Im Osten die Westbank

Ein Zaun soll den Israelis Sicherheit bringen. Abseits der Grenzen von 1967 bedeutet er schwere Einschnitte für die Palästinenser. Eindrücke von jenseits der Grünen Linie

Hüben und drüben

Stimmengewirr, Rufe, Hupen und Motorengeräusche dringen gedämpft zu uns herauf. Man sieht Menschentrauben und Autoschlangen, durch die sich ein israelisches Militärfahrzeug drängelt. Da unten liegt der Qalandiya-Checkpoint auf der Straße von Jerusalem nach Ramallah, das weit hinten am Horizont zu erahnen ist.

Wir befinden uns in der so genannten Twilight Zone, zwischen zwei Checkpoints, in einem Gebiet, das nicht mehr zu Ostjerusalem gehört, wo aber die dortigen Gesetze gelten. Palästinenser, die hier wohnen, müssen einen israelischen Pass besitzen, bekommen aber keinen. Ohne einen solchen hat man an den Checkpoints Schwierigkeiten. Jüdische und palästinensische Wohngebiete wechseln sich ab, sind manchmal auf den ersten Blick nur an den Wassertanks auf den Dächern zu unterscheiden: Die palästinensischen Haushalte werden nicht von den Jerusalemer Wasserwerken versorgt und haben schwarze statt weiße Wassertanks.

Nach dem Checkpoint stößt die Mauer von links schon fast bis an die Ramallah Road, acht Meter hohe Betonblöcke reihen sich aneinander. Vor der Straßensperre verläuft eine Siedlerstraße, die auf beiden Seiten gesichert werden wird. Die Mauer, Teil der von Israel geplanten »defensiven Maßnahme« gegen Selbstmordanschläge, soll an dieser Stelle ein palästinensisches Flüchtlingslager von der jüdischen Siedlung auf dem Hügel daneben trennen. Der Checkpoint wird verschwinden, denn in der Mauer ist hier keine Öffnung vorgesehen.

Hinter uns liegt der palästinensische Ort Ar Ram. Am Himmel fliegt ein Drachen in den Farben der palästinensischen Flagge. Wer von dem Ort künftig zum Flüchtlingslager möchte, muss statt der fünf Minuten Fußweg fast 30 Kilometer auf sich nehmen, über Ramallah. Ein Gebiet, in dem 65 000 Menschen wohnen, wird nahezu von der Mauer umschlossen sein. »Das ist nicht nur eine Mauer, die trennen soll. Sie ist ein Herrschaftsinstrument«, sagt Niv vom Israeli Committee against House Demolition.

Er ist als Kind häufig nach Ostjerusalem gekommen, zum Beispiel zum Einkaufen. Das mache heute fast niemand mehr. »Viele jüdische Israelis glauben ernsthaft, man würde dort geschlachtet.« Während viele Palästinenser in seinem Alter, um die 30 Jahre, Hebräisch sprechen, hätten die Jugendlichen heute keine gemeinsame Sprache mehr. »Die Mauer ist längst da, zumindest in den Köpfen«, sagt Niv.

Und wenn die Mauer auf der Grünen Linie gebaut und keine Häuser dafür zerstört würden? »Am liebsten würde ich sagen: Ich bin gegen alle Mauern und Grenzen«, sagt Niv. »Aber man muss auch realistisch sein. Die meisten Israelis wollen mehr Sicherheit.«

regina stötzel

See no Arabs, forget the Arabs

»Wir könnten uns schon jenseits der Grünen Linie befinden, aber man kann das nicht genau sagen. Es gibt keine Schilder, die zeigen, wo die Westbank beginnt.« Dorothy fährt uns auf dem Highway 5, der nördlich von Tel Aviv beginnt und zur israelischen Siedlung Ariel in der Westbank führt. »Das nennen wir die Siedlerstraße«, sagt sie. Auf dem Highway 5 dürfen nur israelische Autos fahren, um die umliegenden Dörfer zu erreichen, brauchen die palästinensischen Bewohner dieser Gegend eine Sondergenehmigung für die Autobahn, oder sie müssen zu Fuß über den Highway laufen bzw. über holprige Landstraßen Umwege fahren.

