Zerstörte Zelle

Urteile im RZ-Prozess von oliver tolmein

Es gibt Verfahren, deren Ergebnis klar vorgezeichnet ist. Und doch ist man überrascht, wenn es schließlich da ist. Das Berliner RZ-Verfahren gehört in diese Kategorie. Die fünf Angeklagten wurden in der vergangenen Woche zu Haftstrafen zwischen 33 und 51 Monaten verurteilt.

Nachdem der Kronzeuge Tarek Mousli in seinem eigenen Verfahren als glaubwürdig bezeichnet worden und angesichts der ihm vorgeworfenen Taten mit einer ungewöhnlich milden Strafe davongekommen war, mussten seine Aussagen die Verurteilung der fünf als Mitglieder der Revolutionären Zellen Angeklagten tragen. Dass sie es trotz zahlreicher Widersprüche und offensichtlich falscher Behauptungen Mouslis taten, sagt vor allem etwas über das Interesse an der Verurteilung der Angeklagten aus. Aber immerhin ging es in dem Verfahren vor dem Berliner Kammergericht auch um ein Pistolenattentat auf einen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht. Obwohl die Tat verjährt war, lag der Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig offensichtlich etwas daran, den ihrer Auffassung nach für die Schüsse Verantwortlichen zu benennen.

In den 174 Prozesstagen des Berliner RZ-Verfahrens, so anachronistisch es insgesamt anmuten mochte, ging es um mehr als um eine späte Genugtuung für die Justiz. Die RZ standen für viele in den achtziger und frühen neunziger Jahren für eine Form der Militanz mit menschlichem Antlitz. Ihre Anschläge, bei denen niemand umkommen sollte, griffen die Anliegen sozialer Bewegungen auf. Sie sollten nicht nur materiellen Schaden anrichten, sondern oft auch praktischen Nutzen bringen. Die Vernichtung von Akten humangenetischer Beratungsstellen mit einer ideologischen Kontinuität seit dem Nationalsozialismus; die Zerstörung eines Rechners im Ausländerzentralregister, die einige Menschen vor der Abschiebung rettete; Brandanschläge auf Adler-Verkaufsmärkte, die den Arbeiterinnen in Asien höhere Löhne bringen sollten – das alles galt Manchen als Beweis für die Möglichkeit eines dritten Weges zwischen tödlichen Attentaten und gewaltfreiem symbolischem Engagement.

Der Prozess, in dessen Verlauf sich die meisten der Angeklagten einließen, zerstörte den Mythos von der »unfassbaren« RZ gründlich und dauerhaft. Schließlich konnte die Bundesanwaltschaft sogar die Deutungshoheit über einen wichtigen Abschnitt der RZ-Geschichte für sich beanspruchen, nachdem sie im Verlauf des Prozesses Steinchen für Steinchen zu einem Mosaik der RZ, wie sie angeblich waren, zusammengefügt hatte.

Die RZ selbst waren im Zuge ihrer Auflösung über das wichtige, aber nur einen sehr begrenzten Ausschnitt ihrer Geschichte behandelnde Papier mit dem Titel »Gerd Albartus ist tot« nicht hinausgekommen. Die radikale Linke hatte die Auseinandersetzung über Fehler und Entwicklungen wie so oft vertagt, bis es zu spät war. Zwar entstanden im Verlauf des Verfahrens einige beachtliche Stellungnahmen und Diskussionspapiere, aber der Fokus lag längst auf dem Prozess und seinen absehbaren Folgen.

Jetzt schreiben einige der Anwälte und Anwältinnen an ihren Revisionsschriften und versuchen, für ihre Mandanten niedrigere Strafen oder sogar einen Freispruch zu erwirken. Juristische Anknüpfungspunkte für dieses Begehren gibt es etliche, und für die Angeklagten hängt von einer erfolgreichen Revision manches ab. In der radikalen Linken aber kommt es darauf an, die Anfang der neunziger Jahre begonnene Auseinandersetzung über die eigene Geschichte fortzusetzen. Damit nicht in Zukunft derjenige, der etwas über die RZ erfahren will, seine Erkenntnisse vor allem aus den Gerichtsprotokollen und Urteilen gewinnen muss.