Krieg in Afghanistan

Lieber Russen als Dinosaurier

Während in Bonn über eine Koalitionsregierung verhandelt wird, stecken in Afghanistan Warlords und ausländische Mächte ihre Claims ab.

Kaum zeichneten sich auf der Afghanistan-Konferenz in Bonn Fortschritte ab, kam schon Störfeuer aus Kabul. »Die Monarchie ist ausgestorben wie die Dinosaurier«, erklärte der islamistische Warlord Burhanuddin Rabbani am Freitag zu den Plänen, dem Ex-König Zahir Schah eine führende Rolle in einer Koalitionsregierung zu geben.

Die Entsendung einer UN-Friedenstruppe, auf die sich die Delegierten in Bonn gerade geeinigt hatten, erklärte Rabbani für überflüssig. Eine kleine Zahl von Blauhelmsoldaten dürfe aus dem Exil zurükkehrende afghanische Politiker schützen, die um ihre Sicherheit besorgt seien, aber »mehr wird nicht benötigt«.

Auch Ismail Khan, dessen Truppen die westafghanische Stadt Herat und die umliegenden Provinzen kontrollieren, will sich nicht in seinen Herrschaftsbereich hineinreden lassen. »Jede Regierung und jede Führung, die dem afghanischen Volk von ausländischen Staaten aufgezwungen wird, wäre nicht in der Lage, sich lange zu halten«, prophezeite er in einem Interview mit dem arabischen Fernsehsender al-Jazeera.

Die Starrköpfigkeit der Warlords bringt die Nordallianz in die Gefahr einer Spaltung. In Bonn wird sie überwiegend von einer schmalen Schicht von Politikern vertreten, die an einer Verhandlungslösung interessiert sind. Sollte sich die von der Uno und dem Westen propagierte Koalitionsregierung durchsetzen, würde das ihre Macht gegenüber den Militärkommandanten stärken und es ihnen ermöglichen, sich mit den in Aussicht gestellten westlichen Hilfsgeldern als Vertreter einer neuen Ordnung zu profilieren.

Yunis Qanuni, der Innnenminister der Nordallianz, will nun nötigenfalls auch ohne die Zustimmung der Warlords eine Übergangsregierung bilden. »Wir hoffen, dass Rabbani die gegenwärtige Situation versteht (...) und die Interessen der Bevökerung berücksichtigt«, erklärte er am Samstag. »Wenn das nicht geschieht, können wir uns nur an die Bevölkerung wenden und ihr Votum suchen.«

Auch Rabbani hat seine Liebe zur Demokratie entdeckt und fordert, die zukünftige politische Führung müsse von der Bevölkerung gewählt werden. Doch von der für Wahlen notwendigen politischen Stabilität ist Afghanistan noch weit entfernt. Wenn es zu einer Konfrontation kommt, haben die Warlords bessere Karten, denn sie sind es, die die Truppen besolden und kontrollieren.

Die politische Schicht um Qanuni und Außenminister Abdullah Abdullah stammt überwiegend aus der Umgebung Ahmad Schah Massouds, des einzigen Warlords der Nordallianz, der sich um den Aufbau einer politischen Organsiation und einer rudimentären Verwaltung bemüht hat. Doch Massoud starb Mitte September an den Folgen eines Attentats. Die unter ihm aufgestiegenen Politiker haben in Afghanistan nie eine unabhängige Position vertreten. Erst bei den Bonner Verhandlungen, außerhalb der Kontrolle ihrer Warlords, wurden sie mutiger - offenbar in der Hoffnung, bei ihrer Rückkehr von einer starken ausländischen Interventionsmacht unterstützt zu werden.

Nur so könnten sie die Macht erringen, denn jede Zentralregierung müsste in der Lage sein, die Warlords zurückzudrängen, und für diesen Zweck in den von ihnen kontrollierten Gebieten Soldaten für eine nationale Armee zu rekrutieren, dürfte kaum möglich sein. Dass in Bonn kaum Warlords aus den südlichen Landesteilen vertreten sind, wo sich nach dem Zerfall der Taliban-Herrschaft eine Reihe neuer bewaffneter Franktionen gebildet hat, wird die Etablierung einer Zentralregierung auch nicht erleichtern.

Um Sicherheit in Afghanistan herzustellen, so Klaus Reinhardt, ein ehemaliger Bundeswehrgeneral und Kommandant der Nato-Truppen im Kosovo, sei eine schwer bewaffnete Truppe von 60 000 bis 100 000 Soldaten erforderlich. Keine UN-Mission zählte bisher mehr als 20 000 Soldaten. Doch nicht nur hohe Kosten und Risiken stellen ein solches Unternehmen in Frage. Neben den Warlords stecken auch Nachbarstaaten und Regionalmächte ihre Claims in Afghanistan ab, unter ihnen Russland, ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates.

