Rent a Warlord

In Afghanistan eskalieren die Machtkämpfe der Warlords. Die kapitalistischen Großmächte loben sich derweil für ihre Erfolge bei der Stabilisierung des Landes. von jörn schulz

Afghanische Warlords kann man nicht kaufen. Man kann sie nur mieten. Wann der Kontrakt abläuft, entscheiden die Umstände. Und wenn die Umstände von verschiedenen Warlords unterschiedlich beurteilt werden, kommt es zum Kampf.

General Hashim Habibi, Kommandant der afghanischen Armee in Maimana, kam in diesem Frühjahr zu dem Schluss, dass ein Bündnis mit Verteidigungsminister Muhammad Fahim für ihn vorteilhafter sein würde als weitere Loyalität zu Rashid Dostum. Vermutlich ging Habibi davon aus, dass Fahim den Kampf um die Hegemonie im Norden gewinnen würde. Doch seine Entscheidung erwies sich als verfrüht. In der vergangenen Woche stürmten Dostums Truppen Maimana und besetzten die umliegenden Distrikte der Provinz Faryab. Enayatullah Enayat, der Gouverneur von Faryab, entkam nur knapp einem Lynchmob. Er und Habibi sind seitdem untergetaucht.

Dostums Vorgehen sei »verfassungswidrig«, klagte Innenminister Ali Ahmad Jalali am vergangenen Donnerstag. Die Regierung in Kabul entsandte 750 Soldaten nach Maimana und übte sich zugleich in verbaler Schadensbegrenzung. Dostum habe in einem Telefongespräch mit Präsident Hamid Karzai »vollständige Loyalität zur Zentralregierung« gelobt, es habe zuvor nur »einige Missverständnisse« gegeben, verkündete Regierungssprecher Jawed Ludin.

Tatsächlich betonte Dostum seine Loyalität: »Ich werde der nationalen Armee helfen und man sollte mir vertrauen.« Einige Korrekturen im Kabinett hält der treue Staatsdiener aber doch für nötig. Dostum fordert von Karzai die Entlassung des Verteidigungsministers Muhammad Fahim und des Innenministers Ali Ahmad Jalali: »Wenn er es nicht tut, wird seine Regierung scheitern.« Und auch Gouverneur Enayat will er nicht mehr sehen. Sollte Karzai ihn nach Maimana zurückschicken, »wird es einen Aufstand geben«, drohte sein Sprecher Akbar Boy. Die Regierung behauptete unterdessen, die Kontrolle über Maimana zurückgewonnen zu haben. Habibi dagegen erklärte in einem Telefoninterview, Dostums Truppen seien weiter auf dem Vormarsch.

Bereits im März war es im westafghanischen Herat zu heftigen Fraktionskämpfen gekommen, bei denen auch ein Minister getötet wurde. Trotz der US-Offensive gegen al-Qaida-Kämpfer im Süden Afghanistans haben die Guerillaaktivitäten dort nicht aufgehört. Präsident Karzai sah sich deshalb gezwungen, die Wahlen um drei Monate auf September zu verschieben.

»Die positive Entwicklung Afghanistans zeigt, was erreicht werden kann, wenn wir unsere Kräfte bündeln«, hatte Bundeskanzler Gerhard Schröder anlässlich der Afghanistan-Konferenz Ende März in Berlin (Jungle World, 16/04) geurteilt. Eine etwas optimistisch anmutende Einschätzung, dennoch hat Schröder in gewisser Weise Recht. Die Entwicklung in Afghanistan zeigt, was die »internationale Gemeinschaft« erreichen kann. Entgegen den erklärten und wohl auch den tatsächlichen Absichten der Interventionsstaaten etabliert sich hier ein neues Modell kapitalistischer Elendsverwaltung.

Das afghanische Bruttosozialprodukt wird auf vier Milliarden Dollar geschätzt, das entspricht knapp 30 Prozent der Kosten der im Land stationierten internationalen Truppen. Mit schätzungsweise 2,3 Milliarden Dollar ist der Opiumhandel die wichtigste Einkommensquelle. Die Profite werden überwiegend von den Warlords abgeschöpft, und die bedeutendsten unter ihnen dürften über höhere Einnahmen verfügen als die Regierung in Kabul.

