Das Gen muss man seh’n

Die EU will sich in der Landwirtschaft mit den USA anlegen. Auf Kosten der Dritten Welt. von danièle weber

Europas VerbraucherInnen können aufatmen. Künftig kann ihnen keinerlei Nahrung, die mit genetisch veränderten Organismen in Berührung kam, untergejubelt werden. Wo Gentechfood drin ist, muss dies auch unmissverständlich auf der Verpackung vermerkt sein – selbst dann, wenn die genetisch veränderten Organismen (GMO) im Endprodukt nicht mehr nachweisbar sind. Das beschloss das Europaparlament am Mittwoch der vergangenen Woche in einer neuen Kennzeichnungsverordnung.

Dasselbe Recht auf freie Wahl im Supermarkt sollte den US-amerikanischen BürgerInnen im »land of the free« nicht vorenthalten werden, meinen die Europäischen Grünen, die sich am Tag zuvor »aus solidarischen Gründen« mit einem offenen Brief an Präsident George W. Bush wandten. »Give your people a choice, Mr. Bush: label GM food«, so die Empfehlung an den Präsidenten.

Lobbying-Methoden, wie sie Bush an den Tag legt, seien in der Europäischen Union tabu, betonen die Grünen Europaparlamentarier. Besonders im Plenum in Strasbourg wird kaum eine Gelegenheit ausgelassen, um das Bild einer umweltbewussteren, verbraucherfreundlicheren EU gegenüber den Biotechnologie-Freaks aus den USA zu zeichnen. Dabei wird gerne unterschlagen, dass auch die EU in den letzten Jahren Forschungsgelder in Millionenhöhe in die Biotechnologie gesteckt hat.

So vermieden es die Grünen vorsorglich, in ihrem Kommuniqué diesen Gegenstand an die große Glocke zu hängen. Die neue Kennzeichnungsverordnung ist ein Schritt auf dem Weg zur Abschaffung einer Maßnahme, mit der die EU bislang bei kritischen KonsumentInnen Punkte gesammelt hat: des Importverbots für Agrarprodukte, die GMO enthalten. Seit 1998 besteht dieses Moratorium, das seitdem auf heftige Kritik der USA und der Welthandelsgesellschaft (WTO) stößt. US-amerikanische Getreidebauern beklagen, dass ihnen jährlich Exporte in Höhe von 300 Millionen US-Dollar durch die Lappen gehen.

»Im Namen eines Kontinents, der vom Hunger bedroht ist«, appellierte zudem vor zwei Wochen George W. Bush an die EU, ihre Opposition gegenüber Biotechnologie aufzugeben. »Wegen künstlicher Barrieren wollen viele afrikanische Länder nicht in Biotechnologie investieren«, so Bush, »sie haben Angst, dass ihre Produkte von wichtigen europäischen Märkten ausgeschlossen sind.«

Sich ausgerechnet von den USA eine Lektion in Sachen Entwicklungshilfe erteilen zu lassen, habe man nun wirklich nicht nötig, so die pikierte Reaktion einiger EU-Vertreter: Gentech sei kein Wundermittel gegen den Hunger in der Welt. Außerdem würden die 15 EU-Staaten sieben Mal so viel für Entwicklungshilfe ausgeben wie die USA. »Fakt ist, dass wir in Europa beschlossen haben, manche Dinge anders zu behandeln als die USA«, sagte ein Sprecher der EU-Kommission, Reijo Kemppinen. »Was die GMO betrifft, glauben wir einfach, dass es besser ist, auf Sicherheit zu setzen, als hinterher etwas zu bereuen.«

Indessen tobt der Handelskrieg zwischen der EU und den USA auf anderer Ebene weiter. Ursprünglich wollte Ägypten zusammen mit Kanada, Argentinien und den USA die EU vor der WTO verklagen und so erreichen, dass die EU das Importverbot für GMO-Produkte aufheben muss. Als Ägypten ankündigte, sich aus der Allianz zu verabschieden, kam die Quittung aus Washington. Man werde die angekündigten Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Ägypten vorerst aussetzen. »Wenn man ein Freihandelsabkommen mit jemandem abschließen will, ist wichtig, dass sich die Leute, mit denen man spricht, an ihr Wort halten«, so ein US-Sprecher.

