Belgiens Beteiligung an der Ermordung Lumumbas

Ein bisschen eliminiert

Noch immer bestreitet Belgien, an der Ermordung des kongolesischen Antikolonialisten Lumumba beteiligt gewesen zu sein.
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Wir haben erleben müssen, dass man unser Land raubte, wegen irgendwelcher Texte, die sich Gesetze nannten, aber in Wahrheit nur das Recht des Stärkeren verbrieften (...). Die Erschießungen, denen so viele unserer Brüder zum Opfer fielen, wird niemand von uns je vergessen, die Kerker, in die man gnadenlos alle warf, deren einziges Verbrechen es war, sich nicht länger einer Justiz fügen zu wollen, die das Geschäft der Unterdrücker und Ausbeuter besorgte.«

Patrice Émery Lumumbas Rede auf der kongolesischen Unabhängigkeitsfeier war 1960 ein Affront gegen die Vertreter der scheidenden Kolonialmacht Belgien. Am 17. Januar 1961 wurde er ermordet. Die Rolle Belgiens bei diesem Mord untersuchte im vergangenen Jahr eine Kommission, mit deren Bericht sich das belgische Parlament im Januar, kurz vor Lumumbas 41. Todestag, befassen wird. Belgien werde sich bei den Kongolesen entschuldigen, »falls es sich erweist, dass belgische Behörden an diesem Mord teilnahmen«, beteuerte Außenminister Louis Michel im Dezember 1999.

Wie die anderen ehemaligen europäischen Kolonialmächte will Belgien sich nicht gern an seine von Brutalität und Aggression geprägte Vergangenheit erinnern. Während der Rassismus-Konferenz der UN im südafrikanischen Durban blieb es im September des vergangenen Jahres bei einer halbherzigen Entschuldigung für den transatlantischen Sklavenhandel. Im Namen der Europäischen Union erklärte Michel: »Es ist nicht leicht, unser Bedauern auszudrücken. (...) Aber ich mag die Afrikaner, ohne das paternalistisch zu meinen.« Die Dekolonisierung des Denkens ist ein unfertiger Prozess, insbesondere in den Ländern der Täter.

Lumumba gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten der antikolonialen Bewegung. Seine Rede auf der Unabhängigkeitsfeier antwortete dem nach Léopoldville, dem heutigen Kinshasa, angereisten belgischen König Baudouin. »Die Unabhängigkeit des Kongo bedeutet die Vollendung des genialen Werks, das König Léopold II. begonnen hat und das von Belgien fortgesetzt wurde«, hatte der Enkel des Gründers der riesigen Kolonie gerade erklärt. Léopolds »geniales Werk« hatte innerhalb zweier Jahrzehnte die Hälfte der Bewohner seines »Congo Free State« durch Verstümmelungen, Zwangsarbeit und Hungersnöte das Leben gekostet. Die Grausamkeiten waren selbst nach damaligen Maßstäben so skandalös, dass der belgische Staat den Kongo 1908 von Léopolds »Privatbesitz« in eine formale Kolonie verwandelte, was an der Rechtlosigkeit und der Ausbeutung allerdings wenig änderte.

Im kurzen Befreiungskampf war Lumumba an der Spitze des Mouvement National Congolais (MNC) zu einem radikalen Antikolonialisten geworden. Im Mai 1960 gewann er, gerade aus dem Gefängnis entlassen, die ersten Wahlen und wurde der erste Premierminister der Demokratischen Republik Kongo. Für Belgien, das seinen wirtschaftlichen Einfluss im Kongo erhalten wollte, war er eine Gefahr.

Seit dem Erscheinen des Buchs »Regierungsauftrag Mord: Der Tod Lumumbas und die Kongo-Krise« vor drei Jahren ist die ehemalige Kolonialmacht Belgien von der Vergangenheit eingeholt worden. Der Autor Ludo de Witte, dessen Buch auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt, erklärt detailliert, wie die damalige Regierung die Ermordung Lumumbas plante. Deshalb wurde im belgischen Parlament die Kommission zur Untersuchung der Mitschuld Brüssels eingerichtet.

