Die Regierung stoppt die Zahlungen an den IWF und die Weltbank

Bezahlt wird nicht

Argentinien stoppt seine Zahlungen an die Weltbank und den IWF. Nun zeigen sich die unterschiedlichen Interessen der beiden Seiten.

Argentinien auf holprigem Weg der Besserung« - mit dieser Überzeugung stand die Börsen-Zeitung noch im Oktober nicht allein. Nun musste die Regierung in Buenos Aires innerhalb einer Woche nicht nur zugeben, dass fünf Kinder an Unterernährung starben, sondern sie stellte auch überraschend die Zahlungen an die Weltbank ein und gefährdete damit vermutlich deren Programm zur Armutsbekämpfung.

Ein Widerspruch? Nein, denn noch hat das hoch verschuldete Land bis Mitte Dezember Zeit, die fällige Rate von 805 Millionen US-Dollar zu begleichen. Schon mehrmals drohte Argentiniens Wirtschaftsminister Roberto Lavagna, die Zahlungen an internationale Kreditorganisationen einzustellen, sofern nicht endlich ein Abkommen mit dem IWF über die Anschlussfinanzierung für den Schuldendienst des nächsten Jahres zustande käme. Eine Einigung zwischen den argentinischen Peronisten und der Unterhändlerin des IWF, Anne Krueger, scheint derzeit jedoch noch weit entfernt.

Die Regierung Eduardo Duhaldes, deren Mandat am 25. Mai endet, hat sich offenbar auf ein Spiel eingelassen, an dessen Ende Argentinien für zahlungsunfähig erklärt werden könnte. Dann stünde das Land auf derselben Stufe wie Liberia, Zimbabwe und der Irak. Die Regierung wäre derzeit durchaus in der Lage, die fällige Rate zu zahlen. Die steigenden Exporte der letzten Monate haben die Devisenreserven der Zentralbank auf 9,8 Millarden Dollar anwachsen lassen.

Ohne das seit zehn Monaten verzweifelt gesuchte Abkommen mit dem IWF jedoch will die argentinische Regierung lediglich die Zinsen überweisen, um die Gespräche zumindest in Gang zu halten. Da im nächsten Jahr 13,5 Milliarden Dollar fällig seien, könne es ohne einen neuen Finanzierungsplan des IWF und der Weltbank nicht weitergehen, beklagte sich Lavagna und machte folgende Rechnung auf: »Bis zum 25. Mai, dem Ende der Legislaturperiode, betragen die Rückzahlungen 100 Prozent der Reserven. Unter diesen Umständen wäre es unverantwortlich und politisch nicht durchsetzbar, weiter zu zahlen.«

Auf den ersten Blick scheint also Argentiniens Regierung nach dem Ende der Zahlungen an private Anleger nun auch die internationalen Organisationen enttäuschen zu wollen, während der IWF alles unternimmt, um das zu vermeiden. Einige Beobachter bevorzugen hingegen eine andere Lesart. Demnach verfolgt Krueger mit ihren harten Auflagen das Ziel, Argentinien in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben, während Lavagna sein Krisenmanagement über die Legislaturperiode retten will.

»Die Entscheidung, nicht zu zahlen, ist letztlich eine unfreiwillige Entscheidung des Ministers gewesen. Tatsächlich leistete Krueger selbst Argentiniens Zahlungsstopp Vorschub«, vermutet der politische Kommentator Alfredo Zaiat in der Zeitung Página 12. Demnach unternehmen die Hardliner im IWF seit Monaten alles, um dem Land so harte Forderungen aufzuerlegen, dass es irgendwann aufgeben müsse.

Worauf beruht diese Einschätzung? Eine Anekdote vom Washingtoner Verhandlungstisch, die ein argentinischer Funktionär der Zeitung La Nación erzählte, gibt einen Hinweis. »Als letztes Argument die sofortige Eliminierung der Ersatzwährungen verlangen«, habe auf einem zerknitterten Stück Papier gestanden, das man Krueger während der Verhandlungen zugesteckt und das sie später auf dem Tisch vergessen habe.

Die Provinzregierungen geben verschiedene Ersatzwährungen aus, um ihre Länderkassen aufzufüllen und zumindest die Staatsdiener bezahlen zu können. Wegen des Widerstands der mächtigen Provinzgouverneure wäre die Forderung des IWF nicht zu erfüllen, darüber hinaus steht sie auch gar nicht auf der Liste des IWF für eine Einigung mit Argentinien.

