In Italien rufen Studierende zur »studentischen Intifada« gegen Israel auf

»Studentische Intifada« in Italien – und manche Unis knicken ein

In Italien rufen Studierende zur »studentischen Intifada« auf. Sie fordern den wissenschaftlichen Boykott Israels und erhalten dabei auch Unterstützung vieler der Lehrkräfte. Mancherorts geben die Universitätsleitungen dem Druck der Proteste nach und folgen den Forderungen. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen proisraelischen und antizionistischen Demonstrierenden.

An italienischen Universitäten hat ­Antizionismus eine lange Tradition. So war es kein Wunder, dass die studentischen Mobilisierungen »in Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand« bereits in der zweiten Oktoberwoche 2023, nur wenige Tage nach dem Massaker der Hamas an Israelis, begannen. Die Università L’Orientale von Neapel war die erste, deren Fassade mit einer Palästina-Flagge geschmückt wurde. Es sollten viele weiteren folgen.

Seit Beginn des Monats rufen die Organisation der palästinensischen Studierenden in Italien sowie linke studentische Kollektive aus ganz Italien zur »studentischen Intifada« auf. Unter diesem Schlagwort sollen sich die Protestaktionen landesweit vernetzen. Ziel sei es, »an jeder italienischen Universität« Protestcamps »für ein freies Palästina« zu errichten. Den Anfang machten die Studierenden der Universität Bologna, die seit dem 5. Mai vor dem Rektorat campen.

Einige Tage später schlugen auch Studierende in Rom ihre Zelte auf dem Universitätsgelände auf, inzwischen gibt es solche Protestcamps in mehreren Städten, beispielsweise in Mailand, Turin, Siena und Pisa. »Freies Palästina«, »Stoppt Israels Genozid«, »­Zionisten raus aus den Universitäten« wird dort skandiert. Die Slogans sind dieselben, die bei Campus-Besetzungen von den USA bis Berlin kursieren, auch die Forderungen unterscheiden sich kaum. Die Studierenden wollen erreichen, dass ihre Universitäten sich im Gaza-Krieg »klar positionieren«, ­indem sie »die Komplizenschaft unserer Institutionen mit dem anhaltenden Genozid in Gaza« beenden, wie beispielsweise in einem gemeinsamen Aufruf von Studierenden der Universitäten in Turin und Mailand vom 14. Mai zu lesen ist.

Veranstaltungen, bei denen aus an­­de­rer als antizionistischer Per­­­spek­­tive über den israelisch-palästi­nen­sischen Konflikt gesprochen wird, können derzeit an italieni­schen Universitäten nicht stattfinden.

Ein besonderer Dorn im Auge ist den italienischen Studierenden die Koope­ration einiger Universitäten mit dem staatlich kontrollierten Rüstungskonzern Leonardo, der zu den weltweit größten in den Bereichen Luftfahrt, Verteidigung und Sicherheit gehört. Kri­tisiert werden die engen Beziehungen des Konzerns zu den Streitkräften Israels. Leonardo verkauft Waffensysteme an Israel und kooperiert auf militärischer Ebene mit vielen weiteren Ländern. Jüngst wurde bekannt, dass sich der Konzern am deutschen Leopard-2-Panzerprogramm der nächsten Generation beteiligen wird.

Boykottaufrufe gegen Deutschland gab es bisher allerdings keine. Die Unterstützung der italienischen radikalen, aber auch der parlamentarischen ­Linken für die antizionistischen Proteste, die sich als pazifistische Bewegung inszenieren, ist nahezu ungebrochen. Als Mitglieder studentischer Kollektive im März eine Sitzung des aka­demischen Senats der Universität Turin durch eine Störaktion unterbrachen und die Universitätsleitung dazu aufforderten, sämtliche ­akademische Kooperationsprojekte mit israelischen Universitäten zu beenden, gab es allerdings auch Kritik seitens linker und linksliberaler Professoren. Paolo Valabrega, ehemaliger Dozent am Polytechnikum, sagte der Tageszeitung La Stampa: »Boykott drückt Hass gegen Israel aus, die Parolen der Studenten machen mir Angst.«

