Gras und Cappuccino

Zwei neue Bücher beschreiben die aktuelle Situation in Israel und den besetzten Gebieten und was das für die Menschen bedeutet. von tsafrir cohen

Erst nach einem langen Aufenthalt in Goa, dem beliebten Fluchtpunkt junger Israelis, konnte Liran Ron Furer wieder klar sehen: »Das Einzige, was mich vom Wahn trennte, waren die Drogen. Ohne Gras wäre ich verrückt geworden, aber die Drogen haben mir das Hirn geöffnet und plötzlich flog ich über euch und ich sah von oben euren Plan. Ihr habt mich benutzt wie einen Roboter, und nur jetzt an irgendeinem Strand in Goa … sehe ich die Dinge, wie sie wirklich sind. Also fickt euch, weil ich nicht mehr existiere. Ich fliege über euch alle, ich bin frei und werde nicht in eure aufgespannten Netze fallen. Ich sehe die Wahrheit und ich werde nie nie nie nie zurückkehren.«

Die zweite Intifada hat die israelische Gesellschaft in den letzten Jahren dominiert und verändert. Gleichzeitig ist der Konflikt selbst unsichtbar geworden. Die meisten Israelis haben kaum Interesse an den Geschehnissen in den besetzten Gebieten, die Massenmedien haben sich zum Sprachrohr der Behörden gemacht, ihre Korrespondenten vom Ort des Geschehens zurückgezogen. Während sie sich in Selbstzensur üben, wird ausländische Kritik als antiisraelisch oder gar antisemitisch abgestempelt. Regierung und Besatzungsbehörden erschweren auch den wenigen Interessierten den Zugang zur palästinensischen Bevölkerung.

Gegen diesen Verdrängungsprozess innerhalb der israelischen Gesellschaft stellt sich der ehemalige Soldat Liran Ron Furer in seinem kontrovers diskutierten Band »Checkpoint Syndrome«. Furer reflektiert nicht subtil, sondern schildert in grober, aber doch lyrischer Soldatensprache aus der Ich-Perspektive den Entmenschlichungsprozess unter den israelischen Besatzungssoldaten, die an unzähligen Checkpoints postiert sind, die palästinensische Siedlungen voneinander trennen und die Palästinenser vom Arbeitsplatz, der sich im nächsten Dorf befindlichen Schule oder dem lokalen Arzt abschneiden.

Fast klinisch zeichnet der Autor nach, wie sich neue Rekruten, die wegen ihrer zivilisierten Handlungsweise von den Palästinensern sofort erkannt werden, allmählich in sadistische Maschinen verwandeln, die Passanten erniedrigen und misshandeln. Väter werden gedemütigt, bis sie weinend vor ihren Kindern zusammenbrechen, einem Behinderten wird das Gesicht zu Brei geschlagen. Die Soldaten entwickeln immer neue Schikanen: Um ihre Langeweile zu mildern, halten sie Palästinenser stundenlang und grundlos auf. Einige Soldaten zwingen sie, israelische Lieder zu singen, während andere ihre Ausweispapiere auf den Boden werfen, damit die Palästinenser sich vor den Soldaten bücken müssen. Grausame Militärangehörige urinieren auf ihre knienden Opfer, fotografieren sie in entwürdigenden Posen oder zwingen sie, sich wie Hunde hinzustellen und zu bellen. Diese Soldaten gelten mehr in der Kompanie, da ihre Methoden noch wirksamer sind bei der »Zähmung« der Palästinenser, deren Verhalten, sei es unterwürfiges Lächeln älterer Männer, sei es trotziges, jungenhaftes Hochschalten des Autoradios, für die Soldaten immer voraussehbarer und so verabscheuungswürdiger wird.

Die Erfahrungen am Checkpoint lassen Furers ziviles Leben nicht unberührt. Das Verhalten gegenüber den Palästinensern überträgt sich auf seine Beziehung und seine Freundin trennt sich von ihm. Erst einige Zeit nach seiner Entlassung, im weiten, fremden Goa, wurde Furer bewusst, was aus ihm, dem feinfühligen Absolventen des Kunstgymnasiums, geworden ist.