Das Ergebnis, das im November veröffentlicht wurde, ist ein politischer Kompromiss. Zwar seien belgische Staatsbürger an dem Mord beteiligt gewesen, doch hätten sie ausschließlich dem Separatistenregime in Katanga gedient. Ein Mordbefehl aus Brüssel existiere nicht. Die belgische Regierung habe jedoch auch nichts getan, um das offensichtlich gefährdete Leben Lumumbas zu schützen, weshalb »die Kommission folgert, dass bestimmte Mitglieder der belgischen Regierung und andere belgische Akteure eine moralische Verantwortung für die Umstände haben, die zum Tod Lumumbas führten«.

Dass Belgiens Verantwortung moralisch und nicht politisch sei, folgert die Kommission aus der entlastenden Neubewertung eines Schriftstücks, das von de Witte als Hauptbeweis angeführt worden war. Drei Monate vor Lumumbas Tod schickte der damalige Afrikaminister Harold d'Aspremont-Lynden ein Telegramm an den belgischen Botschafter im Kongo, in dem er die »definitive Eliminierung« Lumumbas forderte. Diese Formulierung sei heute missverständlich, so die Kommission; der Begriff der Eliminierung habe sich auf Lumumbas politischen Einfluss bezogen, nicht auf sein Leben. Zur Entlastung werden andere Schriftstücke aus dieser Zeit aufgelistet, in denen von »politischen Eliminierungen« die Rede ist.

Dennoch stellt auch die Untersuchungskommission fest, dass es »das Ziel der belgischen Regierung war, Lumumba zu inhaftieren und nach Katanga zu transferieren«. Die von Belgiern geplante und durchgeführte Auslieferung Lumumbas an die separatistische Provinz Katanga kam allerdings einem Todesurteil gleich. Lumumba wurde von Truppen des späteren Diktators Mobutu Sese Seko inhaftiert, der im September 1960 in der Hauptstadt Léopoldville geputscht hatte. Mobutu wurde von den USA und von Belgien gegen Lumumba unterstützt. Doch seine Herrschaft war noch instabil, weshalb Lumumba aus der Provinz Léopoldville ins abgespaltene Katanga deportiert wurde.

Katanga war die wichtigste Provinz des Kongo. Dort lagerten große Mengen an Bodenschätzen, die von belgischen Konzernen ausgebeutet wurden. Belgien hatte, um den Zugang dorthin zu sichern, dem Separatisten Moise Tschombé zur Macht verholfen. Tschombé aber stand zu diesem Zeitpunkt unter militärischem Druck von Rebellen und Lumumba treuen Teilen der Armee. Lumumba ohne Anklage festzuhalten, hätte Proteste ausgelöst. Ein juristisch unhaltbarer öffentlicher Prozess hätte ihm die Möglichkeit geboten, zu weiterem Widerstand aufzurufen.

Nur Stunden nach seiner Ankunft in Katanga wurde er von Tschombés Soldaten erschossen. Wie während der gesamten Deportation waren auch hier Belgier anwesend. Lumumbas Leiche wurde zersägt und in Säure aufgelöst, die Überreste wurden verbrannt. Mit der Leiche sollte auch die Erinnerung an den Antikolonialisten verschwinden.

In Belgien hat der Bericht auch eine Debatte um die konstitutionelle Monarchie ausgelöst. Dem 1993 verstorbenen König Baudouin konnte nachgewiesen werden, dass er von belgischen Beratern in Katanga darüber unterrichtet worden war, dass Lumumbas Leben in Katanga gefährdet sei. Diese Information gab er nicht an die Regierung weiter und verstieß somit gegen die belgische Verfassung. Das Königshaus war eng mit den Konzernen Union Minière und Société Générale verbunden, die Katanga faktisch regierten.

Ob die Debatte um die Vergangenheit die Politik Belgiens gegenüber seinen ehemaligen Kolonien ändert, ist fraglich. Zwar schmückt sich die Außenpolitik schon seit einigen Jahren mit dem Anspruch, »humanitäre Ziele« zu verfolgen. Doch weiterhin dominieren wirtschaftliche Interessen. Umicore, die frühere Union Minière, plant zusammen mit anderen Konzernen eines der größten Projekte zum Abbau von Kupfer und Kobalt in Katanga. Folgerichtig wird der kongolesische Staatschef Joseph Kabila, der anders als sein Vorgänger und Vater Laurent Kabila westliche Investitionen fördern möchte, von Belgien unterstützt.