Zelten gegen Israel, Florenz

Zelten gegen Israel, Florenz

Bild:
Archiv 2. Juni

Mehr noch als die Forderungen der Protestierenden sorgten in der italienischen Öffentlichkeit die am Ende jener Sitzung erfolgte Entscheidung der Universitätsleitung für Aufsehen, sich 2024 nicht an den jährlichen Ausschreibungen für wissenschaftliche Koope­rationsprojekte mit Israel (Bando Maeci Italia-Israele) zu beteiligen. Die Univer­sitätsleitung begründete die Entscheidung damit, dass »angesichts des anhaltenden Kriegszustands im Nahen Osten die Teilnahme an der Ausschreibung als unangemessen erachtet wurde.« Lehrende aus verschiedenen Städten äußerten sich besorgt über die Entscheidung der Universität. Der ­Faschismusexperte Brunello Mantelli, Professor für Geschichte an der Uni­versität in Turin, sagte La Stampa: »Wir arbeiten mit den Russen, Iranern und Chinesen zusammen, die Anti-Israel-Bewegung verletzt die Freiheitsrechte.«

Über die Entscheidung des Rektorats der Universität von Turin schreibt die Vereinigung »Setteottobre« in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten und den Minister für Universität und Forschung: »Zum ersten Mal in unserem Land beugt sich eine akademische Einrichtung dem Diktat einer Handvoll Studenten, die in Bezug auf Israel dieselbe Definition verwenden, die den iranischen Ayatollahs lieb und teuer ist: ›zionistisches Gebilde‹.« Und weiter: »Die antisemitische Diskriminierung tarnt sich als Unabhängigkeit der universitären Lehre, während der gewalttätige Charakter dieser und anderer Vorfälle offensichtlich ist und bei Schülern und Lehrern jüdischer Herkunft, aber auch bei allen, die Freiheit und Demokratie hochhalten, große Sorge um ihre eigene Sicherheit hervorruft.«

Ziel ist die komplette Einstellung der akademischen Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten

Während der antiisraelische Charakter der Palästina-Solidarität kurzzeitig für Empörung sorgte, fühlten sich die Antizionisten durch die Entscheidung der Universität Turin allerdings bestärkt und suchten auch in anderen Städten die direkte Konfrontation mit den akademischen Institutionen. Ihr Ziel: die komplette Einstellung der akademischen Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten auf jeder Ebene – inklusive Stipendien und Austauschprogramme wie Erasmus.

Das fordern nicht nur Studierende bei den Protestcamps, sondern immer wieder auch Dozenten verschiedener italienischer Universitäten in Petitionen und offenen Briefen mit Tausenden Unterschriften. Ähnlich wie etwa in Berlin erklärten sich viele Lehrende an Universitäten mit den Studierenden solidarisch.

Mantelli ist sich allerdings sicher: »Wir sind mehr als doppelt so viele wie diejenigen, die für eine Beendigung der Kooperation sind.« Er spricht von einer »Erpressung durch eine Minderheit«, das Problem sei eher, dass man sich mehr Gehör verschaffen müsse. Er startete daher einen Gegenaufruf.

Wenige Tage nach dem Eklat in Turin war es eine Elitehochschule, die Scuola Normale Superiore in Pisa, die ebenfalls die wissenschaftliche Kooperation mit Israel aussetzte. Wie in Turin war auch dort der Antrag von Studierenden gestellt und dann von der Mehrheit der Mitglieder des akademischen Senats angenommen worden. Ähnlich verhielt sich die Leitung einer dritten Univer­sität: Auch in Bari beschloss man, vorerst auf Kooperationen zu verzichten. An weiteren Universitäten werden derzeit auf Druck der Studierenden und Lehrenden die Beziehungen zu israelischen Institutionen zumindest zur Disposition gestellt.

