Der ANC wird 90

Das Kapital kennt keine Farben

Zum 90. Geburtstag des African National Congress wächst die Kritik an dessen Regierungspraxis.

Es ist das Jahr der Jubiläen für den African National Congress. Mit dem Slogan »Ruhm den Siegen von 90 Jahren Kampf« feiert der südafrikanische ANC dieser Tage seinen Geburtstag. Vor 50 Jahren begann die Kampagne des zivilen Ungehorsams gegen das Apartheidregime. Dessen Sturz ist zugleich der größte Sieg der Bewegung, er jährt sich im April zum achten Mal.

Doch die wenigsten Südafrikaner sind in Jubelstimmung. Die inoffizielle Arbeitslosenrate liegt bei 40 Prozent, fünf Millionen Südafrikaner sind von HIV infiziert. Sowohl was die soziale Ungleichheit als auch die absolute Zahl HIV-Positiver betrifft, gehört Südafrika zu den statistisch führenden Ländern in der Welt. Seit dem überwältigenden Wahlsieg des ANC unter Nelson Mandela im Jahr 1994 steht die südafrikanische Transformation im Zeichen der national democratic revolution. »Ein besseres Leben für alle«, lautete 1999 das Wahlversprechen seines Nachfolgers Thabo Mbeki.

Derzeit konzentriert sich die öffentliche Kritik auf die Aids-Politik der Regierung. Premier Mbeki lehnt den Einsatz antiretroviraler Therapien ab, die z.B. die Übertragung des HIV von infizierten Müttern auf ihre Kinder reduzieren sollen (Jungle World, 31/00). Die südafrikanische Organisation Treatment Action Campaign konnte bei ihrem Versuch, Mbeki per Gerichtsentscheid zu einer Änderung seiner Aids-Politk zu zwingen, Mitte März einen ersten Erfolg verbuchen. Richter Chris Botha verpflichtete die Regierung, bis zur endgültigen Entscheidung des Verfassungsgerichts Schwangeren auf Wunsch die antriretrovirale Therapie zugänglich zu machen.

In der Vorwoche hatte sogar Mbekis Ziehvater Mandela den Premier öffentlich brüskiert: »Es ist notwendig, weitherzig zu sein, sich nicht in seinem Ego getroffen zu fühlen, wenn man hört, was die Öffentlickeit sagt.« Dennoch beschloss das Nationale Exekutivkomitee des ANC, an der bisherigen Politk festzuhalten.

Auch außenpolitisch steht die ANC-Regierung unter Druck. Erst nach anfänglichem Widerstand stimmte der ANC zu, die Mitgliedschaft Zimbabwes im Commonwealth für ein Jahr zu suspendieren. Der britische Premier Tony Blair hatte gedroht, die finanzielle Unterstützung für den Entwicklungsplan New Partnership for Africas Development (Nepad) auszusetzen.

Nepad soll den afrikanischen Kontinent aus der weltwirtschaftlichen Marginalisierung führen, knüpft Finanzhilfe jedoch an politische Bedingungen. Bislang hat die Politik der wirtschaftlichen Öffnung entsprechend den Richtlinien der internationalen Finanzinstitutionen nicht die erhofften Erfolge gebracht. So muss sich die Regierung nicht nur der Kritik der parlamentarischen Opposition unter Führung der rechten Demokratischen Allianz stellen, die keine Möglichkeit auslässt, den ANC zu attackieren. Seit August vergangenen Jahres sind auch die Spannungen zwischen dem ANC und seinen Allianzpartnern, der Dachgewerkschaft Cosatu und der Kommunistischen Partei, nicht mehr zu verdecken.

Diese hatten gleichzeitig mit der Anti-Rassimuskonferenz in Durban einen Generalstreik gegen die Privatisierung öffentlicher Unternehmen ausgerufen. Anfang April sollen die Differenzen mit den Allianzpartnern in der Privatisierungsfrage beigelegt werden. Den ANC trifft der Konflikt tief in seinem Selbstverständnis als Massenbewegung.

Ursprünglich eine elitäre, von der schwarzen Oberschicht getragene Organisation, die auf den Konsens mit dem weißen Regime setzte, war der ANC durch die Kampagne gegen das Apartheidregime der 1948 an die Macht gekommenen National Party zu einer massenorientierten Befreiungsbewegung geworden. Diese ersten offensiven Widerstandsaktionen der schwarzen Mehrheitsbevölkerung waren einer der entscheidenden Wendepunkte in Südafrikas Geschichte.

Quer durch das Land reisten Führer des ANC, um die Apartheidgesetze provokatorisch zu missachten. Illegale Kundgebungen wurden abgehalten, ANC-Aktivisten drangen in die für Weiße vorbehaltenen Zugabteile und Behörden ein, demonstrativ wurden Pässe verbrannt. Die treibende Kraft für diese Radikalisierung des ANC stellte die 1944 gegründete ANC Youth League (ANCYL) dar. Die »jungen Löwen« rund um Anton Lembede, Oliver Tambo und Nelson Mandela setzten 1949 ihr Aktionsprogramm durch. Die konservative Parteiführung, die sich gegen diesen revolutionären Kurs stellte, wurde auf Betreiben der ANCYL abgewählt.

