere Straßenkämpfe aus, in deren Verlauf die Anti-Aufstandseinheiten oft auch Schusswaffen einsetzten. Drei Tage währten die Unruhen; sie wurden erst beendet, als der amtierende Premierminister Percival J. Patterson von der PNP 3 000 Soldaten in die Hauptstadt einmarschieren ließ. 28 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen getötet, neben vier Polizisten und Soldaten viele unbeteiligte Zivilisten, die in die Schusslinien der Polizei- und Armeeverbände geraten waren. Nicht ausgeschlossen, dass die Polizeioperation den Vorwahlkampf einleitete; im Frühjahr 2002 sollen Parlmentswahlen auf Jamaika stattfinden, und die oppositionelle JLP führt derzeit in den Umfragen.

Tivoli Garden ist eine Hochburg der JLP, der Edward Seaga immer noch vorsteht. Er machte am Tag nach den Straßenkämpfen die Polizei und die Regierung für die Gewalt verantwortlich und rief seine Anhänger zu weiteren Protestaktionen wie Straßensperren auf.

Die Regierung wiederum beschuldigte die Bewohner Tivolis, sie hätten die anrückenden Polizisten mit automatischen Waffen beschossen. Wegen der politischen Vorwürfe und des medialen Drucks nach dem martialischen Polizeieinsatz musste Ministerpräsident Patterson eine Untersuchungskommission einsetzen, die »eine vollständige und objektive Untersuchung aller Aspekte der Angelegenheit« garantieren soll.

Die »Straßengangs« waren in den siebziger Jahren von den beiden Parteien aufgebaut und unterstützt worden, um den politischen Konflikt auf die Straße zu tragen. Mittlerweile haben sie eine gewisse Autonomie erlangt, nicht zuletzt weil sie sich auf dem informellen Drogenmarkt betätigen.

In Kingston aber hat sich die Polarisierung zwischen den Parteien in den Stadtvierteln fortgesetzt. Die Distrikte der Hauptstadt sind zwischen PNP und JLP aufgeteilt. »Für Anhänger der feindlichen Partei ist es noch heute lebensgefährlich, im falschen Stadtbezirk aufzutauchen«, erzählt ein 20jähriger Anwohner dem Jamaica Observer. Militärischen Lagern gleich, werden die Viertel »Garnisonen« genannt und von parteitreuen Vasallen verwaltet. Für die Akquise von Wählerstimmen werden die Stadtteilführer mit politischen Posten und mit Unterstützung beim Aufbau lokaler Bildungs- und Gesundheitsstrukturen belohnt.

Politische Beobachter machen dieses Patronagesystem für die Auseinandersetzungen im Juli mitverantwortlich und fordern ein neues Proporz- und Verhältniswahlrecht, das die Bildung neuer Parteien fördern und die Loyalitätsstrukturen aufweichen könnte.

Schwerer aber wiegt, dass das wirtschaftliche Entwicklungsmodell Jamaikas, das in den siebziger Jahren auf der sozialdemokratischen, eine unabhängige wirtschaftliche Entwicklung betreibenden Politik der PNP, in den achtzigern auf den bekannten IWF-Konzepten beruhte, weitgehend gescheitert ist. Die seit den fünfziger Jahren erschlossenen Bauxitminen und die Aluminiumproduktion - aus diesen Bereichen stammt die Hälfte des jamaikanischen Exports - haben keine beständige Industrialisierung bewirkt.

Zudem unterliegen die Preise für agrarische Exportprodukte wie Zuckerrohr, Bananen und Kaffee starken Schwankungen. Auf der Insel hat sich eine Anzahl Sweatshops der US-amerikanischen Textil- und Bekleidungsindustrie mit Niedriglöhnen und prekären Arbeitsbedingungen angesiedelt.

Einzig die Tourismusindustrie setzte seit den sechziger Jahren im Norden der Insel zu einem unaufhaltsamen Siegeszug an. Der Boom des Tourismus konnte jedoch die wirtschaftlichen Probleme nicht kompensieren. Die Arbeitslosigkeit ist mit offiziell rund 15 Prozent hoch, ein Drittel aller Jamaikaner lebt mittlerweile unter der Armutsgrenze.

Die Privatisierung der Staatsbetriebe hat statt zum erhofften Konjunkturaufschwung zu neuen Problemen geführt. So müssen beispielsweise die privatisierten Elektrizitätsbetriebe bis November regelmäßig den Strom abschalten, weil die Kapazitäten der Kraftwerke nicht mehr ausreichen.

Seit Jahren verringert sich das Sozialprodukt, und die Bedienung der hohen Auslandsschulden belasten den Haushalt. Der gesamtwirtschaftliche Abwärtstrend führte so weit, dass sich politische Kommentatoren des Jamaican Observer in die siebziger Jahren zurücksehnen, weil die Nachbarinsel Kuba »heute jedenfalls in sozial- und bildungspolitischer Sicht besser« dastehe.

Die Schießereien in Kingston schaden nun auch der Tourismusbranche. Aufgeschreckt durch Nachrichten von der »kriminellen und gewaltverseuchten« Insel stornierten ausländische Touristen ihre Reisen. Um das Image aufzubessern, gab die Regierung der PNP ein fünf Millionen Dollar teures PR-Programm namens »Operation Grow« in Auftrag.

Dem Tourismus förderlich sollte auch das alljährlich Anfang August stattfindende »Sumfest« sein, ein Musikfestival, bei dem alle bekannten Stars der populären Reggae-, Roots- und Dancehall-Musik auftreten. Aber das »Feel-Good-Festival« sandte eine andere Message als Love, Peace and Happiness. Am vorletzten Donnerstag ging nach verbalen Auseinandersetzungen zwischen den MCs Bounty Killer und Beenieman auf der Bühne ein Flaschen- und Steinhagel aus dem Publikum nieder, die Security reagierte vor der versammelten Weltpresse mit Warnschüssen in die Luft.