Verschwundene Gehirne der RAF-Mitglieder

Symbolische Todesstrafe

Verschwundene Gehirne, Totenmasken in Privatschränken: Die Geschichte der RAF ist endgültig ausgeweidet.

Drei Gehirne sind verschwunden, ein weiteres ist ohne das Wissen der Angehörigen der Toten über Jahre immer neuen Sektionen unterzogen worden, dafür gibt es ein gutes Dutzend Totenmasken zu viel, weil Fahnder und Obduzenten im Deutschen Herbst Trophäen von den zur Strecke gebrachten RAF-Mitgliedern für private Zwecke beiseite schafften. Während die öffentliche Bestattung der in Stammheim gestorbenen Gründungsmitglieder der RAF von der Polizei, den Geheimdiensten und der Staatsanwaltschaft unter Aufbietung modernster Technik und erheblicher Kräfte kontrolliert wurde, erhielten die Mediziner, die die Umstände der Todesfälle erforschen sollten, freie Hand.

Dass post mortem an Ulrike Meinhof das vorgenommen wurde, wogegen sie sich zu Lebzeiten erfolgreich wehrte, nämlich eine Hirnuntersuchung, diente vor allem dem Zweck, ihre Entscheidung für den bewaffneten Kampf als Ergebnis eines anatomischen Defekts zu beschreiben, und wirft ein Licht auf den Umgang des Staates mit seinen Feinden. Die Behandlung der Leichen von Andreas Baader, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof ist nur die Fortsetzung des Umgangs mit den lebendigen Gefangenen, wie er durch die Isolationshaft vor allem im Fall Ulrike Meinhofs gepflegt wurde.

Die prinzipiell vorhandenen rechtlichen und politischen Schutzmechanismen, wie die Öffentlichkeit und strafprozessuale Garantien, wurden weitgehend ausgeschaltet. Der Staat maßte sich eine umfassende Verfügungsgewalt über die Gefangenen an und wurde daran von niemandem gehindert.

Wer einen Angriff auf das »Herz des Staates« unternimmt, das war die Botschaft, hat nicht nur keine Gnade zu erwarten, sondern muss damit rechnen, völlig entrechtet zu werden. Dass der Zugriff weiter reicht, als das Leben dauert, erweist sich als symbolische Todesstrafe.

Der Spiegel, der jetzt das Vorgehen der Mediziner aufdeckte, fühlte sich gleichzeitig bemüßigt, die Untätigkeit der Staatsanwaltschaft seit dem Jahr 1977 als Panne darzustellen und im Übrigen auf die angeblich vorhandene rechtliche Grauzone zu verweisen, die nun möglichst durch eine neue Vorschrift aufgehellt werden soll. Das Magazin empfiehlt sogar, dass die Leichenteile den Pathologen im Interesse der Forschung zur Verfügung gestellt werden sollen. Nur so habe schließlich vor kurzem aufgedeckt werden können, dass vor Jahren plötzlich verstorbene Säuglinge an einem Virus litten.

Im Fall der RAF-Mitglieder, die ja nicht an Hirnerkrankungen starben, geht dieser Rat jedoch fehl. Überhaupt besteht ein gravierender Unterschied darin, ob der Körper von Menschen, die an einer Krankheit verstorben oder einem Verbrechen zum Opfer gefallen sind, untersucht und zur Klärung der genauen Umstände des Todes aufbewahrt wird, oder ob, wie im Fall von Baader, Ensslin, Raspe, Meinhof oder auch verurteilten verstorbenen Straftätern aus früheren Jahrzehnten, die Verfügungsgewalt der Mediziner über Leichenteile dazu dient, angebliche Ursachen für Verbrechen zu erforschen.

Für das, was in der Universitätsklinik Tübingen geschehen ist, gibt es keine Rechtsgrundlage. Nach dem Paragrafen 87 der Strafprozessordnung wäre allenfalls eine Leichenschau zur Klärung der Todesursachen gestattet gewesen, eine Erlaubnis zur Aufbewahrung von Leichenteilen über das Todesermittlungsverfahren hinaus wird dadurch nicht erteilt.

Auch eine Rechtsgrundlage für die Entnahme von Leichenteilen zu Forschungszwecken existiert nicht. Gegen die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens spricht der Paragraf 168 StGB, der jeden mit einer Freiheitsstrafe bis drei Jahre bedroht, der unbefugt aus dem Gewahrsam des Berechtigten Teile des Körpers eines verstorbenen Menschen wegnehme oder wer daran »beschimpfenden Unfug« verübe.

Selbst wenn eingewendet werden könnte, dass der Obduzent ja berechtigten Gewahrsam hatte, wogegen vor allem spricht, dass die Berechtigung mit dem Abschluss der Obduktion endet, bildete das Persönlichkeitsrecht der Toten eine Schranke gegen das, was geschehen ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat, aus anderem Anlass, klar gemacht, dass Grundrechte auch über den Tod hinaus gelten können: »Es würde mit dem verfassungsverbürgten Gebot der Unverletzlichkeit der Menschenwürde, das allen Grundrechten zugrunde liegt, unvereinbar sein, wenn der Mensch, dem Würde kraft seines Personseins zukommt, in diesem allgemeinen Achtungsanspruch auch nach seinem Tode herabgewürdigt oder erniedrigt werden dürfte. Dementsprechend endet die in Art. 1 Abs. 1 GG aller staatlichen Gewalt auferlegte Verpflichtung, dem Einzelnen Schutz gegen Angriffe auf seine Menschenwürde zu gewähren, nicht mit dem Tode.«

Damals, 1971, ging es allerdings nicht um ein entnommenes Gehirn, sondern um den Roman »Mephisto«, dessen Hauptperson auch kein Staatsfeind war, sondern ein Staatsschauspieler, der mit demjenigen Regime Triumphe feierte, auf das auch einer der Obduzenten der Leichen der RAF-Mitglieder so große Hoffnungen gesetzt hatte. Der Titel des Romans passte eigentlich auf den Schauspieler und den Obduzenten, aber weil der Autor Klaus Mann schon früh starb, konnte er sich in seinem Buch nur mit Gustaf Gründgens auseinandersetzen.

Der Roman durfte bis 1981 in der Bundesrepublik nicht erscheinen, weil der Schutz des Persönlichkeitsrechts eines Toten in diesem besonderen Fall höher bewertet wurde als die Kunstfreiheit und die Wahrheit über einen historischen Typus.

Aber die Enthüllungen über den Umgang mit den Gehirnen der toten RAF-Mitglieder erzählt auch viel über denjenigen, der enthüllt, nämlich über den Spiegel, dem zwar die SS-Mitgliedschaft des Obduzenten Hans Joachim Mallach und dessen Jagd auf Trophäen zu viel sind, der aber ansonsten mehr an der Verbreitung der vermeintlichen Fakten über die neurologisch bedingte Aggressivität von Ulrike Meinhof interessiert scheint, als an der Kritik der Zustände, die tote Gefangene der Präparier- und Interpretierwut der Pathologen überlassen.

Und auch die Frage nach der Zuverlässigkeit von Mallachs Befunden im Todesermittlungsverfahren wird nur gestellt, um sie sofort wieder vom Tisch zu wischen. Erfreulich ist aber immerhin, dass es Wissenschaftler gibt, die mehr Bedenken haben: Das Ethikkomitee der Universitätsklinik Magdeburg hat dem Neurowissenschaftler Bernhard Bogerts untersagt, seine Untersuchungen an Ulrike Meinhofs Hirn fortzuführen und die bislang gewonnenen Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlichen.