Interview mit Luiz Inácio Lula da Silva

»Landreform ohne Gewalt«

Sie sind vermutlich der nächste Präsident Brasiliens. Aber im IWF und anderen Gremien gilt Ihre Kandidatur als Gefahr für die Finanzstabilität in Brasilien und Lateinamerika. Ist sie das?

Nein, ich habe stets gesagt, dass ein Marktproblem kein Regierungsproblem ist. Wenn es so wäre, dann hätten wir keine ökonomische Krise, gäbe es keine Kapitalflucht. Denn bis zum 31. Dezember regiert in Brasilien der Präsident Fernando Henrique Cardoso, der Finanzminister Pedro Malan, und es regiert auch der Präsident der Zentralbank, Armínio Fraga. Die Wahrheit aber ist, dass die derzeitige Wirtschaftspolitik Brasilien verwundbar macht. Die Regierung ordnet die Wirtschaft der Spekulation unter und versucht seit kurzem, von der Situation zu profitieren, indem sie zu Wahlterrorismus greift.

Ausländische Investoren wissen, dass die Arbeiterpartei (PT) eine demokratische und verantwortliche Partei ist. Unsere größte Sorge ist, dass die Opfer dieser Spekulation die Armen in Brasilien sein werden, die sich nicht an der Börse beteiligen und oft kein Bankkonto haben.

Aber ausländische Investoren sehen Ihren Aufstieg zur Macht doch mit Sorge?

Solche Sorgen sind auf die reine und simple Logik der Spekulation zurückzuführen. Bis 2003 wird unser Land ein laufendes Staatsdefizit von 17 Milliarden Dollar haben. So etwas ist ohne große Schwierigkeiten zu finanzieren. Zusätzlich werden wir die Außenhandelspolitik nicht auf die Wechselkurspolitik beschränken, sondern auch eine aktive Politik der Exportförderung und der wettbewerbsmäßigen Importsubstitution betreiben.

Sie sprechen von einem »Bruch mit dem gegenwärtigen Wirtschaftsmodell«. Was heißt das denn konkret?

Das wirtschaftspolitische System der Cardoso-Regierung ist geprägt von geringem Wachstum, von hoher Arbeitslosigkeit und vom Fall der Realeinkommen. Wir wollen zu einem anderen System übergehen, das die Rückkehr zu einem anhaltenden und auch staatlich gestützten Wachstum erlaubt. Diese Anstrengung ist sehr wichtig, um endlich damit anzufangen, die große gesellschaftliche Verschuldung der brasilianischen Bevölkerung zu reduzieren. Das wird aber vernünftig und verantwortungsvoll gemacht werden, sodass die erreichten Fortschritte solide und nicht nur vorübergehend sein werden.

Besteht die Gefahr, dass sich der PT wegen der Wahlallianz mit dem rechtsgerichteten Partido Liberal (PL) spaltet?

Nein, diese Gefahr besteht nicht, weil wir eine Allianz auf der Basis eines Regierungsprogramms eingegangen sind. Der PL meines Vizepräsidentschaftskandidaten, Senator José de Alencar, stimmt seit vier Jahren im Nationalkongress gegen die Cardoso-Regierung. Immer an der Seite der Opposition. Es ist das erste Mal in der Geschichte unseres Landes, dass eine Partei und ein Kandidat der Arbeiter so gut im Kampf um die Präsidentschaft liegen. Und wir nehmen als Vize einen bedeutenden Unternehmer, der ein gemeinsames Programm unterstützt.

Wie wird Ihre Politik gegenüber der Landlosenbewegung MST aussehen? Die fordert ja eine Agrarreform.

Wir haben einen klaren Vorschlag für eine Agrarreform, und ich habe öffentlich gesagt, dass wir diesen Prozess nur in einer ruhigen und friedlichen Form durchführen können. Keine einzige Landbesetzung wird nötig sein und kein einziger Gewaltakt gegen irgendeinen Landarbeiter. Brasilien hat 90 Millionen Hektar unbebautes Land, das für die Landwirtschaft geeignet ist. Deshalb ist es unbegreiflich und unerklärlich, dass noch immer wegen der Agrarreform Gewalt angewendet wird.