Die 14. Shell-Studie

Die Jugend von heute

Der junge Konsument ist nicht mehr das Lieblingskind der Werbung.

Tim Renner, der Chef von Universal Deutschland, meinte vor kurzem, dass man sich beim Anpeilen von Zielgruppen vom Jugendlichkeitswahn verabschieden solle. Die Jugend, für die man dauernd frisches Material kreiert, scheint die Bemühungen der Plattenindustrie nicht gebührend zu schätzen und lädt sich ihre Musik lieber kostenlos aus dem Netz, anstatt ihr Taschengeld zum Plattendealer zu tragen. Man bekommt sie als kalkulierbare Zielgruppe einfach nicht in den Griff, deswegen wird nun versucht, die Älteren, die von der Plattenindustrie so genannten »Sleeper«, für die eigenen Produkte zu gewinnen.

Der Jugendliche, so scheint es, wird in einer Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Erwachsen- und Jungsein immer weiter verwischen, weniger gebraucht denn je. Die Pisa-Studie, bei der sich ja herausstellte, dass in Deutschland Jugendlichen soziale Aufstiegschancen systematisch verbaut werden, unterstreicht diesen Befund noch einmal.

Eine Trendwende zeichnet sich hier ab. Vielleicht auch, weil der Jugendliche ohnehin zu einer Minderheit gehört. Das Durchschnittsalter der Deutschen steigt, der Rentenvertrag wird bald nicht mehr funktionieren, und Kinder zu kriegen kommt immer mehr aus der Mode: Deutschland wird zum Seniorenland. Vielleicht sollte man sich aber auch einfach von dem Bild des Jugendlichen, wie man es bisher kannte, verabschieden: Schluss mit der Jugend, erwachsen ist man von Geburt an.

Die soeben erschienene Shell-Studie, die 14. ihrer Art, gibt dementsprechend zwar vor, sich mit der Jugend des Jahres 2002 auseinanderzusetzen, doch am Ende der Lektüre muss man sich tatsächlich fragen, was an dieser Jugend überhaupt noch »jugendlich« ist, was sie von den Erwachsenen unterscheidet.

Die Jugend von heute will »Karriere machen«, »aufsteigen statt aussteigen«, Leistung, Sicherheit und Macht sind ihr wichtiger denn je, so fasst die Shell-Studie ihre wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Jugendlichkeit als Phase der Rebellion oder als Zeit des Aufbegehrens, des sprichwörtlichen Jugendprotests, das war anscheinend einmal. Die Rede ist nun von »selbstbewussten Machern« und »pragmatischen Idealisten«, von »robusten Materialisten« und von den »Unauffälligen«.

Was mit diesen Kategorien genau gemeint ist, muss man kaum erklären, sie sprechen für sich. Früher einmal, als der Jugendliche noch das wirklich unbekannte Wesen war, noch nicht trendberichtmäßig total durchleuchtet war und als Objekt einer akademischen Jugendforschung nicht wirklich ernst genommen wurde, spezifizierte man ihn unter »Halbstarker«, »Hippie« oder »Hänger«. Dahinter verbargen sich zwar die Arroganz des Nichtverstehens und das Misstrauen gegenüber den nachwachsenden Generationen, doch dieser Ansatz wirkt sympathisch im Vergleich mit den neuen Definitionen, hinter denen man Jugendliche vermuten muss, mit deren Vorstellung vom Leben man bestimmt nichts gemein haben will. Mit einem »robusten Materialisten« möchte man jedenfalls nicht den nächsten Kneipenbesuch planen.

In den früheren Shell-Studien ging es noch darum, irgendwie das Anderssein von Jugendlichen verständlich zu machen. Die Jugendstudie verstand sich zwar noch nie als Durchleuchter von Jugendkulturen, deren kompliziertes Code-Geflecht es zu erklären gelte, sie verwandte zwar eine Technik wie die repräsentative Stichprobe, befragte Jugendliche konkret zu ihren Lebenssituationen und ließ sie auch selbst zu Wort kommen, doch blieb sie immer eine soziologische Bestandsaufnahme und hatte wenig gemein mit einer Studie im Sinne der Cultural Studies.

