Neil Youngs neue Platte »Are You Passionate?«

Patriotismus als Exzentrik

Neil Young rockt zur Erbauung der Nation.

Man hat sich angewöhnt, die Alben von Neil Young in Haupt- und Nebenwerke einzuteilen. Das liegt daran, dass Young in seiner über 35jährigen Geschichte als Recording Artist nur selten mehr als zwei Platten hintereinander abgeliefert hat, die kohärent und stringent sind. Young ist ein Meister der Heterogenität oder besser: des Unzeitgemäßen.

Die Frage dabei ist, sind es die Zeitläufte, die ihm das Unzeitgemäße aufzwingen, oder ist er es selbst, der mutwillig eine einmal gelegte Spur verwischt und nachträglich revidiert? Wahrscheinlich lässt sich diese Frage nicht schlüssig und eindeutig beantworten. In den Achtzigern schaffte er es, mit einer Reihe von irrsinnigen Platten zwischen trashigem Punk und überzuckertem Countryschmalz das Bild des gefühlvollen, authentischen Rockers nachhaltig zu stören. Das war gewollt. Aber als Young einmal das tat, was seine Plattenfirma erhoffte, aber nie einzufordern wagte, nämlich eine Platte mit Pearl Jam aufzunehmen, fiel das Ergebnis durch: »Mirror Ball«, 1995 veröffentlicht, war, gemessen an der Popularität der Beteiligten, ein Flop.

Es ist diese Distanz zwischen dem Werk bzw. der künstlerischen Persönlichkeit und der öffentlichen Rezeption, die für die untergründige musikalische Spannung sorgt. Auch als Superstar kann Young es sich noch erlauben, aus einer Außenseiterrolle heraus zu sprechen, weil sein Werk niemals ganz im Mainstream aufgeht, bisweilen gar brüsk zurückgewiesen wird. Die Distanz wächst immer in dem Moment, wo die eine Seite ein Angebot macht, das von der anderen nicht angenommen wird. Enttäuschung und Rückzug beim Musiker, Unverständnis und zurückgehende Plattenkäufe auf Seiten der Fans sind die Folgen. Nicht selten entlädt sich die Spannung (auf beiden Seiten), wenn Young nach einiger Zeit der Abwesenheit mit seiner treuen Stumpfrock-Band Crazy Horse ekstatische Feedback-Kaskaden zelebriert.

Neil Young hat ein neues Album veröffentlicht: »Are You Passionate?« Und natürlich finden sich auch auf diesem Album Momente der Heterogenität und Durchkreuzungen von Erwartungen. Diese Brüche scheinen eine Menge von dem abzubilden, was Young die letzten Jahre getrieben hat, und was seit »Mirror Ball« auf wenig Gegenliebe stieß. »Are You Passionate?« ordnet diese Brüche nun zu einer Art homogenem Gesamtbild.

Was ist passiert? Bis zum 11. September eigentlich nur dies: Young hat in relativ kurzer Zeit genügend Songs für ein neues Album geschrieben und sich entschieden, sie mit einer neuen Band einzuspielen: mit dem legendären Booker T. Jones an der Orgel, Duck Dunn am Bass, Steve Potts am Schlagzeug und seinem Crazy-Horse-Mitstreiter Frank Sampedro an der Rhythmusgitarre. Die Songs sind konzentriert gespielt, sauber arrangiert, klar produziert - vielleicht zu konzentriert, zu sauber und zu klar. Die musikalische Stimmung ist entspannt, die langen Jams, die Young einmal mehr als coolen Gitarrenhelden featuren, wirken, eben weil sie offensichtlich auf keine Katharsis abzielen, »musikalisch«, gespielt um ihrer selbst willen.

Wie viele neue Songs nach dem 11. September eingespielt wurden, darüber schweigen sich der Plattentext und die offizielle Homepage aus. Mindestens einer, »Let's Roll«, der Hit der Platte, ist nach dem Terrorangriff entstanden. Das Stück ist Todd Beamer gewidmet, der an jenem Tag in der Maschine saß, die nicht in Washington oder New York einschlug, sondern über einem Waldstück zum Absturz gebracht wurde. Beamer schaffte es, über sein Handy Kontakt nach draußen aufzunehmen und anzukündigen, mit anderen Passagieren das Cockpit stürmen zu wollen. Dabei soll er den Mut machenden Spruch »Let's Roll« gesagt haben.

