Schon wieder eine Platte von Chumbawamba

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Chumbawamba haben mal wieder eine neue Platte im Angebot. Ist das ein Grund, sich zu freuen oder sich zu ärgern?

Sobald es um Chumbawamba geht, liegt in linken Kreisen immer ein Hauch von Genervtheit in der Luft. Das neue, inzwischen elfte Album der Band aus Leeds, das den Titel »Readymades« trägt, scheint niemand zu brauchen. »Mal wieder Dancebeats mit politischen Inhalten, nein danke«, so lassen sich die noch eher freundlicheren Reaktionen der Presse und aus dem eigenen privaten Umfeld zusammenfassen.

Tatsächlich schippert bereits der Eröffnungstrack der Platte »Salt fare north sea« mit seinen House-Beats und verträumten Pianolinien rein musikalisch auf Gewässern, die Tanzmucker wie Underworld bereits ausgiebig durchfurcht haben, und dazu gibt es einen Text, der die Streiktradition britischer Matrosen behandelt. Worum es auf den anderen Stücken des Albums geht, ist, wie bei Chumbawamba üblich, den dem Booklet beigelegten »Gebrauchsanweisungen« zu entnehmen. Schnell wird deutlich, dass die unwiderstehlichen Kampfsongs nun fehlen. Die Zurücknahme von didaktischer Agitation hat aber auch etwas Angenehmes und schafft Platz für freiere Assoziationen.

Den Punkt, an dem Chumbawambas Konzept - Offenlegung von Produktionsmethoden, politische Positionierungen und Verbreitung von Statements - bei der angepeilten Zielgruppe nicht mehr so richtig ankam, markiert das Stück »Tubthumber«. Der Song wurde mit der Promotionmaschine des Major-Labels EMI im Rücken zum allgegenwärtigen Kneipenhit und landete schließlich auch noch auf dem Soundtrack des Nintendo-Spiels »Fifa World Cup 98«. Seitdem haben Chumbawamba ein Glaubwürdigkeitsproblem. »Any future revolution deserves a better soundtrack than this«, schnaubte etwa L.A. Weekly.

Anlässlich der Veröffentlichung von »Readymades« auf dem bandeigenen Label Mutt stöhnen nun auch die Kritiker in Deutschland. »Die Divergenz zwischen vorgeblich revolutionärem Inhalt und der erwiesenermaßen erzreaktionären musikalischen Gestalt ist unauflösbar«, so die Intro, während in der Visions gefragt wird: »Hey Chefredakteur, warum besprechen wir eigentlich die neue Chumbawamba? Um den Sarg endgültig zuzunageln?«

Wäre »Tubthumber« nie geschrieben worden, wäre dann die Rezeptionsgeschichte von Chumbawamba anders verlaufen?

Zwischen Soundcheck und Konzert in Heidelberg hat sich mit Gitarrist Boff und Sängerin Alice Nutter das bewährte Duo für Öffentlichkeitsarbeit zum Interview eingefunden, um Fragen zu den politischen Perspektiven der Band eher überraschungsarm zu beantworten. Boff: »Mitte der Neunziger bewegte sich die alternative Rockszene in eine Richtung, die uns schlicht nicht interessierte. Es gab keine Weiterentwicklung, nur noch moralische Grundsätze wie 'no sellout'. Wir dagegen entschieden uns, keinen Kreuzzug mehr zu führen, auf dem wir den Leuten erzählen, was sie zu tun haben.« Aus dieser Grundhaltung resultierte dann auch der vieldiskutierte Deal mit der EMI - ein Schritt, den die Band bis heute nicht bereut: »Bei der EMI hatten wir die völlige Kontrolle über unsere Platte. Als wir den Vertrag abschlossen, war sie bereits fertig, inklusive Artwork. Bei unserem bisherigen Label dagegen wollten sie uns reinreden, wie die Gitarre oder das Schlagzeug klingen sollen«, so Boff.

Alice betont, dass die Band auch weiterhin ein möglichst großes Publikum ansprechen will, und zwar gerne auch via MTV; eine gewisse Breitenwirkung ist für sie die Voraussetzung für alle weiteren politischen und musikalischen Optionen der Band. »Wir sind Pragmatiker und würden alles tun, damit Chumbawamba überlebt, als ästhetische Idee, als Band, als Einheit. Es gibt Leute, die begriffen haben, dass Kapitalismus nun einmal ein Teil ihres täglichen Lebens ist, und die flexibel genug sind, das Kapital trotzdem zu bekämpfen, auch von innen heraus.«

Chumbawamba haben über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren eine erstaunliche Anzahl guter Popsongs geschrieben, die die schwierige Balance zwischen Agitation und Rumgehüpfe, zwischen Form und Inhalt, halten. Es gibt die Punky Reggae Party auf »Enough is Enough«, Eminem-artige Textzeilen wie »You think you're god's gift / you're a liar / I wouldn't piss on you / if you were on fire« (»Mouthful«), positives Pet Shop Boys-Feeling (»Homophobia«) oder lustvollen Sozialneid in »Your Ugly Houses Look So ... Ugh!« Zudem setzten sie schon früh Samples ein, produzierten lustige Brecht / Weill-Updates und lieferten improvisierte oder standardisierte Performance-Einlagen vom bandeigenen Aktionskünstler Danbert.

