Einer überfliegt sie alle

Seit seinem Einstieg beim Figaro kontrolliert der Rüstungsindustrielle Serge Dassault 70 Zeitungen oder ein Drittel der französischen Presse. von bernhard schmid

Eine Frage braucht man nicht mehr zu stellen: Seit Donnerstag vorletzter Woche ist aufgeklärt, warum 10 von insgesamt 13 Erben des französischen Medienzaren Robert Hersant es in den letzten Wochen und Monaten plötzlich eilig hatten, ihren Wohnsitz zu wechseln. Die Mehrzahl von ihnen zog es in die Schweiz oder in europäische Steuerparadiese. Nun ist auch klar geworden, warum.

An jenem Donnerstag wurde bekannt, dass 500 Millionen Euro in nächster Zukunft ihren Besitzer wechseln werden – wohl am französischen Fiskus vorbei. Die Erben des vor acht Jahren verstorbenen »Papierfressers« (papivore), des Presseindustriellen Hersant, hatten bisher einige Probleme beim Entrichten ihrer Erbschaftssteuer. Jetzt dürften sie wohl ausgesorgt haben. Denn sie verkaufen 50 Prozent der Anteile am Presseunternehmen Socpresse, das ein gutes Drittel des französischen Markts kontrolliert, an den Rüstungsindustriellen Serge Dassault.

Da er bereits seit Januar 2002 über 30 Prozent der Kapitalanteile an der Holding verfügte, wird der Großunternehmer jetzt also 82 Prozent der Aktien halten und Socpresse allein kontrollieren. Socpresse gibt über siebzig Zeitungen und Zeitschriften heraus, darunter die konservative Tageszeitung Le Figaro, das Wochenmagazin L’Express, die Wirtschaftszeitschrift L’Expansion und eine Reihe von Regionalzeitungen in Lyon, Grenoble, Lille und Angers.

Dassault, der an der Spitze des gleichnamigen Konzerns steht, ist ansonsten vor allem im militärischen Flugzeugbau aktiv und baute beispielsweise den französischen Kampfdüsenjäger Rafale und den Kampfjet Mirage; die Namen bedeuten »Gewehrsalve« und »Luftspiegelung«. Doch auch in der Presselandschaft ist er bereits vor einigen Jahren aktiv geworden. 1997, im Jahr der Rückkehr der französischen Sozialdemokraten ins Regierungsgeschäft, begann er sich für die Medienwelt zu interessieren. Damals hielt er nicht mit seinen Absichten hinter dem Berg. Ende 1997 erklärte er im Kabelfernsehkanal LCI, ein Konzern wie der seine benötige »eine Zeitung, um seine Meinung ausdrücken und auch einigen Journalisten antworten zu können«.

Sein erster Versuch galt der Übernahme des konservativ-liberalen Wochenmagazins Le Point, wobei er jedoch scheiterte. Auch eine Übernahme der Wochenzeitschrift L’Express misslang – vorläufig. Doch im Januar 1998 war es dann so weit: Dassault konnte seine ersten Schritte als Presseunternehmer zurücklegen, mit dem Ankauf der Unternehmensgruppe Valmonde. Diese gibt unter anderem das rechte Wochenmagazin Valeurs actuelles (Aktuelle Werte) heraus, das vor allem über Wirtschafts- und Armeethemen berichtet. An der Spitze des Aufsichtsrats installierte der Rüstungsindustrielle seinen Sohn Olivier Dassault, der zugleich Abgeordneter der konservativen Regierungspartei UMP und Präsident einer Studiengruppe zur internationalen Wirtschaftspolitik ist.

Das Agieren im Familienclan ist Serge Dassault bestens vertraut, ist er doch selbst als Alleinerbe seines prominenten Vaters – des Flugzeugbauers Marcel Dassault – aufgestiegen. Die Geschichte des väterlichen Konzerns ist über lange Jahre hinweg eng mit der Karriere eines gewissen Jacques Chirac verbunden. Dassault begleitete in den sechziger Jahren den ehrgeizigen Jungpolitiker, der in der ländlichen Region Limousin als Parlamentskandidat antrat, indem er eigens zu dessen Unterstützung eine Zeitung aufkaufte, L’Essor du Limousin. Viel später, 1980, sagte Marcel Dassault der Regenbogenzeitschrift Paris Match: »Das RPR«, die 1976 von Chirac gegründete neogaullistische Partei, »ist eine meiner Tänzerinnen, die ich subventioniere«.

