Verletzt die Grenzen!

Naomi Klein hat Kluges zum Stand der Globalisierungskritik zu sagen. von tobias rapp

Vor ungefähr einem Jahr, es war an dem Abend, als Michael Hardt in der Berliner Volksbühne die deutsche Übersetzung von »Empire« vorstellen sollte, stand ich bei einem Empfang des Campus Verlags herum. Nach einer Weile betrat Michael Hardt den Raum, und in seiner Entourage befand sich auch ein freundlicher Herr um die Fünfzig, der sich mir wenig später als einer der Lektoren des Verlags vorstellte und eine Frage stellte, die mich ziemlich perplex machte. »Wo kommen Sie eigentlich her?« fragte er. »Ich verstehe das alles nicht, was Sie da machen, bei der Jungle World und so. Wir damals, wir wussten genau, warum wir gegen das System waren. Wir hatten genaue Analysen, wir wussten vom tendenziellen Fall der Profitrate, all diese Dinge. Sie scheinen das alles nicht zu wissen. Und trotzdem machen Sie das, was Sie da machen. Können Sie mir das erklären?«

Konnte ich natürlich nicht. Aber es war eine gute Frage. Wenn man »Über Zäune und Mauern« liest, das neue Buch von Naomi Klein, eine Aufsatz- und Kolumnensammlung, die ebenfalls im Campus Verlag erscheint, hat man allerdings nach einer Weile das Gefühl, dass die Frage nach dem Woher vielleicht die falsche ist. Obwohl das Buch dann auf eine bestimmte Art und Weise trotzdem eine Antwort gibt. Ja, es gibt den Kapitalismus, es gibt die multinationalen Konzerne, es gibt die transnationalen Organisationen und es gibt den Widerstand dagegen. Aber diese Bewegung ist höchst komplex und widersprüchlich, und ihre Kraft bezieht sie nicht aus ihrer Fähigkeit, irgendetwas großartig und global erklären zu können. Sie bezieht ihre Kraft daraus, in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Dinge zu tun – in dem Wissen, dass diese Kämpfe trotzdem miteinander verbunden sind.

Das Buch ist eine Zusammenstellung von Reden, Artikeln und Kolumnen, die Naomi Klein in den letzten vier Jahren für diverse Magazine geschrieben hat, vor allem für Globe and Mail und die Nation. Vier Jahre, in denen sich nicht nur das neue politische Subjekt des Globalisierungsgegners formte. Mit dem Erfolg ihres Buchs »No Logo« wurde Naomi Klein selbst für eine Weile der öffentlichkeitswirksame Star dieser Bewegung. Sie war das nicht gerne und versuchte die Rolle abzuwehren, so gut es ging.Ihre Prominenz erlaubte es ihr aber gleichzeitig, ausgiebig in der Welt herumzureisen, und sie wird ihr die eine oder andere Tür geöffnet haben.

Nun haben Aufsatzsammlungen immer auch etwas Ermüdendes, was vor allem der Form geschuldet ist. Eine Kolumne mag man noch gerne lesen, vielleicht auch zwei oder drei, ziemlich rasch hat man jedoch den immer gleichen dramaturgischen Bogen satt. Aber man muss ja nicht alles auf einmal lesen, und dann ist es eine interessante Lektüre. Naomi Klein argumentiert nicht unbedingt linksradikal, trotzdem oder vielleicht gerade deswegen hat die Autorin aber meistens Recht.

Das mag an Kleins Perspektive liegen. Es ist ein Buch, das etwas von einem Entwicklungsroman hat, in der Hauptrolle eine Bewegung, verkörpert allerdings durch die Autorin. Am Anfang hat man die neugierige Demo-Hopperin, die von Gegenveranstaltung zu Gegenveranstaltung reist. Wo immer gegen Weltbank, IWF oder sonstige Bösewichter mobilisiert wird, ist sie dabei, beobachtet, was die Leute sagen, wie sie sich verhalten und was sie tun. Die Demonstrationen werden immer größer, die Bewegung wird zunehmend kriminalisiert, es wird auf Demonstranten geschossen, in Genua gibt es schließlich den ersten Toten. Parallel dazu stellt sich aber auch die Frage nach dem Wohin, die der eingangs erwähnten nach dem Woher gar nicht so unähnlich ist und in einem sehr schönen Aufsatz unter dem Titel »Die Bewegung gegen die globale Konzernherrschaft muss sich nicht auf einen Zehnpunkteplan einigen, damit sie etwas bewirkt« beantwortet wird.

