Sven Regener, Musiker und Buchautor

»Bin schließlich kein Kleinkünstler«

Es ist eine kleine Welt, die Herr Lehmann bewohnt, der Held des gleichnamigen Romans von Sven Regener. Kreuzberg im Sommer 1989. Drei Kneipen, vier Straßen, fünf Freunde. Alle sind irgendwann einmal aus Westdeutschland nach Kreuzberg gekommen und dann hängen geblieben. Alle arbeiten in irgendwelchen Jobs, sind aber »eigentlich Künstler«. Nur Herr Lehmann nicht, der ist Kellner. Es sind zwanzig Anekdoten, in denen »Herr Lehmann« einen eigenartigen Stillstand protokolliert, ein Gefühl, als sei eine Zeit an ihr Ende gekommen. Sven Regener weiß, wovon er schreibt. Mit seiner Band Element Of Crime ist er genau seit jenen späten Achtzigern der Chronist eines Kreuzberger Lebensgefühls.

Nach 16 Jahren als Sänger von Element Of Crime haben Sie jetzt mit »Herr Lehmann« einen Roman geschrieben, dem selbst Marcel Reich-Ranicki seinen Segen erteilt hat. Wird der Erfolg als Autor die Band verändern?

Veränderung ist normal. Wie jeder andere Mensch verändern auch wir uns mit den Jahren. Zumal wir innerhalb der Band schon immer sehr unterschiedliche Typen waren. Es ist ja ein Wunder, dass es uns schon so lange gibt. Wir machen alle zwei bis drei Jahre eine neue Platte. Dazwischen liegen Zeiten, wo wir uns kaum sehen und wir auch nicht wissen, wie es mit Element Of Crime weitergeht.

Das Erscheinen des Buches wirft ein neues Licht auf die Gruppe. Ist Sven Regener der Chef, sind die anderen womöglich nur Statisten?

Das liegt daran, dass ich als Sänger immer vorne stehe und auch die Interviews gebe, weil viel nach den Texten gefragt wird. Mehr als uns vielleicht lieb ist. Dadurch treten die anderen ungerechterweise in den Hintergrund. Das gehört aber zum Wesen einer jeden Band. Der Wirbel um das Buch hat diesen Effekt noch verstärkt. Das ist sicherlich nicht leicht für die anderen. Dabei bin ich gar nicht der Typ, der so wahnsinnig darauf steht, in der Öffentlichkeit verhackstückt zu werden. Vielleicht wird man erst dann, wenn es Element Of Crime nicht mehr gibt, die spezielle Qualität dieser Band erkennen - ganz unabhängig von mir. Mir ist auch erst spät klar geworden, dass Ringo Starr kein Depp war, sondern ein erstklassiger Schlagzeuger.

Ihre Texte sind oft skurrile Beobachtungen. Passieren die eher beiläufig?

Ich nehme alles so wahr, wie es ist und lebe dabei ganz normal. Das läuft ja nicht so, dass ich über Dinge singe, die ich irgendwo mal gesehen hätte. Die Texte entstehen zur Musik, die Musik ist immer zuerst da. Wenn man versucht, dazu Worte zu finden, kommen solche Sachen einfach hoch. Die können erlebt sein, aber auch ausgedacht. Die Texte bekommen erst im Zusammenhang mit der Musik eine Qualität. Sie allein sollte man nicht überschätzen.

Ist es Ihnen manchmal peinlich oder unangenehm, wenn Menschen in Ihren Texten nach Antworten suchen?

Man kann das tun, aber man sollte das besser nicht auf mich persönlich projizieren, weil ich vielleicht gar nicht der Typ bin, der Antworten geben kann. Jeder sucht doch irgendwo nach Antworten. Das lasse ich gern zu, solange es nicht auf meine Person gemünzt wird.

Wird aber gemacht. Im Internet gibt es ein Diskussionsforum, da zerbrechen sich Menschen über Ihre Texte den Kopf. Gucken Sie da manchmal rein?

Selten. Ich finde das völlig okay, irgendwie auch lustig. Wenn das eine Möglichkeit ist, sich an diesen Songs zu erfreuen. Wir erachten unsere Stücke gar nicht als so anspruchsvoll und hoffen einfach, dass Leute diese Lieder mögen - aus welchem Grund auch immer. Jeder kann damit umgehen, wie er will, und gerne darüber diskutieren. Es geht doch nicht darum, was ich meine. Die Leute sollen über sich selbst reden, denn in diesem Moment gehört diese Musik ihnen und nicht mehr mir.

