Der belehrt uns wieder

Beim Provider Freenet lässt man Ressentiments freien Lauf

Warum Internet-Provider heißen, wie sie heißen, ist eine Frage, die sicherlich schon bald in Doktorarbeiten geklärt werden wird. Im Falle des Anbieters Freenet wäre die Antwort dabei sicher recht einfach: Der Name soll an die Forderung »Keep the net free« erinnern und dem Nutzer das Gefühl geben, sich auf eine antikommerzielle Plattform eingelassen zu haben. In Wirklichkeit jedoch – große Überraschung – ist Freenet trotz des fancy Namens einfach nur ein Unternehmen, das vor allem eines will: Geld verdienen.

Kritiker bemängeln so schon seit Monaten, dass der Provider zum einen zweifelhafte Rechnungen an Kunden verschicke und zum anderen Freenet-kritische Pages wie www.freenetbeschiss.de.vu für seine Kunden sperre.

Daher ist es wohl auch auch nur folgerichtig, dass Freenet unter der Rubrik »Nachrichten« Auszüge eines Bild-Beitrags for free verwurstete. Unter der Überschrift »Nach der Affäre: Friedman belehrt uns wieder« hieß es dort: »Umstrittener Jesus-Film trifft auf umstrittenen TV-Talker.«

Michel Friedman, so hieß es schmierigstmöglich im redaktionellen Text, habe, »erholt von Kokain- und Callgirl-Affäre«, das Wort ergriffen, um Regisseur Mel Gibson des Antisemitismus zu zeihen.

Denn auch wenn es für Clickrates und Page-Impressions nicht mehr das ganz große Geld gibt, so kann man doch nach wie vor mit der Kundenbeteiligung ein bisschen was verdienen. Zumal die meisten User sich darüber freuen, wenn sie um ihre Meinung gebeten werden. Im Falle Friedmans sieht die so aus: »Jetzt wird man schon als Nazi beschimpft, wenn man was gegen Friedman sagt! Dabei soll dieser Verbrecher sich endlich mal aus dem Staube machen oder hingehen, wo der Pfeffer wächst! Das wird ja immer besser, offenbar ist ein verurteilter Jude immer noch besser als ein Deutscher, der unbescholten ist!! Langsam artet die ganze deutsche Selbstgeißelung echt in die volle Perversion aus!!«

Weil was?

Friedman höchstpersönlich Jesus angenagelt hat? Nö: »Der Friedman ist genau so ein Drogenschwein, wie alle anderen Drogenschweine auch, ob Nazi, ausländisch, deutsch oder sonstwas! Und damit spreche ich ihm jedes! Recht auf eine öffentliche moralische Position ab!! Oder ist er vielleicht als Jude ein geschütztes Drogenschwein??«

According to Freenet eher ja, denn dort beschäftigt man für seine Foren offensichtlich keine Moderatoren. Und daher passt auch niemand auf, ob eventuell das Thema – wir erinnern uns, der Jesus-Film – verfehlt wird: Und so darf ein anderer Teilnehmer im 39 Seiten umfassenden Thread feststellen: »Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Für die Verbrechen vor 1945 hat der deutsche Staat und die Wenigen noch Lebenden gebüßt.« Beziehungsweise: »Aber vielleicht eines Tages, vieleicht in geraumer Zukunft, werden wir Deutschen nicht mehr zu denen gehören die wegkucken, und es werden die lauter werden, die die Ungerechtigkeit in Beirut, und im gesamten Libanon, nicht mehr hinnehmen. Dann, Herr Friedmann, sind Sie nur noch einer der wenigen in Deutschland, die den Begriff ›Antisemitismus‹ in den Mund nehmen.«

elke wittich