Zum 100. Geburtstag Leni Riefenstahls

Triumph des Echten

Nur wer den Faschismus nicht kennt, wundert sich, dass Leni Riefenstahl hundert Jahre alt wird.

Nein, es verwundert nicht, dass Leni Riefenstahl hundert wird. Es ist nicht bemerkenswert, dass die Regisseurin soeben einen neuen Film fertiggestellt hat (»Impressionen unter Wasser«), den Arte in der vergangenen Woche zeigte.

Was als Aperçu in beinahe allen Feuilletons gemeint ist, dass nämlich die Regisseurin so bewundernswert jung geblieben ist, dass sie noch ein Haus bauen will, dass die Greisin, ohne sich abstützen zu müssen, die Treppen in ihrem Haus in Starnberg hoch und runter rennt, dass sie sich noch in die digitale Schnitttechnik eingearbeitet hat, dass sie als 72jährige einen Tauchschein machte und noch heute als Tiefseetaucherin in die Meere hüpft und dass sie vor zwei Jahren, als 97jährige, einen Flugzeugabsturz überlebte - wen soll das verwundern?

Im Grunde verlängert Leni Riefenstahl vor unseren Augen lediglich das geschmacklose Projekt, das wir schon bei Ernst Jünger (1895 bis 1998) und Luis Trenker (1892 bis 1990) beobachten durften oder mussten. Faschismus hält jung, und zwar nicht irgendein aufgesetzter Faschismus von irgendwelchen Mitläufern, sondern der gelebte Faschismus, gesund und ohne Selbstzweifel daherkommend. So etwas ist so modern wie seit 1933 nicht mehr.

»Mich fasziniert, was schön ist, stark, gesund und lebendig«, sagte Riefenstahl 1966, aber sie hätte es auch 1926, 1936 oder 1946 sagen können. Das Schöne ist schön, weil es stark ist, weil es gesund ist, weil es lebendig ist, und das ist für Riefenstahl das Faszinosum, das ist für sie Programm. Und zwar ein faschistisches Programm.

Allerspätestens als sie 1926 in »Der heilige Berg« ihr Debüt als Schauspielerin gab, offenbarte sich die Liebe der Leni Riefenstahl zu allem, was sie für unverfälschte Natur hält, und sie präsentierte es glaubwürdig. »Das Schönste, was ich jemals im Kino gesehen habe«, soll Hitler über »Der heilige Berg« und seine Protagonistin gesagt haben.

Das Lob war für ihren beruflichen Werdegang wichtig. Sie machte Karriere, durfte 1933 ihren ersten Reichsparteitagsfilm drehen (»Sieg des Glaubens«), 1934 den nächsten (»Triumph des Willens«), und für 1936 bekam sie den Auftrag, der sie auch international bekannt machte: den zweiteiligen Olympiafilm (»Fest der Völker« und »Fest der Schönheit«).

Innerlich gefestigt als Völkische und Naturverbundene war sie schon vorher, vor Hitlers Lob, bevor sie 1932 Hitler zum ersten Mal begegnete (»wie eine Halbkugel, die sich plötzlich in der Mitte spaltet und aus der ein ungeheurer Wasserstrahl herausgeschleudert wurde«) und vor diesem Vorfall, den der Schriftsteller Carl Zuckmayer 1943/44 in seinen Dossiers für den US-Geheimdienst festhielt: »Als Hitler ihr für ihre Inszenierung des Olympiade- und eines Nürnberger-Parteitag-Films persönlich das Goldene Ehrenabzeichen oder sowas überreichte, fiel sie auf der Bühne vor Aufregung in die Freissen (in Ohnmacht), wobei es ihr misslang, dem Führer in die Arme zu sinken - sie sank ihm zu Füßen und er musste, sichtlich angewidert, über sie wegsteigen um abzugehen.«

Riefenstahl, die sich als Unpolitische versteht, vergöttert die Natur, von der sie glaubt, dass sie unbefleckt, rein, echt sei. Insoweit war der Titel des Films, der ihren Karriereauftakt bildete, Programm: »Der heilige Berg«.