Der Druck auf die EU wächst – nicht nur wegen des GMO-Moratoriums. Auch die jährlich rund 100 Millionen Euro Subventionen im Agrarbereich verstoßen gegen die von der WTO vorgegebenen Regeln der freien Marktwirtschaft. Monatelang rangen die EU-Agrarminister um einen Kompromiss in Sachen gemeinsamer Agrarpolitik. Ende Juni schließlich präsentierten sie eine Reform, wie sie zur EU passt: Zwar sollen Subventionen künftig tatsächlich von der Produktion abgekoppelt werden. Damit »der Ausbruch aus dem alten Agrarsystem«, so die deutsche Agrarministerin Renate Künast, die hiesige Bauernwelt nicht allzu sehr erschüttert, sollen die Neuerungen stufenweise umgesetzt werden. Zudem ist der Plan gespickt mit Ausnahmeregelungen. So soll etwa die Produktion von Getreide und Fleisch weiter subventioniert werden.

Andere sprechen deshalb statt von der viel zitierten Agrarwende von der Fortsetzung europäischer Dumping-Politik. »Diese Reform ist ein Desaster für die Armen in der Welt«, so Phil Bloomer von der Hilfsorganisation Oxfam in London. »Die hiesigen Bauern werden weiterhin mehr produzieren als wir brauchen und diesen Überfluss zu Dumpingpreisen in Drittweltländer exportieren.« Bloomer gibt ein Beispiel: Der europäische Konzern Arla Foods, der jeden Morgen einer halben Million Briten die Milch zum Tee liefert, exportiert jährlich Milchprodukte im Wert von 71 Millionen Euro in die Dominikanische Republik. Arla kassiert Exportsubventionen in Höhe von 18 Millionen Euro von der EU, die Produkte sind deshalb 25 Prozent billiger als die dominikanische Milch. Rund 10 000 Bauern hätten deshalb ihren Job in den letzten 20 Jahren verloren, beklagt Oxfam.

Würde Arla den Export stoppen, könnte natürlich zahlreiche britische Bauern dasselbe Schicksal ereilen. Das wiederum fürchten auch die deutschen Bauernverbände. »Wir werden durch diese Reform Einkommenseinbußen haben, die sich zwischen 1,2 und zwei Milliarden Euro bewegen«, erklärte der Präsident des deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner, der ein Aussterben der europäischen Bauern befürchtet.

Wen gilt es nun zu schützen? Eine Frage, die in der Antiglobalisierungsbewegung nicht eindeutig beantwortet ist. Längst marschieren inzwischen auf so manchem EU-Gegengipfel VertreterInnen der traditionellen Bauernverbände zusammen mit AktivistInnen aus kritischeren Agrarverbänden und Dritte-Welt-Soligruppen nebeneinander. Einig sind sie sich lediglich in ihrem deutlichen Nein zur aktuellen EU-Agrarpolitik, ihre Forderungen widersprechen sich zuweilen diametral.

»Kleinbauern machen immerhin über 70 Prozent der absolut Armen und Hungernden aus. Das Agrar-Dumping der EU zerstört nachhaltig die selbstständige Nahrungsmittelversorgung ganzer Volkswirtschaften und trifft die Ärmsten der Armen am heftigsten«, so die diffuse Analyse des »Agrarnetzes« von Attac Deutschland, das »mehr Kohärenz zwischen WTO-Agrarverhandlungen und Agrarwende« fordert. Die EU betreibe ein Doppelspiel. Einerseits setze die Agrarwende auf das Modell einer umweltbewussteren und regional angepassten ländlichen Entwicklung, andererseits fördere die EU-Handelspolitik weiterhin den »aggressiven Export auf den Weltmarkt und höchst umwelt- und sozialschädliche Produktionsweisen«.

Doch auch Globalisierungsgegner fordern zuweilen den Erhalt des europäischen Protektionismus. Die Confédération paysanne etwa spricht sich vehement gegen die Abkopplung der Subventionen aus. Ihr prominentestes Mitglied ist zugleich eine Ikone der französischen Antiglobalisierungsbewegung: José Bové sitzt derzeit im Gefängnis, weil er Genmais- und Reisfelder in Montpellier angezündet hat. Die EU-Reform habe zum Ziel, so die Confédération, »dass der Markt die Dinge alleine regelt«, der Preis für Agrarprodukte würde sich unweigerlich auf dem niedrigsten Weltmarktniveau einpendeln. Und das würden viele französische Bauern nicht mehr überleben.

Auch hier könnten Europas KonsumentInnen eingreifen. Immerhin haben sie die freie Wahl zwischen den heimischen, regionalen Produkten und der importierten Ware. »Frei sein heißt, die Wahl haben«, so die Grünen in ihrem Schreiben an George W. Bush. Und nur informierte Menschen könnten die richtige Wahl treffen.