»Checkpoint Syndrome« ist nicht nur eine authentische und durch viele ähnliche Berichte gestützte Chronik. Furer beschreibt auch, wie sich sadistische sexuelle Phantasien seiner bemächtigen, etwa die Vorstellung, eine palästinensisch gekleidete Frau zu vergewaltigen und zu töten.

Ist er pervers oder ist es die Situation, in die das Militär ihn gestellt hat? »Checkpoint Syndrome« hat in Israel heftige Diskussionen ausgelöst. Ein Kommentator vertrat die Ansicht, man solle den Autor als Kriegsverbrecher vor Gericht stellen, andere Rezensenten nahmen das Buch zum Anlass, die Besatzungspolitik zu diskutieren.

Eindrücke von der anderen Seite der Checkpoints gibt der Band »Cappuccino in Ramallah«, ein Tagebuch der palästinensischen Architektin Suad Amiri. Auf Arabisch geschrieben und ins Hebräische übersetzt, hat dieser humorvolle, erfrischende Bericht, der sich keiner gewaltsamen Bilder bedient und von der Sehnsucht einer urbanen Mittelklassefrau nach Normalität erzählt, die Herzen zahlreicher urbaner, aufgeklärter Israelis erobert, die ansonsten entweder nichts über das Leben der Palästinenser wissen wollen oder durch die zahlreichen Hindernisse am direkten Kontakt mit der anderen Seite gehindert werden.

Viele israelische Leser können sich mit Amiri identifizieren, denn »Cappuccino in Ramallah« beschreibt den Versuch, inmitten des Irrsinns den Verstand zu bewahren. Als Amiri eines Nachts von den Motorgeräuschen der Panzer aufgeweckt wird, bereitet sie sich einfach einen Cappuccino zu, um mit dem Geräusch der Espressomaschine das Lärmen der Militärmaschinerie zu bekämpfen.

Das Umgehen von Straßenabsperrungen, scharfzüngige Wortwechsel mit Soldaten, Angst, Mangel, Ungewissheit, nicht ganz logische Hoffnungen und viel Verzweiflung: Das sind die Materialien, aus denen dieses grandiose Buch besteht. Das Tagebuch beschreibt die Zeit vom 4. bis zum 11. September 2001. Es umfasst sieben Tage eines Lebens in einer Ausnahmesituation, die wir zweite Intifada nennen, die ihrerseits den traurigen Gipfel einer fast vierzig Jahre dauernden Ausnahmesituation namens Besatzung darstellt.

Die Stärke von »Cappuccino in Ramallah« besteht darin, dass Amiri sich mit dem Alltäglichen befasst. Was machen, wenn ein Ausgehverbot ausgerufen wird? Wie entsorgt man dann den Müll? Wann werde ich meinen Mann, der seit Tagen Jerusalem nicht mehr verlassen kann, wiedersehen? Wie helfe ich der greisen Verwandten, die ohne Medikamente und Essen allein geblieben ist?

Als Amiri ihre Schwiegermutter zur Eile gemahnt, da diese ihr gefährdetes Haus verlassen muss, weigert sich diese mit der Begründung, sie müsse doch erst genau wissen, was sie mitnehmen muss. Auf den Einwand, es ginge doch nur um wenige Tage, antwortet sie, das habe sie schon damals gehört, als sie ihr Haus in Jaffa verlassen mussten, und dieses Haus habe sie nie wieder gesehen.

Trotz des Elends hat Amiri ihren Humor nicht verloren, ihre feine Ironie, jene letzte Verteidigung der Unterlegenen. An ihre israelischen Leser gewandt, schreibt sie: »Ich werde euch eines Tages vielleicht verzeihen, dass ihr uns zu einem 42 Tage langen Ausgehverbot verdonnert habt, doch ich werde euch nie verzeihen können, dass ihr mich dazu gezwungen habt, meine Schwiegermutter in dieser Zeit, die mir wie vierzig Jahre vorkam, in unser Haus aufzunehmen.«

Tsafrir Cohen wuchs in Israel auf und arbeitet für hebräische und deutschsprachige Medien. Er lebt in Berlin.

Liran Ron Furer: Tismonet Ha’Machsom / Checkpoint Syndrome, Gwanim Verlag, Tel AvivSuad Amiri: Cappuccino in Ramallah – War Diaries, Babel Verlag, Tel Aviv (Hebräisch)