Fakten, Fakten, Fakten zählten also schon immer mehr als die Untersuchung von subversiven Alltagspraktiken Jugendlicher oder die genaue Analyse von Kleidungscodes. Doch wenigstens ein bisschen interessierte man sich für die Hörgewohnheiten Jugendlicher, setzte sich noch 1997 in der zwölften Shell-Studie mit Rave und Techno auseinander, bewies etwas Sinn für Jugendliche als Teilhabende an Jugendkulturen.

In der neuesten Shell-Studie ist davon nicht mehr viel zu spüren. Schon ihre Aufmachung ist seriös, kalt, sachlich. Sie soll eindeutig den interessierten Pädagogen ansprechen oder gleich Hans-Christian Ströbele, damit er besser checkt, wie er Jugendliche zu seinen Fans machen kann. An jungen Lesern, die etwas über sich selbst und ihre Generation erfahren wollen, scheint man nicht mehr so sehr interessiert zu sein.

Man beschäftigt sich eigentlich nur noch mit der Frage, ob Jugendliche entgegen aller Unkenrufe noch politisch denken und ob sie überhaupt noch am bestehenden Demokratiesystem partizipieren. Der Schwerpunkt der Studie wurde auf, wie es heißt, »politische Einstellungen und politisches Engagement von Jugendlichen« gelegt.

Bei dieser Fragestellung kommt dann heraus, dass sich nur noch 30 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 25 Jahren politisch interessiert zeigen, dass politischem Extremismus eine klare Absage erteilt wird, dass man sich mehrheitlich für ein Verbot der NPD ausspricht und dass sich für die Grünen niemand mehr wirklich interessiert. Der prototypische Jugendliche ist anscheinend der so genannte »Egotaktiker«. Er engagiert sich auch schon mal, wenn es sein muss, aber vor allem, um daraus einen persönlichen Vorteil zu ziehen, denn an sein eigenes Glück glaubt er allemal. Dass es irgendwann einmal eine gerechtere Gesellschaft geben könnte, hält er allerdings für ausgeschlossen. Das ist dann also der Jugendliche, der, so die meisten Reaktionen in den Medien bisher, gar nicht so schlimm ist, wie man eigentlich gedacht hatte.

Mit einer gewaltigen Masse an Datenmaterial belegt der Bericht diesen Hang zum jugendlichen Politpragmatismus. Keinerlei Beachtung schenkt er allerdings jenen Gruppierungen, die eben nicht mehr mit allem einverstanden sind, ausgelassen wird die Frage, wie es zur »No Logo«-Bewegung kommen konnte, was es mit der wachsenden Zahl jugendlicher Globalisierungsgegner auf sich hat und warum etwa Attac unter jungen Menschen so einen Zulauf hat.

Außerdem verträgt sich der Befund von der angeblich so gar nicht extremistisch eingestellten Jugend nicht mit deren manifesten politischen Ausdrucksformen; warum in den neuen Bundesländern »national befreite Zonen« eingerichtet werden konnten und warum zumindest im Osten der Rechtsextremismus zweifellos die Jugendkultur Nummer eins ist. Antworten darauf bleibt die Trendforschung schuldig.

Schon der grundsätzliche Ansatz der 14. Shell-Studie ist falsch, nämlich zu sagen, dass politisches Bewusstsein von Jugendlichen auch tatsächlich mit einem Interesse an (Partei-) Politik gekoppelt wird. Wer bei der Umfrage sagte, er habe »kein Interesse an Politik«, kann dies unter Umständen ja durchaus politisch gemeint haben.

Außerdem kann man auch den Shell-Studien-Befragern bewusst falsche Antworten geben, um das Ergebnis zu verfälschen und um dadurch nicht dazu beizutragen, dass man selbst zur berechenbaren Größe wird. Die Shell-Studie gibt vor, auf alle Fragen Antworten zu haben, die Jugendlichen und ihre Verhaltensweisen erklären zu können, am Ende aber bietet sie einfach nur unendlich viele Antworten auf Fragen, die man selbst nie gestellt hätte.

Die vom Mineralölkonzern Shell herausgebene Studie »Jugend 2002« ist im Fischer-Verlag erschienen und kostet 12,90 Euro.