»Wir bekämpfen den Popimperialismus«

Gabi Delgado-Lòpez / Robert Görl

Mit Marschmusik und Anti-Imp-Parolen geht es bei Robert Görl und Gabi Delgado-Lòpez alias DAF gegen die US-amerikanische Kriegspolitik. Die neue Single »Der Sheriff (Antiamerikanisches Lied)« hält sich auch gleich seit Wochen in den Deutschen Alternative Charts. Nach 20 Jahren in der Versenkung hat das einst einflussreiche Avantgarde-Duo der neuen Deutschen Welle erstmals wieder ein Album aufgenommen: »15 neue DAF-Lieder«. Der Sound ist noch immer minimalistisch, aggressiv, tanzbar. Olaf Neumann traf Gabi Delgado-Lòpez und Robert Görl in Hamburg.

Das Revival von DAF kommt zu einer Zeit, wo die Neue Deutsche Welle wieder recycelt wird. Nena bekommt Goldene Schallplatten, die Fehlfarben touren erfolgreich durch die Republik. Wollen Sie jetzt auch noch einmal richtig absahnen?

Robert Görl: Unser Comeback haben wir schon vor drei Jahren geplant. Seit zwei Jahren arbeiten wir an neuen Liedern. Der Witz war, dass die Achtziger genau in dieser Zeit wiederkamen.

Das DAF-Konzept ist 1980 im Rausch einer einzigen Nacht entstanden und hatte viel mit der Atmosphäre in Düsseldorf zu tun. Spüren Sie diese Inspiration heute an einem anderen Ort wieder?

Gabi Delgado-Lòpez: Diese Hot-Spots der Kreativität hat es immer gegeben. Ob nun die New-Wave-Bewegung in Düsseldorf, die Dadaisten in Zürich oder die Surrealisten in Paris, die sich angeblich alle in einem bestimmten Café getroffen haben. Der Ratinger Hof war so ein schwarzes Loch. Es gibt auch heute heiße Plätze auf der Welt. Ob nun Berlin dazugehört, wo wir die Platte produziert haben, weiß ich nicht.

Werden die Ideen bei DAF heute immer noch so schnell verwirklicht?

Delgado-Lòpez: Wir neigen nicht zum Bastlertum. Lieber direkte Aktionen durchziehen. Robert macht die Musik, ich schreibe die Texte. Es gibt aber auch Überschneidungen, wir haben ja keinen Koalitionsvertrag abgeschlossen. Zuerst bauen wir die Synthi-Motoren, die Beats kommen immer erst am Ende. Dann nehmen wir den Gesang auf. Man muss natürlich wissen, was für einen Motor man braucht: einen Traktor, der ganz viel ziehen muss oder einen Sportwagen, der abgehen soll. Ich kenne viele talentierte Leute, die an dem so genannten Kupferstechersyndrom leiden. Bedingt durch die Fülle an Möglichkeiten, die es heute in der digitalen Produktion gibt.

Das sind auch die ursprünglichen Ideen des Punk gewesen: roh, schnell und handgemacht.

Delgado-Lòpez: Es ist toll, Energie direkt umsetzen zu können. Außer Punk hat das bisher keine Musik geschafft. Einfach nur die Wut und die Lust in dir herauslassen. Egal, ob du Gitarre spielen kannst oder nicht. Das juckt niemanden. Statt mit Gitarren spielen wir heute mit Synthesizern. Wir wollen genau diese Naturwelle haben, wo der Synthi in Echtzeit oszilliert. Bei uns wird nichts geschnitten. Wenn wir drei Stunden an einem bestimmten Sound gefummelt haben, legen wir die Arbeit erst mal beiseite und machen etwas anderes.

Ist Techno die Fortsetzung des Punk mit anderen Mitteln?

Görl: Techno ist aus der Struktur von Punk entstanden. Der große Unterschied ist, dass Punk eine konfrontative Bewegung war, Techno hingegen eine völlig eskapistische. Die Hippies hatten Revolution im Kopf, die Discoleute wollten am Wochenende Spaß haben.

In dem neuen Lied »Kinderzimmer« heißt es: »Andreas Baader war für mich ein Stern am Firmament, Ulrike Meinhof war für mich als Kind ein echter Superstar.« Ist das nicht eine etwas infantile Sicht der Dinge?

Görl: Über die RAF durfte man schon in den frühen Achtzigern singen. Aber die Leute haben sich trotzdem aufgeregt. Auch »Der Mussolini« war vor 20 Jahren ein Unding, die Reaktionen waren dermaßen heftig. Im Radio wurden wir nicht gespielt, man hielt uns für Nazis. Dabei haben wir nur die Austauschbarkeit von Ideologien vorgeführt, Jesus und Mussolini gleichgesetzt.

