Das Revival der achtziger Jahre

Achtzig Gründe gegen die Achtziger

Ein erbaulicher Essay über die Wiederentdeckung eines verlorenen Jahrzehnts.

Es war 1980 und der Knabe, der ich war, sagte sich: »1980 - Die Zukunft.« Unrecht hatte ich nicht, doch das, was kommen sollte, war ein Jahrzehnt sowohl töricht wie Drosophila Melanogaster, die mir den Abidurchschnitt vermieste, als auch sinnlos und schön wie eine Lobotomie.

Nachdem die Achtziger in den Neunzigern wie ein 100 Jahre alter Witz erschienen, erfand der Mensch in den Wirren der auch als Millennium bekannten neuartigen 1000jährigen Epoche das Revival. Man raucht wieder Reval und trägt ekelerregende Kleidungsstücke wie Lederkrawatten, die beim Bügeln verschmurgeln wie die Fliege, die ich in den Siebzigern meinem selbstgebauten Zimmervulkan als Opfer darbot. Ehedem stockhässliche Mädchen sehen nun aus wie die junge Minogue und hören ungestraft das musikalische ëuvre einer Nena, die bereits in ihren »besten« Jahren geistig abbaute und heutzutage Fremdwörter wie Chocma oder so ähnlich benutzt. Ich habe Nena immer gehasst. Seit sie der ewigen Bravo anvertraute, man heiße sie »Nena«, weil dit auf Spanisch »Mädchen« heißen tun würde, verstand ich, dass sie niemals wusste, wovon sie sprach, und so ist es heute noch.

Doch nicht allein Nenchen raubt uns den Nerv, nein, sämtliche Schwachmaten des Achtziger-Jahre-Musikbusiness krabbeln aus ihren Höhlen und trällern synthetisch wie binäre Kampfstoffe einher. Spitze dieses Frevels ist der Popschwesterboy Marc Almond, der denkt, die Deppen von Rosenstolz fänden ihn voll gut. Tatsächlich findet Rosenstolz es voll gut, mit ihm Geld zu verdienen. Bekömmlich ist ihre Musik für Zenbuddhisten und Zahnärzte. Kompatibel eben für alle Schichten des Volkes. Das ist ein höchstgefährlicher Ansatz, denn immer, wenn alle was voll gut finden, steht die Demokratie auf der Kippe.

Damals, zu zehrenden Zeiten schulischer Zerwürfnisse, war ich natürlich für den Nato-Doppelbeschluss. Alle meine Schulkameraden hielten das jedoch für ekelhaft und fanden das Gegenteil voll gut. Nachdem ich mein Hausaufgabenheft mit heiteren Zeichnungen der nukleares Höllenfeuer schürenden SS 20 vollkritzelte und es meinem Herrn Lehrer zur Lektüre überließ, fand der mich auch nicht mehr voll gut.

Immerhin war der herrliche Kalte Krieg der Achtziger ein willkommener Anlass, mich über meine Ich-geh-zum-Kirchentag-und-hol-mir-ein-Palituch-und-ein Kind-weg-Kameradinnen zu belustigen. Dumm waren sie, kannten weder Bauxit, welches bei der Aluminiumverhüttung anfällt, noch Verhütung. Zum guten Glücke erlebte ich die Achtziger im goldenen Westen, studierte behutsam die Bild-Zeitung und wusste Bescheid. Da gerade unsere bucklige Verwandtschaft in der Zone dieses nützliche Blättchen nicht kannte, tut es kein Wunder, wie sich die Dinge in Bezug auf das heute so elende Achtziger-Revival auswirken sollten.

Tatsächlich materialisierte es sich bereits Ende der achtziger Jahre, 1989, um genau zu sein. Unsere Zonenmenschen trugen die sozialistische Version der Achtziger mittels ihrer mineralelementgeschleuderten Stonewashed-Nietenhosen geradewegs hinüber in die verzweifelt geboren werden wollenden Neunziger. Dieser, auch als Zonewashed bekannte Ausbund einer nicht aufgeklärten Klientel schnürte uns nicht allein das Bäuchlein, sondern auch die Kehle zu.

Derweil die Achtziger bereits mit dem Verbot von Formel 1-Turbomotoren inmitten ihrer selbst ein jähes Ende gefunden hatten, glaubten die Besiegten nun aufgrund ihrer abstoßenden Opferhaltung, ihre angebliche Freiheit mittels technischer Sensationen des Westens manifestieren zu müssen. Man kaufte massenhaft elektrische Musik, denn man wusste seit der Elektrifizierung der Sowjetunion, dass Elektrik den Sieg bringt. Unbemerkt von Milliarden Westdeutscher revivalte das eine Volk wie von Sinnen. Nachholbedarf war da, Republikflüchtlinge wollten immer jemanden nachholen.

