Sat.1 steigt ab

Senderseuche

Die miserablen Einschaltquoten des Fußball-Formats »ran« liefern den endgültigen Beweis: Zum ersten Mal gibt es in Deutschland einen klaren Fall von Senderseuche. Und sie hat, für Experten nicht weiter verwunderlich, zuerst Sat.1 erwischt.

Erste Symptome tauchten schon vor einigen Jahren auf. Damals beschloss der Bällchensender, jetzt aber auch ganz dringend ein ähnlich quotenträchtiges Format wie das RTL-Boulevardmagazin »Explosiv« zu installieren. Das Blöde daran war nur, dass es eben dieses »Explosiv« bereits gab - »Blitz« schaffte mit der geklauten Mischung aus Promitratsch, weinenden Müttern und Polizeiberichten zwar nicht annähernd die Quote des Vorbilds, aber immerhin guckten gerade so viele Menschen zu, dass die Sendung nicht eingestellt werden musste. Im Gegensatz zu einer hastig konzipierten Soap, deren Titel niemand mehr kennt. Die angestrebte Zielgruppe verweigerte sich und schaute lieber weiter den Umtrieben von Joe Gerner auf RTL zu. Von einem Tag auf den anderen wurde die Serie schließlich abgesetzt.

Dies wäre für Sat.1 vielleicht ein guter Zeitpunkt gewesen, eigene Ideen zu entwickeln. Stattdessen machte man weiter nach. Jeder blonden Talkerin auf RTL wurden gleich zwei andershaarige entgegengesetzt, die sich tapfer bemühten, die größtmögliche Anzahl dummer, einander lautstark anschreiender Menschen durch ihre Sendungen zu schleusen. »Du sollst François nicht immer Neger nennen!« - »Aber er ist doch einer. Und er versteht doch sowieso kein Deutsch!« - »Er hat einen Vornamen ...« - »Ach, und den versteht er, ja?« Selbst nachdem das große Vorbild erkannt hatte, dass derartige Dialoge nicht mehr zur Massenunterhaltung taugten, wurde bei Sat.1 trotz schlechter Quoten gepöbelt wie auf einem Dorffest kurz vor der Sperrstunde.

Weitere Symptome der Senderseuche folgten. Selbstproduzierte Spielfilme floppten, die mit großem Werbeaufwand gestartete Real Life-Serie »Girlscamp« kam weitgehend ohne Zuschauer aus, selbst die hastig installierten Quizsendungen waren nicht der erhoffte Erfolg. Bis auf das von Jörg Pilawa geleitete Abfrage-Event, das trotz des schlechten Sendeplatzes (Sat.1) äußerst beliebt war. Pilawa scheint jedoch ein ausgesprochener Senderseuchenerkenner zu sein, kurz entschlossen verließ er das sinkende Schiff und heuerte bei der ARD an.

Es folgte das Fußballdebakel. Während die Verantwortlichen beteuern, gaaanz gelassen zu sein und zuversichtlich in die Zukunft zu schauen, bzw. Uli Hoeneß in der Springerpresse wirre Erklärungen abgeben lassen (»Ich hätte bei dem schönen Wetter auch nicht 'ran' eingeschaltet«), haben die Zuschauer eine neue Freizeitbeschäftigung entdeckt: den Sat.1-Boykott.

Das macht Spaß, zumal man damit regelmäßig montags in den Schlagzeilen erscheint. Und mittlerweile sogar Geld mit dem Nichthinsehen verdienen kann. Der österreichische Buchmacher Intertops bietet seit Neuestem Wetten auf die 'ran'-Quote an. Bei mehr als 2,2 Millionen Zuschauern gibt's 20 Mark für zehn, und wenn selbst Bild sich nicht verkneift nachzutreten (»Hoffnungsschimmer für 'ran': Bei weniger als zwei Millionen Zuschauern zahlt Intertops 30 Mark Gewinn bei zehn Mark Einsatz«), kann man den Seuchenladen eigentlich gleich dicht machen.