»Der IWF will keine Einigung«, ist daher eine gängige Meinung in den Büros der Casa Rosada, dem Sitz der Exekutive. Begründet wird diese Ansicht auch damit, dass der deutsche IWF-Chef Horst Köhler in der vergangenen Woche, statt zu verhandeln, lieber an einem Seminar über Globalisierung in Berlin teilnahm.

Also lagen die entscheidenden Verhandlungen mit den Argentiniern in den Händen einer Person, die davon überzeugt ist, dass ein Bankrott Argentiniens ihre These von der Notwendigkeit eines Konkursrechts für Staaten stützen würde. Als Anne Krueger sich vor zwei Monaten mit Argentiniens ehemaligem Wirtschaftsminister Domingo Cavallo traf, der dem IWF nahe zu stehen scheint, fragte sie ihn La Nación zufolge: »Warum sträubt sich Argentinien so sehr, seine Zahlungsunfähigkeit gegenüber den multilateralen Organisationen zu erklären?«

Gegen den Willen der Wall Street und der Banken beschloss der IWF Ende September offiziell, die Einrichtung eines internationalen Konkursgerichts voranzutreiben. Der Plan, der von der ehemaligen Stanford-Professorin Krueger stammt, sieht im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Staates vor, dass eine qualifizierte Mehrheit der Gläubiger eine Umschuldung beschließen kann. Das insolvente Land soll dabei zunächst vor juristischen Schritten einzelner Gläubiger geschützt werden; so soll die Gewährung kurzfristiger Großkredite an Krisenländer ein Ende finden. »Argentinien wird damit zum Testfall (...) auf dem Weg zu einem internationalen Insolvenzverfahren«, erläuterte schon im Januar ein Kreditexperte in der Süddeutschen Zeitung.

Wenn der Fonds an Argentinien ein Exempel statuieren möchte, haben seine Forderungen einen Sinn: Steuerreform, Tariferhöhungen, eine Sperrung der Sparkonten, eine Reform des öffentlichen Bankenwesens, und vor allem ein breiter politischer Konsens.

Die Situation in einem Land, in dem viele Menschen schon lange nicht mehr über echtes Geld verfügen, zeigt jedoch, dass diese Forderungen kaum erfüllbar sind. So kam es in der vergangenen Woche in Mar del Plata zu einer neuen Bankenkrise, nachdem ein Richter 14 000 Konten wieder geöffnet hatte.

Julio Nudler, ein Kommentator der Página 12, betont, dass es nicht nur um politische Disziplin gehe: »Unter der Oberfläche gibt es eine explosive soziale Realität«, die neue Einschnitte nicht erlaube. »Wie soll man nach so krassen Einbußen im Realeinkommen weitere Kürzungen oder sogar den Verkauf von Grundbesitz fordern?« fragt er und meint den Vorschlag des IWF, das Hypothekengesetz zu ändern.

Wie Wirtschaftsminister Lavagna es in einem Brief an die Weltbank erläuterte, wären weitere Zahlungen aus der Devisenreserve »riskant für die wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität des Landes, vor allem in der Vorwahlkampfphase«.

Diese geringe Stabilität gilt es für die Duhaldisten in der regierenden Gerechtigkeitspartei (PJ) auch gegen den Druck des IWF zu halten. Denn in den Reihen der peronistichen Partei ist der Machtkampf um Duhaldes Nachfolge bereits bereits voll entbrannt.

Dem mafiösen politischen Wiedergänger Carlos Menem fällt es vor den parteiinternen Vorwahlen immer leichter, die Sozialpläne der Regierung zu kritisieren. Seine Gegner hingegen versuchen, den ehemaligen Präsidenten klein zu halten, indem sie die höchstrichterlich angeordneten Vorwahlen per Gesetz in den März verschieben wollen. Bis dahin könnten sie ihren Trumpf ausspielen und die »First Lady« Hilda Duhalde als mögliche Vizepräsidentin neben Duhaldes Favoriten José Manuel de la Sota nominieren.

Menem hingegen, der wegen zahlreicher Skandale noch vor wenigen Monaten als unwählbar galt, beschuldigte Duhalde, die Wahlen zu verschleppen, da er in der Partei nur eine Minderheit hinter sich habe. Siegessicher scherzte der ehemalige Präsident kürzlich, als bei einer Ansprache vor Akademikern das Licht ausfiel: »Mit diesen Dingen haben wir Erfahrung.«