Dass viele von ihnen in die Kabuler Regierung integriert sind, macht die Lage nicht einfacher. Denn Warlords wie Verteidigungsminister Fahim nutzen ihre Position, um ihre Privattruppen mit Uniformen der »nationalen« Armee einzukleiden. Dostums Klagen sind also nicht einmal gänzlich unberechtigt, allerdings würde er wie Fahim handeln, wenn ihm ein hoher Ministerposten nicht verwehrt geblieben wäre. Allein die Präsenz internationaler Truppen, vor allem der US-Luftwaffe, verhindert einen offenen Bürgerkrieg. Wohl nicht zufällig überflogen US-Kampfflugzeuge bei »Aufklärungsmissionen« mehrfach Dostums Domizil in Shibergan. Die Warlords wissen jedoch, dass begrenzte regionale Machtkämpfe toleriert werden.

US-Präsident George W. Bush dürfte wenig Interesse daran haben, sich wegen des Streits über eine abgelegene afghanische Provinz einen neuen Konflikt aufzuhalsen. Seine Truppen sind im Irak vollauf beschäftigt, die Offensive gegen die al-Qaida im Grenzgebiet zu Pakistan verläuft schleppend. Und da die Irakpolitik Bush keine große Hilfe im Wahlkampf sein wird, muss wenigstens eine Eskalation in Afghanistan vermieden werden. Bis zur Präsidentenwahl im November haben die Warlords weniger zu befürchten denn je. Im August werden die letzten Mohnkapseln angeritzt, UN-Experten erwarten eine Rekordernte.

Die Herrschaft der Warlords hat die Klassenstrukturen, aber auch die traditionellen Hierarchien, durch eine neofeudale persönliche Abhängigkeit ersetzt. Die Warlords bieten Schutz vor ihren Kämpfern und denen ihrer Konkurrenten, als Gegenleistung fordern sie Unterwerfung und Abgaben. In einer Mischung aus Mafiaherrschaft und Diktatur agieren die Warlords als Kriegsunternehmer. Ihre ständige Konkurrenz führt zu einem latenten Kriegszustand. Da nicht kontrollierbare soziale Schichten mit unabhängigen Einkommensquellen ihre Macht gefährden würden, müssen sie jede Entwicklungsanstrengung blockieren.

Es ist auch im Rahmen kapitalistischer Politik denkbar, diese Machtstrukturen zu durchbrechen. Es hat sich jedoch erwiesen, dass der real existierende Kapitalismus unfähig zum nation building ist. Die Bereitschaft, Geld auszugeben, ist in der kapitalistischen Politik ein recht zuverlässiger Maßstab für die Bedeutung eines Anliegens. Afghanistan liegt hier im Mittelfeld der Zuwendung. Auf der Berliner Konferenz wurden dem Land von der »internationalen Gemeinschaft« 8,2 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2007 zugesagt. Für den Irak haben die USA allein im vergangenen Haushaltsjahr mehr als 20 Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe bereitgestellt. Haiti dagegen will US-Außenminister Colin Powell mit 64 Millionen Dollar abspeisen.

Es ist jedoch müßig, einmal mehr den Geiz des Westens und das Missverhältnis zwischen militärischen und zivilen Ausgaben zu beklagen. Denn ohne eine gesellschaftliche Strategie des nation building würde die Finanzhilfe ohnehin nur die Taschen westlicher Geschäftsleute und afghanischer Warlords füllen. Selbst unter den wesentlich günstigeren Bedingungen im Irak haben sich die kapitalistischen Großmächte als unfähig und unwillig erwiesen, die gesellschaftliche Demokratisierung, etwa durch Hilfe beim Aufbau von Gewerkschaften, zu fördern. Dort halten die wichtigsten politischen Organisationen ungeachtet der Konflikte mit den Besatzungsmächten am Aufbau eines föderalen und demokratischen Staates fest. In Afghanistan dagegen hat kaum ein bedeutender Machthaber Interesse am nation building. Während demokratische Gruppen wie die Frauenorganisation Rawa bis heute vergeblich auf Unterstützung warten, werden die Warlords von den Interventionsstaaten hofiert.

Sie können es nicht besser. Und es gibt derzeit wenig Anlass zu der Hoffnung, dass eine emanzipatorische Bewegung neue Formen des Widerstands und der gesellschaftlichen Organisation findet, um die Warlordisierung zu überwinden. Deshalb muss befürchtet werden, dass sich in Afghanistan und anderen Ländern der kapitalistischen Peripherie, ob mit oder ohne internationale Protektoratstruppen, die Herrschaft der Warlords verfestigt.