Mit dem Anbruch des neuen Jahrtausends jedoch bemerkten findige Trendforscher, dass Ostler und Wessis noch immer nicht zusammengefunden hatten. Außer jene, die auf den Schwachsinn vom Super-Ostzonenliebhaber reinfielen und sich einen Zonensexsklaven halten. Um das Volk endlich zu einigen, besann man sich auf die angeborene Achtziger-Jahre-Fixierung der Ostdeutschen. Die war ein munterer Automatismus. Weiter als bis zu den Achtzigern hatte die Zone es ja nie gebracht. Da auch der Großteil der Westdeutschen dämlich genug ist, sich aus Nostalgie die neue Nena oder Eighties Compilations zu kaufen, fand man den gemeinsamen Nenner.

Revivaln war wieder mal urst krass. Immerhin hatte man bewusst auf seltsame Auswüchse der Achtziger verzichtet. Auf schwulen Rockabilly etwa, den die Smiths in eben jenem Jahrzehnt erfanden, oder unsinkbare sowjetische U-Boote. Man muss sich nur einmal diese widernatürlichen Boulevard-Magazine im Fernsehen anschauen. Die dort zu Wort kommenden Abwinkelemente sind stets östlicher Provenienz, tragen hochtoupierte H-Frisuren und hören gern Genesis. Das ist nicht schön. Hätten wir es nur in den Neunzigern zuwege gebracht, ein für allemal die Nineties zu erfinden. Alles was von diesen Jahren von 1990 bis 1999 bleibt, ist Heinrich Breloers überschätzte Mann-Biografie. Blühende Mannschaften statt blühender Landschaften. Herrschaften!

Nun ja, seit ich damals, 1980, die Zukunft schaute, hätte ich mir nicht träumen lassen, ein Vermögen an Solidaritätsvaluta ins Zonenländchen zu zahlen. Mit meinem Geld erstehen junge Nazis Brennstoffe, um Ausländer anzuzünden. Erbärmlich.

Immerhin gab es auch positive Seiten der Achtziger. Ich begann, Tabakszigaretten zu verköstigen, hatte auch mal Sex, fror jedoch erbärmlich, da ich gewahrte, nackt zu sein. Fand kein Eichenblatt, erstand die Heizdecke erst in den Neunzigern, doch auch sie nutzte mir nichts, da ich zu jung war, unten zu liegen, und das Mädchen darauf bestand, mir obläge die Bringeschuld.

Ich kannte ein amerikanisches Mädel, das nur »Hmm, Koke Koule, das schmeckt wörklich gut!« sagen konnte, und las Tempo, die beste Zeitschrift der Welt, die in den Neunzigern wiederum unter dem Titel Spiegel Reporter revivalt wurde. Heute bleibt uns nurmehr eine Micky Maus-Version der wahren Achtziger. Vielleicht sind die Sixties demnächst einmal wieder dran. »Revivalt Disney!« werde ich dann ausrufen und hoffen, das Micky Maus-Heft werde wieder so sein wie früher und nicht so pseudomodern wie die Relaunch-Fassung, die ich mir heute zulegte. Auch so ein Achtziger-Revival - viel Make-up, wenig Inhalt.

Viele trachten danach, die Achtziger zu verklären und verfassen Büchlein. Doch ich bin nur Generation Golf, weil ich einen fuhr. Herrn Geissens »80er-Show« ertrage ich nicht, da Nena dort zu Gast ist. Ich vermisse wenige Eigenheiten der Achtziger. »Falcon Crest« z.B., eine heitere Serie, bei welcher im Gegensatz zu »Dallas« oder »Denver« nicht einer bös' ist und die anderen lieb, sondern alle bös' sind und einer lieb. Wie bei Kim Il Sung. Stolz bin ich jedoch noch heute ob der Tatsache, das langsamste Mofa der Welt pilotiert zu haben. Nicht einmal die eingetragenen 25 Stundenkilometer erreichte es und überwand den Luftwiderstand beileibe nicht.

So lässig die Entdeckung der Langsamkeit zelebrieren kann heutzutage wohl nur ein Alex Yoong. »Höhe: Bodenhöhe!« rief ich mir selbst zu, um mich zu vergewissern, ob diese, 1923 horrende, Geschwindigkeit mich vom Boden abheben ließe. Noch heute bin ich mit beiden Füßen auf dem Boden geblieben, obschon ich ein verdammt raffinierter Bursche bin, den viele beneiden.

So langsam wie die Welt an mir vorbeizog, da ich mit Vollgas einherbrauste, wird das Achtziger-Revival vergehen. Doch was lange weilt, wird endlich obsolet. Vollendete Zukunft, das ist 1980.