Fast gleichzeitig mit dem Beginn der Bonner Afghanistan-Konferenz landeten russische Truppen in Kabul. Und im Gegensatz zu den britischen Soldaten, deren Stationierung zu heftigen Protesten der Nordallianz führte, scheinen sie willkommen zu sein. »Diese Aktion wurde auf Anfrage des Islamischen Staates von Afghanistan ausgeführt«, erläuterte der russische Präsident Wladimir Putin. Und dessen Präsident ist noch immer Rabbani.

Russland will seinen Verbündeten von der Nordallianz zumindest eine starke Position in einer zukünftigen Regierung sichern. Den Warlords den Rücken zu stärken, soll es möglicherweise auch verhindern, dass eine neue afghanische Regierung sich mit den finanzkräftigeren USA verbündet und dass die Pläne, eine Pipeline durch Afghanistan nach Mittelasien zu bauen, wieder aufgelegt werden. Die von der Moscow Times zu diesem Thema eingeholten Einschätzungen der Experten diverser Think Tanks allerdings differieren. »Russland wollte, dass alle Gas- und Ölpipelines durch Russland gehen«, meint Alexej Malaschenko vom Moscow Carnegie Center, »jetzt könnte eine neue Linie in eine andere Richtung geöffnet werden.« Dem widerspricht Stephen O'Sullivan von der United Financial Group: »Ich wäre überrascht, wenn die USA nach 20 Jahren Krieg eine Pipeline durch Afghanistan bauen wollten.«

Tatsächlich gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass der Bau einer Pipeline Priorität für die US-Politik hat. Nur nahe Kandahar ist eine größere Zahl von US-Soldaten stationiert, am Montag landeten Elitetruppen auch in Jalalabad. In einem der beiden Gebiete sollen sich Ussama bin Laden und andere führende al-Qaida-Mitglieder aufhalten. An einer Truppenpräsenz in Kabul zeigt man kein Interesse, und zur Stationierung russischer Truppen in der Hauptstadt erklärte US-Außenminister Colin Powell: »Ich bin nicht beunruhigt.«

Auch in diplomatischer Hinsicht haben die USA Staaten das Feld überlassen, deren Interessen in der Pipeline-Frage nicht mit den ihren übereinstimmen. Anders als die USA hat Deutschland nie ein Interesse daran gezeigt, Russland und den Iran vom Geschäft mit den Energievorräten Mittelasiens auszuschließen. Und selbst gegen die iranischen Versuche, über die in Bonn vertretene so genannte Zypern-Gruppe Einfluss auf die Regierungsbildung in Afghanistan zu nehmen, hat die US-Regierung bislang nicht opponiert. Mohammad Jalil Shams, ein Vertreter der Zypern-Gruppe, forderte eine führende Rolle für Deutschland in einer UN-Friedenstruppe.

Bundeskanzler Gerhard Schröder hat noch etwas Zeit, darüber nachzudenken, ob dies wirklich eine günstige Gelegenheit ist, sich in der Weltpolitik als Interventionsmacht zu profilieren. Denn in einem Punkt vertritt die US-Regierung eine sehr entschiedene Haltung: Eine UN-Truppe soll erst dann stationiert werden, wenn die Militäraktionen abgeschlossen sind.

Offenbar möchte man sich in der entscheidenden Phase des Kampfes gegen al-Qaida nicht von Uno-Vertretern stören lassen, die auf einer Beachtung des Kriegsrechts bestehen könnten. Mary Robinson, die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, hat bereits eine Untersuchung des Gefangenenaufstandes nahe Mazar-i-Sharif gefordert. An dessen Niederschlagung, bei der Anfang vergangener Woche mehrere hundert Gefangene starben, hatten sich auch Truppen und Kampfflugzeuge der USA beteiligt.

Dass es in der Festung des Warlords Rashid Dostum tatsächlich zu einem Aufstand gekommen war, wurde von unabhängigen Beobachtern bestätigt. Doch einige Leichen wurden mit auf den Rücken gefesselten Händen gefunden, der Times-Korrespondent Oliver August berichtete von enthaupteten Toten. »Es gibt viele unbeantwortete Fragen«, erklärte Robinsons Sprecher Jose Diaz.

Die Regierungen der USA und Großbritanniens sehen das anders. »Solche Dinge passieren im Krieg«, kommentierte Peter Hain, ein Mitarbeiter des britischen Außenministeriums, »wir sehen keine Notwendigkeit für eine Untersuchung.« Vertreter der Nordallianz sind da aufgeschlossener. »Wir warten darauf, dass die Delegation von Amnesty International ihre Untersuchung beginnt«, erklärte Said Hassan Muslim von der Harakat-i-Islami.