Ist die Ästhetisierung des Politischen ein Zeichen unserer Zeit?

Delgado-Lòpez: Die Hälfte meiner Schulkameraden war schon damals RAF-Fans. Weil es ein wirklich cooler Mythos war. Im Fernsehen kam zuerst Emma Peel. Am zweitliebsten haben ich aber die Sonderberichte zur RAF geguckt. Als Kind hat man ja diese romantischen Vorstellungen von Bonnie & Clyde. Heute weiß man, dass auch bei der RAF kleinbürgerliche und spießige Menschen waren. Später habe ich gelesen, wie sich Andreas Baader vorgestellt hat, jemanden zu foltern. Das war nicht schön. Ich werde auch nie vergessen, wie man dann die halbnackten Leichen aus Stammheim rausgetragen hat. An den Selbstmord glaubt doch keiner. Deswegen sind auch deren Gehirne geklaut worden. Unsere Theorie lautet: Ein ehemaliger Nazi-Arzt wollte fieberhaft nach den Terrordrüsen im Hirn der Meinhof suchen. Und jetzt will sogar eine dubiose Organisation die Meinhof klonen.

Ist die RAF immer noch ein Bezugspunkt?

Delgado-Lòpez: Wir wollen in die Trägheit der Masse reinklopfen. Schon die Dadaisten haben 1920 geglaubt, dass es keine Tabus mehr gibt. Dabei existieren noch eine ganze Menge davon. Wir kämpfen gegen den angloamerikanischen Pop-Imperialismus, indem wir mit Hilfe von Tabus aufklärend sein wollen. Das Diffuse, Nebulöse und Unheilsschwangere in der Popmusik ist nach uns so weit fortgeschritten, dass ich darin keine moderne adäquate Haltung mehr erkennen kann. Man darf die Dinge nicht einfach irgendwie im Raum stehen lassen, man muss sie zum Explodieren bringen.

Sie haben mittlerweile beide die 40 überschritten. Kann man sich da der Jugend noch als »aufregend und neu« verkaufen?

Delgado-Lòpez: Mein Lieblingsspielzeug ist die Playstation. Noch vor Musik. Darin unterscheide ich mich von keinem 17jährigen. Deshalb habe ich auch einen kompletten Song mit der Konsole gemacht. Luis Buñuel hat noch im hohen Alter Filme mit einem großen revolutionären Potenzial gedreht. Manche Leute bekommen ja ganz plötzlich einen Drall hin zum Konservativen.

Dennoch haben Sie das Rock’n’Roll-Leben eines Tages gegen den Buddhismus eingetauscht. War Ihnen der Rummel um Ihre Person zu Kopf gestiegen?

Görl: Nein. Ende der Achtziger hatte ich einen schweren Autounfall, bei dem ich fast meinen rechten Arm verloren hätte. Statt Knochen stecken da jetzt jede Menge Schrauben und Drähte drin. Danach setzte bei mir diese spirituelle Entwicklung ein und ich wurde Buddhist. Bis ich festgestellt habe, dass auch im Buddhismus viel schief gelaufen ist. Weil er zu einer Kirche erhoben wurde, was er ursprünglich niemals sein wollte. Deshalb bin ich wieder nach Deutschland zurückgekommen.

Ihre große Liebe war immer Robert Görl. Sind Sie auch ein Paar gewesen?

Delgado-Lòpez: Man kann sich auch lieben, wenn man nicht miteinander schläft. Diese homoerotische Komponente war nicht kreiert, die gab es wirklich. Die Leute haben das auch gespürt und gedacht, wir würden miteinander ficken. Kunst ist aber immer eine Lüge. Sie muss Desinformation sein. Denn es ist illusorisch, dass man sein Image ganz allein und selbst bestimmen kann.

Die intensive Beschäftigung mit der Kunst hat bei Ihnen eines Tages ein psychotisches Syndrom mit Realitätsverlust ausgelöst. Sie wurden in die Psychiatrie eingewiesen.

Delgado-Lòpez: Ich war hochgradig verwirrt mit Halluzinationen und komischen Stimmen. Nicht etwa als Folge von extensivem Drogenkonsum, jedenfalls nicht direkt. Wenn man viele Ideen hat, kann sich das Ganze irgendwann verselbstständigen. Jeder fünfte Deutsche ist angeblich psychisch krank. In der Psychiatrie habe ich aber viele interessante Leute kennen gelernt.