Globalisierung populärer Sportarten

Sportliche Arbeitsteilung

Populäre Sportarten erzählen vom Zustand einer Gesellschaft. Anders als der Baseball in den USA sorgt der deutsche Fussball nicht für die Integration von Migranten.

Zwei Jungs, 13, 14 Jahre alt, steigen aus der Straßenbahn. Sie tragen sehr kurze, stoppelige Haare und führen Baseballschläger mit sich. Sonst sehen die zwei aber nett aus.

Sonst? Aber?

Baseballschläger sind kulturell kodiert. Hierzulande verweisen sie nicht darauf, dass der Träger eines Holzschlägers jenen großen amerikanischen Sport betreibt, für den er erfunden wurde. Hierzulande verweisen Baseballschläger auf etwas anderes: Gewalt gegen andere Menschen.

Dabei ist Baseball ein völlig gewaltloser Sport, sowohl auf dem Rasen als auch auf den Rängen. In den USA ist er vor allem der Sport der weißen Arbeiterklasse, und er hat sich seit über hundert Jahren, seitdem er in einer Profiliga organisiert ist, als wunderbares Integrationsmedium für Immigranten erwiesen.

In der »amerikanischsten aller Sportarten« drückt sich schließlich unter anderem die Bedeutung aus, die der Einzelne, wenn er etwa als Schläger gegen die gesamte gegnerische Mannschaft antreten muss, für die Gemeinschaft hat. In seiner starren Ordnung von Catchern und Battern, Infieldern und Outfieldern zeigt sich die Effizienz einer auf Arbeitsteilung beruhenden Gesellschaft und - once again, wie bedeutend der Einzelne dort ist. Das macht Baseball zum »american game«.

Die Deutschen halten hingegen den Football, hier immer American Football genannt, für den Inbegriff der amerikanischen Sportarten. Wie die meisten Vorurteile ist auch das nicht ganz falsch, aber von richtig noch ein bisschen weiter entfernt.

Football ist der Sport der weißen Mittelklasse. Stärker als Baseball betont er die Bedeutung der tayloristischen Arbeitsteilung. Fortschritte im Spiel sind auf den mit weißer Kreide eingezeichneten Yards-Linien so genau überprüfbar wie der Firmenwert an der Kurstafel im Börsensaal. Football betont weniger als Baseball die solidarische Kompenente: alle werfen sich zwar ins Getümmel ums Ei, aber es ist nicht so, dass manchmal der Einzelne für die Anderen alles geben muss.

Je verbreiteter ein Sport in einer Gesellschaft ist, um so mehr erzählt er über sie. Und je mehr sich ein Sport Neuankömmlingen in einer Gesellschaft öffnet, desto stärker ist der Sport, und letztlich auch die Gesellschaft.

Neben Baseball und Football sind in den USA auch Basketball und Eishockey stark verbreitet, zusammen nennt man diese Sportarten daher »Big Four«. Das nicht nur europäische Pendant ist der Fußball.

Die Big Four in den USA und der europäisch-lateinamerikanische Fußball sind seit etwa zehn Jahren auf Globalisierungskurs. Die besten Basketballer der NBA, der National Basketball Association, treten bereits seit 1992 als »Dream Team« bei Olympischen Spielen auf, um für ihren Sport, für ihre Liga, für die Fernsehrechte ihrer Liga und für den Verkauf von Merchandising-Artikeln zu werben. Das geschah erfolgreich: Michael Jordan ist mittlerweile bekannter als der Papst; seine Vorgänger hätten diese Popularität nie erreicht. Die Stärke des Basketballs beruht auch darauf, dass es der Sport der schwarzen Arbeiterklasse ist, der Sport der Hinterhöfe, der Sport, der auf kleinstem Raum inszeniert werden kann, und der Sport, der am elegantesten zum Rap passt.

Die Eishockeyliga NHL, National Hockey League, hat dagegegen ganz andere Wurzeln - und ist auch nicht in ähnlicher Weise expandiert: Olympische Spiele sind für sie uninteressant. Während der Olympiade trägt sie ihren Stanley Cup aus, die Finalrunde der NHL, und der ist für Profis, Zuschauer und Fernsehrechteeinkäufer wesentlich attraktiver als das Olympische Turnier.

Ähnlich vertrauen die Baseballer der MLB, der Major League Baseball, auf die Stärke des heimischen Marktes. Ein paar lukrative Fernsehverträge wurden in Asien abgeschlossen, aber vor allem in den USA hat sich die Sportart wieder sehr gefestigt. Rekordeinschaltquoten, Rekordsummen bei den Fernsehrechten und eine nie dagewesene sportliche Stärke prägen die Liga. Was den Baseball in den Vereinigten Staaten stark gemacht hat und in den letzten Jahren nach einer Krise wieder erstarken ließ, war sein Charakter als Volkssport. Er wurde auch von den Migranten angenommen, denn die Teilhabe an Baseball ist und war die Teilhabe an der »american experience«, an der Erfahrung, Amerikaner zu sein.