Viele der damaligen Aktivisten sitzen heute in der Führung des ANC und in der Regierung. Während des Kalten Krieges von konservativen Kräften in aller Welt als fünfte Kolonne Moskaus bezeichnet, müssen sie sich heute auch mit Kritik von links auseinandersetzen. Denn noch immer leben 57 Prozent der schwarzen Südafrikaner, aber nur 2,1 Prozent der Weißen in Armut. Das neue Südafrika soll den Jungen gehören, jenen 40 Prozent der Bevölkerung, die zwischen 14 und 35 Jahren alt sind, doch vier von zehn Jugendlichen sind arbeitslos.

Angesichts dessen müsse die Youth League weiterhin als radikalisierende Kraft im ANC wirken, erklärte deren Präsident Malusi Gigaba der Jungle World: »Wir machen das nach wie vor, durch Positionen und Aktionen. Unsere aktuellen Kampagnen konzentrieren sich auf Rassismus, Aids und Jugendbeschäftigung. Wir nehmen diese Rolle in den internen Debatten des ANC wahr. In unserem Idealismus glauben wir an eine anti-rassistische, anti-sexistische Gesellschaft, an etwas, woran manche Älteren nicht mehr glauben.«

Die Youth League habe innerhalb des ANC eine autonome Struktur, »was die Leute jedoch immer wieder vergessen, ist, dass unsere Kritik am ANC in den vierziger Jahren mit einer bestimmten Auffassung verbunden war. Der ANC stellte eine Hoffnung für alle dar, die sich nach der nationalen Befreiung sehnten. Wir sagten damals, dass diese Mission verteidigt werden müsse. Deswegen müssen wir den ANC kritisieren, aber auch verteidigen.«

Linke Kritiker wie der Erziehungswissenschaftler Neville Alexander dagegen meinen, nach dem Ende der Apartheid sei »eine antikapitalistische Bewegung auf breiter Basis« nötig, organisiert jenseits des ANC, um soziale Forderungen zu verwirklichen. Gigaba räumt ein, dass der ANC nicht alle versprochenen Veränderungen verwirklichen konnte: »Wir mussten eine Balance zwischen objektiven Bedingungen und subjektiven Wünschen finden.« Er sieht den ANC aber weiterhin als eine Organisation, die »für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit« steht.

Paradoxerweise wurde es wegen der historischen Umstände zur Aufgabe einer linken Bewegung, die südafrikanische Wirtschaft zu öffnen. »Wir haben eine eine strukturell sehr schwache Wirtschaft geerbt, eine Wirtschaft, die am Rande des Kollaps stand«, erklärt Gigaba. Das System der Apartheid »baute auf einer geschlossenen und sehr protektionistischen Wirtschaft auf. Die südafrikanische Transformation wurde nach dem Ende des Kalten Krieges eingeleitet. Was bedeutete, dass sich die neoliberale Globalisierung intensivierte und das kapitalistische System die ganze Welt beherrschte.«

Zunächst hatte der ANC »Wachstum durch Umverteilung« versprochen. Letztlich entschied sich die Regierung jedoch für ein exportorientiertes Wachstumsmodell. Trotz der monetaristischen Wirtschaftspolitik bleiben jedoch die erhofften ausländischen Investitionen aus, der Kapitalabfluss ist eines der größten Probleme der südafrikanischen Wirtschaft.

Die Allianzpartner des ANC fordern nun, zugunsten von Investitionen die Staatsschuld zu erhöhen. So etwas würde jedoch nach Gigabas Ansicht allenfalls kurzfristige Erfolge bringen: »Langfristig opfern wir so das Ziel einer sozialistischen Gesellschaft. Wir müssen uns bewusst sein, dass es schmerzhaft ist, aber die Revolution muss weitergehen, ohne dabei die Souveränitat unseres Volkes aufs Spiel zu setzen.«

Das ANC-Konzept der national democratic revolution sieht das aktuelle Grundproblem der südafrikanischen Gesellschaft in den nationalen Gegensätzen. Zwar trat 1996 in Südafrika eine der liberalsten Verfassungen der Welt in Kraft. Elf Sprachen werden im südafrikanischen Parlament gesprochen, doch die Nation ist nach wie vor ein fragiles Gebilde.

Entscheidend, so Gigaba, sei es deshalb, die ökonomischen Gegensätze zwischen den Bevölkerungsgruppen abzubauen: »Der nationale Befreiungskampf kann gar nicht anders, bewusst oder unbewusst, als eine schwarze Kapitalistenklasse zu erzeugen. Falls das nicht passiert, bleiben die Probleme des Rassismus ungelöst. Sie werden uns weiter heimsuchen, wenn jeder Weiße als Produktionsmittelbesitzer und deswegen als Klassenfeind angesehen wird.«

Neville Alexander allerdings glaubt, dass schon jetzt »mehr und mehr schwarze Arbeiter, Arme in Stadt und Land, zu erkennen beginnen, dass sich die Farbe des Ausbeuters geändert hat«. Er wirft dem ANC vor, einen »farbenblinden Kapitalismus« voranzutreiben.