Irgendwann reichen Klein die ständigen Mobilisierungen zu Gegenevents jedoch nicht mehr und sie beginnt sich anzuschauen, wie denn die Kämpfe vor Ort ausschauen, wenn gerade kein Gipfel stattfindet. Das sind dann Texte über den Streik von Arbeitern in einem mexikanischen Nike-Werk, die erzählen, was dieser Streik mit der nordamerikanischen Freihandelszone auf der einen, der Anti-Sweatshop-Bewegung auf der anderen Seite zu tun hat. Oder es geht um die Auswirkungen der Privatisierung von vormals öffentlichen Dienstleistungen in Kanada und darum, was die Proteste von kanadischen Obdachlosen mit denen einer Gemeinde zu tun haben, die sich gegen die Privatisierung der Wasserversorgung wendet. Es geht aber auch um Urheberrechte, um die Folgen der Apartheid in Südafrika, um Argentinien – kurz, Naomi Klein war viel unterwegs und hat eine Menge gesehen.

Manchmal sind die Kolumnen wirklich gut. Wenn sie etwa über die Folgen des Nafta-Abkommens schreibt, über die große nordamerikanische Freihandelszone und darüber, dass auch eine Grenze, die zwar durchlässig für Güter ist, immer noch eine Grenze ist, an der ausführliche Sicherheitskontrollen stattfinden, Kontrollen, die bezahlt werden müssen: »Der Freihandel sollte die Kosten für den Gütertransfer über die Grenze senken und so neue Investitionen fördern. Jetzt sind wir von Freihandel so abhängig (und die USA hegen so große Zweifel an unserer Fähigkeit, auf uns selbst aufzupassen), dass wir Hunderte von Millionen Dollar ausgeben, um den Freihandel im Fluss zu halten. Anders ausgedrückt: Kosten, die früher von der Wirtschaft in Form von Ausfuhr- und Einfuhrzöllen aufgebracht wurden, werden nun dem Steuerzahler in Form von Sicherheitskosten aufgebürdet.« Wie gesagt, linksradikal ist das nicht, Recht hat sie trotzdem.

Allerdings merkt man dieser kurzen Passage auch an, dass die Texte Kleins immer eine offene Flanke zum linken Populismus haben. Kein unangenehmer Populismus, im Gegenteil, wer nach linkem Kitsch sucht, kann bei Klein lange suchen und wird ihn nicht finden. Auch einfache Lösungen für komplexe Probleme bietet sie nicht an. Aber es gibt häufig die gleiche Konstellation: die Bürger auf der einen Seite, die an irgendeiner Privatisierung kein Interesse haben, und die multinationalen Konzerne, die versuchen, diese Privatisierung trotzdem durchzusetzen. Diesen Widerspruch gibt es natürlich. Nur die Tendenz, die sie bei den Bürgern ein erwachendes und immer stärker werdendes Interesse am Widerstand konstatieren lässt, ist nicht unbedingt allerorten zu beobachten. Aber vielleicht ist diese Skepsis auch nur Old Europe.

Einem Thema allerdings hätte man eine etwas ausführlichere Erörterung gegönnt, auch wenn es in vielen der Texte angesprochen wird: Wie sich in der Bewegung der Globalisierungsgegner eigentlich Öffentlichkeit organisiert. Klar, könnte man denken, Internet, Vernetzung. Aber so einfach ist es ja nicht. Es gibt viele Mauern und Zäune, die die verschiedenen Aktivisten trennen, und dadurch, dass man durch Telefonleitungen verbunden ist, hat man noch lange keine Öffentlichkeit. Man ahnt, wie eine solche Öffentlichkeit aussehen könnte, wenn man Kleins Texte über die Zapatisten, das Treffen von Porto Alegre oder über die Centri Sociali in Italien liest, aber wirklich verhandelt wird das Thema nicht.

Naomi Klein hat das Glück gehabt, durch den Erfolg von »No Logo« herumreisen und die Anti-Globalisierungsbewegung begleiten zu können. Interessant wäre es zu wissen, wie dieses Buch wohl aussehen würde, wenn es eine indische, bolivianische oder koreanische Autorin geschrieben hätte.

Naomi Klein: Über Zäune und Mauern. Campus Verlag, Frankfurt/M. 2003, 306 S., 17,90 Euro