»Die Industrie soll uns Geld geben«

Rosenstolz

AnNa R. und Peter Plate sind zusammen Rosenstolz. Die Sängerin aus Ost-Berlin und der Songschreiber aus dem niedersächsischen Goslar lernten sich 1991 kennen und taten sich bald zum Popduo zusammen. Schon ein Jahr später kam »Soubrette werd’ ich nie« auf den Markt. Ihre Musik gilt als ambitioniert, als eine neue Form des deutschen Schlagers.

Am 1. März kommt ihre neue Single »Liebe ist alles« auf den Markt. Mit Rosenstolz sprach Olaf Neumann.

»Sie wollen keine Helden sein, gründen auch keinen Verein«, heißt es in Eurem neuen Stück »Willkommen«. Ist das das spezielle Rosenstolz-Lebensgefühl?

AnNa R.: Wir wollen unseren Lebensstil gar nicht sonderlich predigen, sondern einfach nur vorführen. Jeder sollte das machen, wozu er Lust hat – natürlich mit Rücksicht auf seine Mitmenschen. Man sollte sich nicht zwangsläufig gesellschaftlichen oder staatlichen Zwängen unterwerfen.

Aber Gefühle wie Angst und Unsicherheit sind gegenwärtig sehr verbreitet. Ist das auch in den Kreisen, in denen ihr euch bewegt, zu spüren?

Peter Plate: Da unsere Freunde mehr oder weniger aus dem Umfeld der Musik kommen, kriegen wir diese Unsicherheit ziemlich direkt mit. In den letzten zwei Jahren wurden in der Branche enorm viele Arbeitsplätze abgebaut, beträchtliche Teile unseres Freundeskreises sind davon betroffen. Die müssen sich jetzt alle umorganisieren. Aus Angst entsteht aber auch wieder der Mut, etwas Neues auf die Beine zu stellen.

Euer Plattenboss Tim Renner, Geschäftsführer von Universal-Deutschland, ist überraschend zurückgetreten. Als Grund gibt er an, dass der Mutterkonzern wieder stärker auf internationale Künstler setzen will. Nicht erfolgreiche Acts wie Rosenstolz, sondern vor allem Newcomer werden von den radikalen Sparmaßnahmen betroffen sein.

AnNa R.: Für mich ist Tim Renner der Held des Jahres. Uns betrifft sein Rücktritt insofern, weil die ohnehin sehr kühl gewordene Branche mit ihm einen weiteren echten Typen verloren hat. Tim Renner ist einer der letzten Plattenbosse, die noch über Herzblut verfügen. Sein Rücktritt ist sehr bitter für die gesamte Branche. Leute mit Ideen, Visionen und Leidenschaft werden leider immer weniger.

Peter Plate: Gleichzeitig steigt der Druck. In dieser Runde haben wir noch Glück gehabt, aber auf viele Nachwuchsbands kommen katastrophale Zeiten zu. Man kann nur hoffen, dass die Medien in Zukunft verstärkt über neue Gesichter berichten. Es gibt schließlich genug davon. Zur Not müssen halt diejenigen von uns, die noch einen Vertrag haben, die jungen Kollegen unter die Fittiche nehmen. Wenn es die Industrie nicht mehr tut, muss halt die andere Seite eingreifen.

Wäre denn der große Durchbruch von Rosenstolz auch ohne Unterstützung der Musikindustrie möglich gewesen?

AnNa R.: Die gesamte Konzeption von Musik über Marketing bis hin zu Konzerten stammt von uns selbst und befindet sich nach wie vor in unserer Hand. Wir arbeiten sehr familär. Die Industrie hat weiter nichts zu tun, als uns Geld zu geben. Den Erfolg haben wir uns ganz hart erarbeitet. Uns hat das immer großen Spaß gemacht. Zumal die Anstrengung auch der Musik gut getan hat.

Peter Plate: Tim Renner kennt Rosenstolz von Anfang an. Anfang der Neunziger war er ein kleiner Mann bei Polydor, wo wir gerade unterschrieben hatten. Als sowohl er als auch die Band immer größer wurden, kamen wir an einen Punkt, wo Renner uns zu einer kommerzielleren Produktion überreden wollte. Darüber haben wir uns eine ganze Nacht lang furchtbar gestritten. Er hat zwar verloren, aber wir sind trotzdem Freunde geblieben.