Youngs Stück fängt denkbar bescheuert an, dumpfe Schläge, tiefes Grollen, dann läutet das Mobiltelefon. Die ersten Zeilen lauten: »I know I said I love you/ I know you know it's true/ I got to put the phone down/ And do what we gotta do.«

Nein, der Song ist kein patriotischer Ausbruch, man kann ihn - für sich genommen - als Aufruf zur Zivilcourage lesen: »Let's roll for justice/ Let's roll for truth/ Let's not let our children/ Grow up fearful in their youth.« Das Interessante ist, dass er in einem merkwürdigen Kontrast zu den anderen Texten steht. Da ist von dem Prediger die Rede, der seinen alten Kumpel Gott trifft und ihn fragt: »I'm dreamin' of a time when love and music is everywhere/ Can you see that time is comin'?« Und Gott antwortet: »No my son. That time is gone.« Schließlich mündet der Song in friedlicher Resignation: »They found faith in the way things are/ And the way things change« Überhaupt herrscht in den Texten ein weinerlicher, zerknirschter Ton: »All I got is a broken heart and I don't try to hide it/ When I play my guitar.«

»Let's Roll« wirkt zunächst wie ein Fremdkörper, als Ausdruck des Young-typischen Pechs, keine Ruhe zu finden und sich gegen das »Keine-Ruhe-finden« zwanghaft aufzulehnen. »Are You Passionate?« ist letztlich wieder mal ein Nebenwerk, oder genauer, ein Album, das zerrissen zwischen Neben- und Hauptwerken hängt. Dazu passt auch das überdrehte Cover, dessen Bildmontage - ein Ausschnitt einer Militäruniform, über die eine Rose und eine Schwarzweißfotografie zweier Liebender montiert ist - sich (vordergründig) nicht im Sinngehalt der meisten Texte widerspiegelt.

Aber Young bietet gleichzeitig die Aufhebung dieses Risses, die Einebnung des Kontrastes an. Direkt nach »Let's Roll« kommt der Titelsong. Die Musik ist zurückgenommen, die zerbrechliche Stimme Youngs wirkt noch ein bisschen zerbrechlicher. Der Song ist kein Bekenntnis, er fragt die ganze Zeit: »Are You Passionate?«, »Are you livin' like you talk?«. Bis schließlich das Bekenntnis kommt: »Once I was a soldier/ I was fighting in the sky/ And the gunfire kept comin' back on me/ So I dove into the darkness/ And I let my missiles fly/ And they might be the ones/ That kept you free.«

Hier gelingt Young die Synthese von subjektiver Sichtweise und Bekenntnis einerseits und der Stimmung eines verunsicherten nationalen Kollektives andererseits. In der Zeile »Once I was a soldier...« wird klar gemacht, dass es um die Verteidigung der Freiheit geht und darum, sich dem Kollektiv unterzuordnen.

So ensteht der homogene Entwurf: Neil Young wird zum Beichtvater der Rocknation, einem Beichtvater, der auch hart mit sich selbst ins Gericht geht (die Dialektik von Zerknirschung und Überkompensation). Viele seiner Aktionen der letzten Jahre machen jetzt retrospektiv Sinn. Die musikalisch rundum überflüssige Reunion von Crosby, Stills, Nash & Young gipfelte in einer ausverkauften »Tour Of America«, und eine Platte wie »Mirror Ball« erscheint auf einmal wie das große Versöhnungswerk zwischen den Generationen.

Dass es bei Neil Young immer auch einen patriotischen Zug gab, ist nichts Unbekanntes. Abgesehen von seinen expliziten Sympathien, die er einst für Ronald Reagan aufbrachte, verstand sich dieser Patriotismus als einer »von unten«, die Sichtweise von Gewerkschaftern und Umweltschützern einnehmend. Insgesamt war das aber etwas, was man, wegen der oben beschriebenen Distanz, nicht zu verstehen oder allzu ernst nehmen brauchte. Was bei deutschen Popstars nur eklig ist, funktioniert bei Young wenigstens in Ansätzen: Patriotismus als Exzentrik.

»Are You Passionate?« verleiht dieser Exzentrik aber einen Grad der Verbindlichkeit und Verstehbarkeit, die einen frösteln lässt.

Neil Young: »Are You Passionate?« (WEA)