Steht »Herr Lehmann« in irgendeinem Zusammenhang mit Ihrer Arbeit mit Element Of Crime?

Überhaupt nicht. Beim Schreiben habe ich nicht für fünf Pfennig an Songtexte gedacht. Es war wohl eher so wie bei jedem anderen, der ein Buch schreibt. Allerdings habe ich mich lange davor gescheut, als Sänger von Element Of Crime auch noch mit einer Buchveröffentlichung hervorzutreten. Man muss ja nicht überall mitmischen. Das erste Kapitel lag dann ein paar Jahre in meiner Schublade, das habe ich eher aus einer Laune heraus geschrieben und einer Freundin zum Geburtstag geschenkt.

Was hat dazu geführt, schließlich doch an die Öffentlichkeit zu treten?

Mein Interesse an der Hauptfigur. Ich selbst bin ja ganz anders, deshalb hat mich Herr Lehmann von Anfang an so fasziniert. Er ist ein Kind seiner Zeit, aber in einer untypischen Ausprägung, weil er sich in seiner eigenen Umgebung verdächtig macht. Ich schiebe ihn aber ungern als Symbol nach vorne, er hat eine eigene Art zu denken und mit den Dingen umzugehen. Wenn man das Buch liest, muss man sich zunächst auf diesen Mann einlassen. Deshalb wird er auch sehr ausführlich eingeführt. Dann erst gewinnt die Story ihren Drive.

Die Geschichte endet mit dem Mauerfall. Ist das Buch ein Wende-Roman?

Aus westlicher Sicht kann man eigentlich gar keinen großen Wende-Roman schreiben, deshalb habe ich das Ereignis auch nur am Rande behandelt. Die Absicht war ja von vornherein, einen Roman über Herrn Lehmann zu schreiben. Es hat aber seinen speziellen Reiz, dass am Ende die Mauer fällt. Nach und nach brechen Dinge in Lehmanns Leben ein, die er nicht auf dem Zettel hat. Der ganz große Hammer kann ihn dann gar nicht mehr erschüttern, weil sein Leben eine viel extremere Wendung genommen hat.

Wann war das Leben in Berlin spannender - vor oder nach der Wende?

Das kann ich nicht sagen. Solche geschichtlichen Ereignisse haben eine große Bedeutung, aber es gibt noch ganz andere Dinge, die uns im Leben passieren und mindestens ebenso bahnbrechend sind. Damals war ich 29 Jahre alt - jetzt bin ich 40. Es gibt immer schöne und weniger schöne Momente im Dasein. Man lebt ja nicht nur im Fernsehen und in diesen politischen Geschichten. Das Glück wird noch von ein paar anderen Elementen beeinflusst.

Die meisten Menschen denken, dass das Leben eines Popstars aus Glamour und Abenteuern besteht. Ist das so?

Das ist natürlich möglich, dafür muss man sich aber ziemlich anstrengen. Das Glamouröse wirkt immer nur glamourös aus der Distanz. Das ist das Geheimnis. Das Glamouröse ist wie das Brandenburger Tor: Je weiter man weg ist, desto größer wirkt es. Je näher man rankommt, desto piefiger ist es.

Sie sind derzeit auf Lesereise. Was ist das für ein Gefühl, auf einer Bühne zu stehen und einmal nicht zu singen?

Das ist komisch. Deshalb ziehe ich die Sache sehr streng durch: lesen und abtreten. Ich will das Buch nicht zerredet haben. Die Lesungen habe ich auch nur zugesagt, weil der Verlag das so wollte. Anfangs hatte ich Bedenken, weil es keine große Show ist. Aber es funktioniert gut, und ich muss kein schlechtes Gewissen haben, dass die Besucher ihre Zeit verschwenden. Wenn ich aber nach der Tournee nie wieder eine Lesung machen würde, würde ich es nicht vermissen. Man schreibt ja kein Buch, um als Lesender aufzutreten. Bin schließlich kein Kleinkünstler. Mit der Musik verhält sich das ganz anders.