Ali surft nicht

Bedeutet der Krieg ein neues Vietnam? von jörn schulz

»Der Irak wird kein neues Vietnam.« Wohl kaum ein Regierungs- oder Militärsprecher in den USA kam in den vergangenen Monaten umhin, diesen Satz zu wiederholen. Doch nicht nur der demokratische Senator Robert Byrd hört »Echos von Vietnam«. In den US-Medien wird der Vergleich jetzt ernsthaft erörtert.

Die Regierung reagiert gereizt auf solche Vergleiche. Allzu deutlich darauf zu verweisen, dass die Verlustquote der US-Truppen wesentlich geringer ist als in Vietnam, könnte als Zynismus gewertet werden. Und den Vergleich politisch zu entkräften, würde die weiterhin gepflegten antikommunistischen Mythen widerlegen.

In Vietnam ging es nie um Demokratisierung, die USA unterstützten ein rechtsextremes Regime gegen eine Befreiungsbewegung. Die Vietminh schufen rückblickend betrachtet zwar bloß die Grundlagen für die kapitalistische Warenproduktion. Die Unterstützung der Bevölkerung aber gewannen sie durch ein soziales Programm, das Alphabetisierung, Gesundheitsversorgung und Gleichberechtigung der Frauen versprach, und das die Hoffnung vermittelte, der Kapitalismus könne durch ein humaneres Gesellschaftssystem ersetzt werden.

Im Irak meint es die US-Regierung durchaus ernst mit der Demokratisierung. Die bürgerliche Demokratie garantiert schließlich langfristig eine störungsfreiere Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft. Der Rückgriff auf rechtextreme Diktatoren ist immer eine Option, wenn die Macht der herrschenden Klasse oder die Interessen der kapitalistischen Großmächte bedroht sind. Im Irak muss jedoch eine Bourgeoisie aus den Trümmern einer durch Jahrzehnte des Ba‘athismus militarisierten und atomisierten Gesellschaft erst geschaffen werden. Das Bündnis mit einer solchen Bourgeoisie ist für die USA die einzige Chance, langfristig ihren Einfluss im Irak zu wahren.

Verglichen mit dem Terror in Vietnam, dem mehr als zwei Millionen Zivilisten zum Opfer fielen, ist die Kriegführung im Irak deshalb ausgesprochen zurückhaltend. Doch auch mit einer Militärstrategie, die schon auf den Beschuss durch einzelne Heckenschützen mit dem Abwurf von 500-Pfund-Bomben reagiert, macht man sich keine Freunde.

Vor allem aber fehlt der Demokratisierungsstrategie der USA jede gesellschaftspolitische Komponente. Es scheint nicht einmal Pläne für den Aufbau des irakischen Privatkapitalismus zu geben. Der »American Way of Life«, die Teilhabe an der westlichen Konsumkultur mit ihren persönlichen Freiheiten, kann, wie die Proteste im Iran beweisen, durchaus mobilisierende Wirkung entfalten. Doch die kapitalistische Besatzungspolitik scheitert an ihren immanenten Widersprüchen.

Um die geplante Privatisierung leichter durchsetzen zu können, konserviert die Besatzungsmacht das restriktive ba‘athistische Arbeitsrecht. Ohne starke Gewerkschaften aber gibt es keine Teilhabe der lohnabhängigen Bevölkerung an der Konsumkultur. Die Besatzungsmacht hat zwar fast alle bedeutenden politischen Organisationen in den Regierungsrat eingebunden, auf die Selbstorganisation der Bevölkerung aber ignorant bis repressiv reagiert. Weit eher als der Arbeitslosengewerkschaft macht man den schiitischen Reaktionären Konzessionen.

Vor allem deshalb dürfte die Mehrheit der irakischen Bevölkerung in den gegenwärtigen Kämpfen einen Konflikt sehen, aus dem man sich besser heraushält. Aus den Aufständen für eine religiöse oder nationalistische Diktatur ist kein »Volkskrieg« geworden. Doch auch für die Besatzungsmacht wollen nicht einmal die irakischen Soldaten kämpfen, die dafür bezahlt werden.