Natürlich profitierte auch der Dassault-Konzern selbst von dem engen Verhältnis. Im September 1975 empfing Jacques Chirac, damals Premierminister unter Präsident Valéry Giscard, einen besonderen Staatsgast im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles – einen gewissen Saddam Hussein, damals noch Vizepräsident, aber bereits der starke Mann im Irak. Unter den geladenen Gästen befand sich Marcel Dassault.

Keine zwei Monate später kamen Offiziere der irakischen Luftwaffe, um die Dassault-Flugzeugwerke zu besichtigen und den Kampfjet Mirage F1 zu erwerben.

Araber, die nicht zu den zahlungskräftigen Diktatoren zählen, haben bei den Dassaults allerdings wesentlich schlechtere Karten. Denn Serge Dassault, der auf dem rechten Flügel der Konservativen aktiv ist, amtiert seit 1995 auch als Bürgermeister der südlich von Paris gelegenen Trabantenstadt Corbeil-Essonnes. Damals verzichtete der neofaschistische Front National (FN) in dieser Stadt darauf, eine eigene Kandidatenliste aufzustellen, um den Wahlsieg Serge Dassaults, der nach 36 Jahren eine KP-Kommunalregierung stürzte, nicht zu behindern. Drei Mitglieder des FN mussten sogar von der Parteileitung des neogaullistischen RPR von seiner Kommunalwahlliste entfernt werden.

Seitdem ist Dassault mehrfach von Gerichten aufgrund diskriminierender Praktiken verwarnt oder verurteilt worden. So erklärte er 1998 seine rechtswidrige Absicht, in seiner Kommune keine einzige Sozialwohnung mehr an Immigranten vergeben zu wollen. Und im Januar 2003 musste ihn ein Gericht dazu zwingen, als Vorgesetzter des örtlichen Standesamts die Eheschließung eines 25jährigen Tunesiers, der keine gültigen Aufenthaltspapiere hatte, mit einer Französin zuzulassen. Denn nach damaliger Gesetzeslage wurde auch einem »illegalen« Einwanderer das Recht auf Eheschließung zugebilligt; später hat die rechte Parlamentsmehrheit diese Bestimmung allerdings geändert. Außerhalb Frankreichs ist Serge Dassault auch von der belgischen Justiz, 1997, verurteilt worden. Die Ursache war, dass er sozialdemokratische Politiker in Belgien bestochen hatte, um einen Auftrag für Armeeflugzeuge einzuheimsen.

Es ist offenkundig, dass Serge Dassault plant, sich als Eigentümer eines so bedeutenden Presseimperiums einzumischen. Angesichts seines Fehlschlags beim Versuch, L’Express zu übernehmen – den er jetzt, über die Holding Socpresse, ebenfalls kontrolliert –, erklärte der Industrielle Ende 1997, es habe »nicht viel Sinn«, eine Zeitung zu übernehmen, wenn »man nicht in der Redaktion intervenieren« kann. Er fügte hinzu: »Aber ich will vielleicht eines Tages eine liberale Zeitung machen.« Liberal ist in Frankreich – anders als in Deutschland – in der Praxis ein politischer Kampfbegriff, der eindeutig auf Marktliberalismus und die Durchsetzung des wirtschaftlich Stärkeren verweist. Denn der Bürgerrechtsliberalismus, den die deutsche Wortbedeutung ebenfalls umfasst, wird im Französischen mit dem Adjektiv »citoyen« bezeichnet. Dem Begriff »libéral« geben dagegen nur wirtschaftspolitische rechte Hardliner eine positive Bedeutung.

Vor einigen Monaten, Dassault hielt damals »erst« 30 Prozent der Anteile an Socpresse und damit am Express, hat Dassault bereits in die Tätigkeit der Redaktion einzugreifen versucht. Im November fragte die Wochenzeitschrift auf ihrer Titelseite, ob »das Ende Raffarins« bevorstehe. Daraufhin rief Dassault nicht nur im Amtssitz des wirtschaftsliberalen Premierministers an, um sich vielmals zu entschuldigen, sondern beschimpfte auch die zuständigen Redakteure am Telefon. Ein Vorgeschmack auf die Zukunft der französischen Presse?

Doch Dassault ist nicht allein, denn da gibt es noch Arnaud Lagardère, der ebenfalls im Medien- ebenso wie im Waffengeschäft aktiv ist. Zusammen werden sie in Bälde über 70 Prozent des französischen Zeitungsmarkts kontrollieren.