Kritik an Israel schlägt um sich

Suicidal Tendency

José Saramagos Äußerung, Israels Vorgehen in den Palästinensergebieten sei durchaus mit Auschwitz und Buchenwald vergleichbar, kommentierte der israelische Historiker Tom Segev kürzlich mit den Worten, dieser Vergleich klinge, als hätte der portugiesische Literaturnobelpreisträger ihn von der Innentür einer öffentlichen Toilette abgeschrieben.

Spätestens seit die israelische Armee in fast alle palästinensischen Städten einmarschierte und dort unverhältnismäßig brutal auch gegen Zivilisten vorgeht, sind offenbar öffentliche Bedürfnisanstalten zur Inspirationsquelle für politische Verlautbarungen geworden. Konfliktparteien, die sonst von UN-Blauhelmsoldaten getrennt werden müssen, sind sich ihrer Empörung einig: Während der türkische Premier Bülent Ecevit Israel des »Völkermordes« an den Palästinensern anklagt, verabschiedet das griechisch-zypriotische Parlament eine Resolution, die den »Genozid Israels« scharf verurteilt. Es scheint, als wären beide einem zuvor veröffentlichten Aufruf der kommunistischen türkischen DHKC gefolgt: »Wir appellieren an alle revolutionären, patriotischen, progressiven und demokratischen Organisationen, an alle Anti-Imperialisten, Anti-Amerikaner, an alle Islamisten und an alle, die für Freiheit, Brot und Gerechtigkeit sind. Es ist an der Zeit, die gemeinsame Wut der Völker gegen die imperialistisch-zionistischen Angriffe zu mobilisieren.«

Einige der derart Angesprochenen kühlten umgehend ihr völkisches Mütchen an Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen in Europa, andere entladen ihre Empörung (noch) in diversen Aufrufen und Petitionen an ihre Regierungen. Hinter Norbert Blüms Forderung, Israels »hemmungsloser Vernichtungskrieg gegen das palästinensische Volk« müsse sofort gestoppt werden, der Wolfgang Gehrcke (PDS) eifrig hinzufügte, Sharon folge eben seinem »Hang zu biblischer Rache«, sammeln sich von den »nationalen Anarchisten« bis zur DKP, vom Gutmenschen bis zum Globalisierungsgegner alle, die dafür stehen, dass Deutschland ein so »gründlich zivilisiertes Land« (Antje Vollmer) ist. Die Demonstration »Solidarität mit Palästina« in Berlin am 13. April dürfte so zum zweiten »Aufstand der Anständigen« geraten; wenn die Politprominenz dort nicht ihre Grußworte abliefert, dann nur aus der traditionellen Rücksicht aufs Ausland, die in diesem Falle niemand mehr zu nehmen bräuchte. Das Redneraufgebot könnte man sich so vorstellen: Nach der Verlesung einer Solidaritätserklärung von Ecevit könnte Jürgen W. Möllemann sich erneut unter dem Beifall der versammelten Antiimperialisten als potenzieller Selbstmordattentäter outen: »Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt. Und ich würde das (...) auch im Land des Aggressors tun.« Jamal Karsli von den Grünen dürfte dann noch einmal wiederholen, dass die »israelische Armee Nazi-Methoden anwendet«, Horst Mahler das Wesen der »judäo-amerikanischen Weltherrschaft« erklären und zu guter Letzt Ernst Herbst von den DKP-nahen »Freunden Palästinas« die Menge auffordern: »Fallen wir den Mördern - Sharon und seiner demokratisch gewählten Junta - in den Arm.«

Den Versammelten klar zu machen, dass in Europa so Kriege vorbereitet werden und dass sie außer ihrem manifesten Antisemitismus nichts unterscheidet von ihrem Verteidigungsminister, der 1999 blutige Bildchen von vermeintlichen Opfern der »serbischen Soldateska« in den Bundestag hielt, dass es eine Vorliebe Deutsch-Europas ist, für die Menschenrechte und zur Beendigung imaginierter Völkermorde humanitär zu intervenieren, dürfte ein aussichtsloses Unterfangen sein. Stattdessen sollte man alles tun, um zu verhindern, dass die Wut der Völker sich anschließend an jüdischen Einrichtungen entlädt. Auch in tiefer Verbundenheit mit all jenen Palästinensern in Ramallah, Bethlehem und Nablus, die ein Ende des Krieges und der Okkupation sowie eine friedliche Koexistenz mit dem jüdischen Staat herbeisehnen, ohne dabei vor brennenden Synagogen zur Avantgarde des »Kampfes gegen die zionistisch-imperialistische Aggression« werden zu wollen.