Nach den Bergfilmen inszenierte sie die Körper, mal in ihrer vereinzelten Darstellung, mal in der Masse. Auch die menschlichen Körper gelten ihr im tiefsten völkischen Sinn als rein und echt, als natürlich stark. Ihre berühmteste Szene, oft nachgestellt oder kopiert, ist die Eingangssequenz zum Olympiafilm: Ein nackter, lächerlich auf antik gemachter Diskuswerfer führt langsam seine Wurfbewegung aus.

Ähnliche Inszenierungen hat zu dieser Zeit Arno Breker in Stein gehauen, die gleichen Schönheitsideale finden sich bis heute in beinahe jeder Fernsehwerbung für Duschgel - wo's halt um Sauberkeit geht. Das völkische Bild des Körpers, dem Riefenstahl die filmische Inszenierung gab, ist bis heute in dieser Gesellschaft präsent. Die Vorstellung, die Natur, auch die menschliche Natur, sei nicht vergesellschaftet und man müsse unechte Stoffe von ihr fernhalten: keine Chemie, kein Fleisch, kein Alkohol, keine Genussmittel.

Riefenstahls Botschaft, die sie zur hervorstechenden Vertreterin einer faschistischen Ästhetik machte und macht, hat mit austauschbaren Äußerlichkeiten wie Fähnchen nichts zu tun. Riefenstahl geht es ums Wesentliche: um die Natur, die Scholle, die vor der Zivilisation, die den Völkischen mal als jüdische, mal als kapitalistische und mal als amerikanische erscheint, gerettet werden muss.

Die Inszenierung dieses Anliegens war ihr so wichtig, dass sie sogar für die Filmentwicklung Maßstäbe setzte; etliche technische Neuerungen wie etwa die Zeitlupe sind ohne Riefenstahl nicht denkbar.

1973 begann sie eine weitere Karriere, als Fotografin. Aufsehen erregte ihr Bildband über die Nuba, ein Volk im südlichen Sudan. Schließlich musste nach 1945 die Suche nach der unbefleckten Natur an andere Orte verlegt werden. »Meine Nuba habe ich am meisten geliebt«, sagte sie neulich in einem Interview; wer natürlich ist und vom Fortschritt nichts abbekommen hat, wird von ihr bewundert.

»Ich habe einfach das gefilmt, was mir gefallen hat«, sagte Riefenstahl in einem anderen Interview. Alles, was sie gefilmt hat - das Heilige des Berges, die Massen der Parteitage, den gottgleichen Führer, die natürlichen kraftstrotzenden Athleten, die archaisch lebenden Nuba und zuletzt die Mollusken der Unterwasserwelt -, all das liebt diese Frau.

Zurzeit droht Leni Riefenstahl doppelte Unbill. Eine Gruppe Kölner Sinti und Roma konnte nachweisen, dass Riefenstahls Behauptung falsch ist, sie habe die aus einem KZ rekrutierten Darsteller ihres Films »Tiefland« (1942) alle nach Kriegsende wiedergesehen, keinem einzigen sei etwas passiert. Riefenstahl musste eine Unterlassungserklärung unterzeichnen.

Eine andere Unbill droht Riefenstahl aus Amerika. Jodie Foster möchte ihr Leben verfilmen, doch gemeinerweise nicht nach Riefenstahls Vorstellungen von Ästhetik und Natur. Ein Vertrag platzte, »weil ich eine Sicherheit wollte, dass meine Memoiren wahrheitsgetreu verfilmt werden«, jammerte Riefenstahl. »Ich will nicht, dass aus Sensationsgründen Mythen hineinkommen - wie so oft bei Hollywood-Filmen.«

Riefenstahls Kampf für das Natürliche, das Echte, das Authentische geht weiter. Mal gegen Romafrauen, mal gegen die Amerikaner, und wenn's sein muss, bis zum 110. oder 120. Geburtstag.