Unter den Big Four waren die Footballer der NFL, der National Football League, in den letzten Jahren am kreativsten, was den Export ihres Sports in andere Kontinente anging. Die besten Teams tingelten zur Saisonvorbereitung durch Europa und Asien und absolvierten dort Pre-Season-Games. Mehrere Anläufe wurden unternommen, eine Art Zweite Liga zu installieren. Der jüngste Versuch nennt sich NFL Europe (NFLE), nachdem eine 1991 gegründete World League scheiterte.

In der NFLE finden sich zwar kaum US-amerikanische junge Talente, sondern vor allem etliche Spieler, die von den richtigen NFL-Teams bereits aussortiert wurden, aber immerhin werden auch europäische Talente gesichtet und in die US-amerikanische Liga integriert. Die neue NFLE-Saison startete im April, als deutsche Mannschaften sind Berlin Thunder, Frankfurt Galaxy und Düsseldorf Rheinfire dabei. Am 22. Juni findet im Rheinstadion von Düsseldorf der World Bowl statt, und schon die Bezeichnung für dieses bestenfalls zweitklassige Finale - US-Colleges haben ein höheres Niveau - deutet an, dass es weniger um ein großes Sportevent denn um ein Event als solches geht: Popcorn, Budweiser, Hotdogs, Coca Cola, Hamburger, überdimensionierte Schaumgummi-Handschuhe, die sich überstreifen lassen, während man gleichzeitig »Go Rheinfire Go« ruft. Die NFLE ist kein sportlicher Import, sondern, wenn überhaupt, einer des Lifestyle. Die hiesige Vorliebe für den Football ist nur selten eine Liebe zu diesem Sport, sondern spricht für die kulturelle Attraktivität der USA.

Auch der Fußball hat seine Globalisierungsoffensive bereits hinter sich und ist trotzdem bereit, immer wieder eine neue zu starten. Die US-Nationalmannschaft, zuletzt in Rostock gegen die DFB-Elf mit 2:4 unterlegen, wird immer besser, seitdem 1994 die Fußball-WM in den USA stattfand, in einem Land, das sich erst verpflichten musste, eine Profiliga auszurufen, und in dem es nicht, wie in beinah jedem anderen Land dieser Erde, entsprechende Stadien gibt.

Die WM wurde ein großer Erfolg, das US-amerikanische Publikum akzeptierte die Weltmeisterschaft als Event, wie die Europäer die NFLE als Event akzeptieren. Es erlaubt in einer zusammenwachsenden Welt einen Blick darauf, wie eigentlich andere Gesellschaften funktionieren und was an ihnen attraktiv sein könnte.

Die im Gefolge der WM gegründete MLS, die Major League Soccer, kickt seither leidlich erfolgreich vor sich hin. Anstrengungen, irgendwann einmal so bedeutend wie die Big Four zu werden, unternimmt man schon deswegen nicht, weil man sich nicht lächerlich machen möchte.

Aber über 20 Millionen amerikanische Jugendliche spielen mittlerweile organisiert Fußball, wie eine jüngst erschienene Studie des Politologen Andrei S. Markovits zeigt. Und durch Hispanics, die aus Ländern eingewandert sind, in denen Fußball Volkssport ist, wird auch der professionelle Fußball weit verbreitet. Die spanischsprachigen TV-Stationen in den USA übertragen die MLS-Spiele live, mit guten Einschaltquoten. Und auch für Einwanderer aus afrikanischen Ländern bietet der Fußball mittlerweile, was er früher mangels Verbreitung kaum bieten konnte: Partizipation an der amerikanischen Gesellschaft.

Migranten in Deutschland drängen dagegen woanders hin. Ein paar Sportarten überleben gar nur noch, weil es Migranten gibt: Amateurboxen etwa oder Ringen. Teilhabe an der Gesellschaft ist das nicht, denn die Möglichkeit, ein Star der Gesellschaft zu werden, in der sie leben, bietet sich hier kaum. Selbst ein Weltklasseboxer wie der Migrant Dariusz Michalczewski, dem sein Gewichtsklassenkollege Henry Maske lieber aus dem Weg ging, gilt hierzulande immer noch als »der Pole«. Anerkennung erhält Michalczewski vor allem aus der polnischen und der türkischen Community in Deutschland.

Mehr noch als in den Boxsport drängen hiesige Migranten in die Fußballvereine, auch wenn die Zahl der Erstligaprofis gering ist. Nur etwa zehn Prozent machen sie in der Bundesliga aus, was nicht ihrem Anteil im gesamten organisierten deutschen Fußball entspricht. Häufiger findet man das Phänomen, dass es gute deutsche Spieler aus türkischem Elternhaus bis in die Ober- oder Regionalliga schaffen und von dort in die türkische erste Liga verpflichtet werden.

Anders als der Baseball und der Soccer in den USA kann aber der deutsche Fußball Migrantenkids kaum die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in Deutschland anbieten. Das unterscheidet hiesigen Fußball auch beispielsweise vom französischen, der wegen seiner Immigranten Welt- und Europameister wurde.