Auf ihrem Heidelberger Konzert müssen Chumbawamba nur zwei Nummern aus dem »Readymades«-Album bringen, ansonsten können sie sich ganz auf ihre alten Hits verlassen. Gleich nach »Tubthumber«, bei dem die ZuhörerInnen erwartungsgemäß an die Decke springen, gibt's das bewährte und aus unverändert aktuellem Anlass im Programm belassene A-cappella-Stück »Nazi«. Spaß macht es auch, nochmals »Passenger List« zu hören, einen Song, in dem ein paar der meistgehassten Figuren überhaupt - Bill Gates, Paul McCartney, Britney Spears - auf die Check-In-Liste eines Fliegers gesetzt werden, von dem man schon vor dem Start weiß, dass er sein Ziel nicht erreichen wird ... und: »Goodbye!«

Der Liverpooler Regisseur Alex Cox, für dessen neuesten Film »Revenger's Tragedy« Chumbawamba den kompletten Soundtrack fertigten, preist genau dieses Stück in einem bislang unveröffentlichten Artikel als definitiven Beitrag zum letzten Kronjubiläum der englischen Queen an und fügt hinzu: »One rock and roll anthem doesn't make a revolution. But we have to start somewhere.« So sehen das auch Alice und Boff, als sie nach einem Konzert voller Hits und Späßchen, Kostümwechseln und Kylie-Minogue-Zitaten (»Lalala«) ihr ästhetisches und politisches Konzept erläutern.

Das Musikalische steht immer über dem Erzieherischen, machen sie klar, und sie würden niemals eine gute Party abwürgen, um einer widerstrebenden Menge ihre eigenen Anliegen aufzudrücken. »Rock'n'Roll«, sagt Alice, »ist eine emotionale Kunstform. Wenn wir nur wollten, dass die Leute irgendwas kapieren, dann wären wir Prediger geworden.«

Rein ökonomisch haben Chumbawamba künstlerische Kompromisse nicht nötig. Sie können es sich erlauben, das Geld, das sie mit der Lizenzierung ihrer Songs für Werbespots verdienen, an politische Projekte zu geben. Oder sie können lustige T-Shirts drucken lassen mit Aufschriften wie »I'm with shit, 'cause I'm with you« - perfekt für Veranstaltungen wie die Brit-Awards - oder, für alle Gelegenheiten: »War is terrorism with a bigger budget«, ein Aufdruck, mit dem man bei öffentlichen Anlässen allen super auf die Nerven gehen kann.

Chumbawamba ziehen ihr Projekt, das einerseits kommerziell erfolgreich ist, andererseits die affirmative Popindustrie stören will, seit Jahren hartnäckig durch. Womit sie immerhin beweisen, dass das Beharren auf linken Positionen innerhalb des Mainstreams nicht zwangsläufig zur raschen Auflösung der Band führen muss, wie dies zuletzt im Falle von Rage Against The Machine geschah.

Das Stöbern in den Booklets, die randvoll sind mit Geschichtslektionen, Quellen und Zitaten, macht nicht nur Spaß, sondern ist auch nützlich. Wo könnte man sonst so schnell nachschlagen, wer eigentlich genau sagte: »If I can't dance to it, it's not my revolution?« »Readymades« ziert ein weiteres Zitat: Ani di Francos schöne Textzeile »Every tool is a weapon if you hold it right«, die Toni Negri und Michael Hardt auch als Motto für »Empire« diente.

Allerdings ist »Readymades« kein Album, das sich mit der Globalisierung und der Anti-Globalisierungsbewegung auseinander setzen würde. Wie schon bei »Tubthumbing« geht es vornehmlich um britische Themen. Wobei man sich durchaus die Frage stellen kann, warum Chumbawamba sich nicht der Aufgabe gestellt haben, die Verhältnisse nach Seattle und Genua, nach dem 11. September und dem Krieg in Afghanistan zu reflektieren? Wenn Chumbawamba schon die Bedürfnisse heranwachsender Antifas oder Anarchisten weltweit berücksichtigen wollen, stellt sich die Frage, warum sie nicht jetzt von der Mikro- auf die Makroebene umgeschaltet haben.

Doch die Fans scheint diese Beschränkung nicht zu stören. »Die Reaktionen auf 'Readymades' auf unserer Webseite waren überraschend positiv. Die Leute, die dort etwas publizieren, sind normalerweise sehr stolz darauf, wenn sie sich uns gegenüber kritisch äußern können. Doch dieses Mal gab es viele positive E-Mails, was mich überraschte, denn die meisten, die sonst eine Mail schicken, tun das aus Empörung. Da sind teilweise wirklich harte Maoisten drunter.« Vielleicht ist die neue weiche Linie gegenüber Chumbawamba aber auch nur ein Zeichen dafür, dass das Aufregungspotenzial der Band deutlich abgenommen hat.

Chumbawamba: »Readymades« (Mutt/Zomba)