Völkerrecht, hör die Signale!

Das internationale Recht kann das Weltgeschehen positiv beeinflussen, unter Umständen gar als »Gentle Civilizer of Nations« fungieren. von oliver tolmein

Das internationale Recht ist so wenig ein einheitlicher Korpus von Gedanken, Ideen und Rechtssätzen, wie es einfach ein Antikriegsrecht ist. Es ist nicht seine Aufgabe, als Argument für oder gegen Kriege herzuhalten. Es hat auch nicht zum Ziel, dem Guten auf Erden einen Platz zu verschaffen. Internationales Recht regelt die Beziehungen zwischen den Nationalstaaten – und mittlerweile noch viel mehr: Die Welthandelsorganisation (WTO) zielt vor allem auf die Regulierung des Warenverkehrs und orientiert sich dabei kaum verhüllt an den Interessen von Akteuren in der wirtschaftlichen Sphäre. Das Kriegsrecht, wie es sich im Rahmen des Völkerrechts herausgebildet hat, dient auch dem Schutz der Individuen im Krieg, ein komplexes Regelwerk internationaler Verträge unter dem Dach verschiedener UN-Agenturen soll helfen, Menschenrechte zu wahren, und bietet dabei mittlerweile auch zumindest in Rudimenten einen individuellen Rechtsschutz an. Auf der anderen Seite sind mit den Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunalen und dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag völkerrechtliche Instrumente geschaffen worden, die Individuen für (national-) staatliches Geschehen zur Verantwortung ziehen. Das ist nicht alles gut, gegen den ICC lassen sich ebenso wie gegen die Tribunale gute Argumente vorbringen. Aber eine Beschränkung auf Nationalstaaten kann man dem internationalen Recht nicht (mehr) vorwerfen.

Die Vielgestaltigkeit des internationalen Rechts ist ein Pendant zur Verrechtlichung, wie wir sie auch auf kommunaler und nationaler Ebene beobachten. Dem liegt wohl u.a. die Vorstellung zugrunde, dass in geregelten Verfahren Konflikte besser zu bereinigen oder gar zu umgehen wären. Dass das Recht dabei notwendig versagen muss, sollte eine Binsenwahrheit sein, ist es aber anscheinend nicht. Niemand käme auf die Idee, das Verwaltungsrecht zu beerdigen, weil immer wieder Verwaltungen sich nicht an Bestimmungen halten, das Strafrecht versagt nicht deshalb, weil jedes Jahr zehntausende dagegen verstoßen und Menschen verletzen oder gar töten und sich mithin nicht an die rechtlichen Normen halten. Allerdings, und hier endet dann die Parallele, wer gegen strafrechtliche Vorschriften verstößt, riskiert, dafür in Haft genommen zu werden. Internationales Recht lässt sich weitaus schwerer exekutieren. Bezeichnenderweise hat das internationale Wirtschaftsrecht, das im Rahmen der WTO kodifiziert ist, die effizientesten Sanktionsinstrumente.

Immerhin: Die USA sind vor dem Internationalen Gerichtshof, dem Justizgremium der Vereinten Nationen, wegen der Verminung der nicaraguanischen Häfen und wegen ihrer Unterstützung der Contra verurteilt worden. Und auch Neuseelands Engagement, Frankreich von der Durchführung weiterer Atomtests abzuhalten, führte dort zum Erfolg.

Dass das internationale Recht an Durchsetzungsschwächen leidet, macht es allerdings nicht obsolet – was man schon an dem Bemühen selbst der USA sieht, eine völkerrechtliche Legitimation für ihr Vorgehen zu erhalten. Internationales Recht bleibt aber jeweils politisches Recht. Seine Stärke (und übrigens auch seine jeweilige Ausrichtung) hängt davon ab, ob und wie sehr ihm welche Akteure auf internationaler Ebene Geltung verschaffen wollen und können. Das Beispiel des ICC ist ein Beleg, dass die Ergebnisse dabei nicht unbedingt besser sind, als wenn nur staatliche Akteure auftreten. Für »uns« – und dieses »wir« hat genau so scharfe Konturen wie das internationale Recht – heißt das, dass die Rechtswidrigkeit eines Krieges keinesfalls Hauptkritikpunkt sein darf. Auch ein rechtmäßiger Krieg kann im Übrigen falsch sein.

Aufs internationale Recht sollten wir deswegen nicht pfeifen. Es ist einer von mehreren Faktoren, die das Weltgeschehen beeinflussen und über dessen Bedeutung wir uns jeweils klar werden sollten. Martti Koseknniemi, der wohl zu den klügsten und kritischsten Wissenschaftlern gehört, die sich mit internationalem Recht befassen, hat dieses einmal als »Gentle Civilizer of Nations« bezeichnet. Das ist es auch nicht immer. Aber doch manchmal. Das ist nicht revolutionär. Aber auch nicht wenig.