Zelten gegen Israel, Pisa

Zelten gegen Israel, Pisa

Bild:
Archiv 2. Juni

Nicht überall geht es so radikal zu wie etwa in Neapel, wo die Studierenden jegliche Kooperation mit ­israelischen Institutionen als direkte Beteiligung an »Netanyahus verbrecherischem Projekt zur Auslöschung des palästinensischen Volkes« bezeichnen. Allerdings, gegen diese Forderungen bezieht in der Öffentlichkeit auch niemand Stellung. Denn während die Studierenden immer wieder beklagen, »die Staatsgewalt« hindere sie daran, ihre politische Meinung zu äußern, wenn es bei Protesten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt, dulden sie in ihren antizionistischen »safe spaces« nur eine politische Meinung – ihre eigene.

Man weiß nicht viel darüber, wie es Studierenden oder Lehrkräften mit jüdischem Hintergrund in Italien derzeit geht. Sie werden nicht in Talkshows eingeladen, es gibt keine Instagram-Reels oder Tiktok-Lives von ihnen oder über sie. Die Social-Media-Plattformen sind von propalästinensischen Accounts überflutet, Gegendarstellungen, geschweige denn eine Debatte, gibt es nicht. Im realen Leben sieht es entsprechend aus: Wer dem dominierenden Antizionismus an den Universitäten öffentlich entgegentreten möchte, muss mittlerweile um seine Sicherheit fürchten. Das trifft auch ­bekannte Persönlichkeiten.

»Boykott drückt Hass gegen Israel aus, die Parolen der Studenten machen mir Angst.« Paolo Valabrega, ehemaliger Dozent

Jüdische Journalisten wie der bekannte Fernsehmoderator David Parenzo und der Chefredakteur der Tageszeitung La Repubblica, Maurizio Molinari, wurden von antiisraelischen Demonstranten daran gehindert, an Veranstaltungen teilzunehmen, jeweils an der Universität La Sapienza in Rom beziehungsweise an der Universität Neapel. Veranstaltungen, bei denen aus anderer als antizionistischer Perspektive über den israelisch-palästinensischen Konflikt gesprochen wird, können derzeit an italienischen Universitäten nicht stattfinden. Zuletzt wurde eine für den 7. Mai geplante Tagung zu Israel sieben Monate nach dem Hamas-Massaker an der Mailänder Staatlichen Universität nach einer polizeilichen Warnung aus Sicherheitsgründen abgesagt und konnte nur online stattfinden. Es bestehe die Gefahr, dass es zu gewalttätigen Zwischenfällen kommen könne, lautete die Begründung.

Der Aufruf zur »studentischen Intifada« dürfte die bereits angespannte Lage weiter zuspitzen. Contra erhielten die antiisraelischen Demonstranten anscheinend von der Brigata ebraica (jüdische Brigade). So kam es im Zuge der Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung am 25. April zwischen den beiden Gruppen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in Rom. Am sogenannten Nakba-Tag, dem 15. Mai, soll es am Rande einer Kundgebung in Rom zu einem Angriff auf einen der bekanntesten – und rabiatesten – Vertreter der antizionistischen Bewegung gekommen sein.

Volksverhetzung sowie Beleidigung einer Holocaust-Überlebenden

Der Palästina-Aktivist, der im vergangenen Jahr wegen Volksverhetzung sowie Beleidigung der Senatorin und Holocaust-Überlebende Liliana Segre verurteilt worden war, zeigte sich am 16. Mai in einem Social-Media-Post mit blutüberströmtem Gesicht vor der Kamera und machte eine »zionistische Prügeltruppe« für den Angriff verantwortlich. Zahlreiche italienische und sogar einige internationale Medien übernahmen diese nach Angaben der ermittelnden Behörde bislang noch völlig haltlose Behauptung.

Solidaritätsbekundungen bekam der Mann nicht nur aus dem Milieu der militanten Palästina-Solidarität, sondern auch von einigen linken Jour­nalisten und Politikern. Die Hassrede gegen Israel, die er seit Jahren ver­breitet – er versieht fast jeden seiner Social-Media-Posts mit dem Hashtag »Dismantle Israel« – ist damit erst mal in den Hintergrund geraten.