Die Umsätze der Musikbranche sind seit der Einführung der CD um ein Drittel gesunken. Sind die fetten Gänse geschlachtet?

Peter Plate: Das hoffen wir natürlich nicht. Für Bands wie uns, die neben den Platten auch viele Konzerte spielen, gibt es immer noch große Chancen. Künstler, die heutzutage keine Live-Erfahrung haben, wird es allerdings richtig treffen. Wer in solchen Zeiten etwas werden will, muss verdammt hart ran.

Oder bei einer großen Casting-Show antreten.

AnNa R.: Auch das wird wieder vorbeigehen. Weil es einfach zu viel ist. Für mich sind Leute wie Alexander ohnehin keine wirklichen Superstars. Dazu mangelt es ihnen an Qualitäten. Was haben die denn schon gemacht, außer in einer Casting-Show vorzusingen, die durchaus ihre Berechtigung hat. Nur nicht in dieser Größenordnung. Es sollen gerne alle ihre Chance bekommen, aber es wird sicher nicht noch einmal passieren, dass fünf verschiedene Casting-Show-Teilnehmer nacheinander auf Platz eins stehen. Gottseidank haben die Zuschauer von »Deutschland sucht den Superstar« oder »Starsearch« allmählich die Schnauze voll. Der »Grand Prix« bietet ohnehin die besseren Chancen. Nicht nur, weil die Teilnehmer qualitativ viel hochwertiger sind.

Liegt die derzeitige Umsatzflaute vielleicht auch daran, dass die Musikindustrie immer weniger auf Qualität setzt?

Peter Plate: Durch die jüngste CD-Preissenkung konnte die Talfahrt in Amerika gebremst werden. Damit hat Universal das beste Quartalsergebnis überhaupt erreicht. In Deutschland werden solche Nachrichten gern unter den Tisch gekehrt. Sie passen nicht zur schlechten Stimmung. Viele Probleme sind hausgemacht. Die Krise hat auf jeden Fall etwas mit dem sinkenden Niveau von Musik zu tun. Deshalb muss man Künstler langfristig aufbauen. An den Casting-Shows verdienen die Plattenfirmen zudem relativ wenig, weil sie die Kohle mit den Sendern teilen müssen. Wenn wir nicht aufpassen, kriegen wir hier irgendwann italienische Verhältnisse. Im Moment scheint es aber fast so, als ob die Dschungel-Shows die Casting-Shows ablösen würden.

Berlin war immer die Stadt der jungen Bands, von denen die ganze Industrie zehrt. Ist es damit jetzt vorbei?

Peter Plate: Das wird verklärt. Als ich vor zwölf Jahren nach Berlin kam, war hier gar nichts los. Die Leute zeigten mir einen Vogel, wenn ich von meinen musikalischen Ambitionen erzählt habe. Nach dem Boom der letzten fünf Jahre wurde Berlin zur spannendsten Stadt. Und jetzt der Rückschlag. Für Berlin sehe ich aber trotzdem optimistisch in die Zukunft. Eine Menge kreatives Potenzial steht kurz vor der Explosion. Wer heute etwas werden will, muss allerdings mit eigenen Ideen in Vorleistung gehen. Ansonsten wird man keinen großen Fisch angeln können. Für einen Nur-Musiker wie Jimi Hendrix gäbe es heute keine guten Voraussetzungen.

Die Musikindustrie ist vor allem eine Industrie. Michael Jackson wurde angeblich immer nur als Geldmaschine benutzt. Trägt die Branche eine Mitschuld an seinem Absturz?

AnNa R.: Kein Mensch kann das beurteilen. Auf jeden Fall ist es eine ganz schreckliche Geschichte. Kein Wunder, dass der Mann wunderlich geworden ist. Wer so gelebt hat wie Michael Jackson, der möchte wahrscheinlich als Erwachsener seine verlorene Kindheit zurückbekommen. Wenn man es sich zeitlich leisten kann, ist das auch eine legitime Geschichte.

Peter Plate: Meine Kindheit war auch fürchterlich. Ich habe aber trotzdem nicht das Bedürfnis, an mir etwas wieder gut zu machen. Den Moment, wo ich erwachsen wurde, empfand ich als einen Befreiungsschlag. Vorher war ich ein kleiner linkshändiger Außenseiter aus Goslar, dessen Vater nicht verstehen konnte, dass sich der Sohnemann lieber für Musik statt für Fußball begeistern konnte.