Straßenschilder gibt es auf dem Highway 5 nur für die israelischen Siedlungen, die palästinensischen Dörfer sind nicht ausgeschildert.

»You see no arabs, you forget the arabs.« Das ist nach Dorothys Meinung das Ziel der israelischen Siedlungspolitik. Sie selbst braucht keine Straßenschilder. Seit Jahrzehnten besucht die gebürtige US-Amerikanerin und Initiatorin des Mas’ha Camp gegen den Sicherheitszaun regelmäßig den Bezirk von Salfit in der Westbank, um möglichst vielen Leuten zu zeigen, »wie die Palästinenser unter der Besatzung leben«. Dorothy ist 72 Jahre alt, aber sie sieht aus, als sei sie 20 Jahre jünger.

Im Bezirk von Salfit soll einer der umstrittensten Abschnitte des israelischen Sicherheitszauns errichtet werden, wie uns Dorothy erklärt. »Es gibt Dörfer, die zu zwei Dritteln umzäunt worden sind, die Menschen können sich nicht mehr frei bewegen. Ein banaler Besuch bei Verwandten im Nachbardorf ist für sie zu einer halben Weltreise geworden, vor allem für Frauen, die kein Auto fahren.« Die israelische Regierung legt Wert darauf, dass nur drei Prozent der Absperranlage aus Beton errichtet werden soll, der Rest aus einem circa 700 Kilometer langen Drahtzaun. Sie markiere keine Grenze und sei eine »vorübergehende defensive Maßnahme«, wird immer wieder betont.

»Es ist ein Mauer- und Zaunsystem, das sich schlangenartig durch die palästinensischen Gebiete zieht«, erklärt uns Sue von der Menschenrechtsorganisation International Women Peace Service, die wir in der kleinen Ortschaft Hares treffen. »Keiner kennt den genauen Verlauf des Zauns«, fährt Sue fort, »klar ist aber, dass er sich nicht an der Grünen Linie orientieren wird. Bereits 22 Dörfer in dieser Gegend sind zu Enklaven geworden.« Diese Dörfer wurden auf einem schmalen Landstreifen zwischen Zaun und Grüner Linie eingeschlossen, »sie sind praktisch unsichtbar geworden«, sagt Sue.

federica matteoni

Die Trutzburg

Prototypische Laubenpieper sind die jüdischen Siedler von Ariel, der zweitgrößten Siedlung in der Westbank, nun gerade nicht. Wichtig ist ihnen nicht der Besitz eines möglichst schnuckeligen Häuschens samt Bonsai-Olivenbaum im Vorgarten, ein Wohnsilo, eine Betontrutzburg reicht ihnen völlig. Schließlich geht es nicht um Idylle und Dorfromantik, sondern vor allem um eines: ums Prinzip. Egal wie hässlich die Bude ist, die man bezogen hat, Hauptsache ist, man hat von dem Recht Gebrauch gemacht, das der Staat Israel und der Zionismus den Siedlern ideologisch gewährleistet, nämlich als Jude überall in diesem Land sesshaft werden zu dürfen. Im Gegensatz zu den Siedlern in Hebron zieht es die meisten Bewohner jedoch weniger wegen des »Heiligen Lands« nach Ariel, sondern vor allem wegen der billigen Mieten. Besonders für Migranten aus Russland sind die Sozialwohnungen Ariels attraktiv.

Fährt man durch die Siedlung, in der 18 000 Menschen wohnen, was immerhin der Population einer deutschen Kleinstadt entspricht, fängt man ziemlich schnell an, sich auf die Suche nach Lebensqualität zu begeben. Die Siedlung ist kein organisches Gebilde, das städtetypische Merkmale wie etwa ein soziales Zentrum aufweist, sondern ein Wohnghetto, das auch gar nichts anderes sein will. Sauber ist es hier, steril und grau, als würde man hier zwar wohnen, aber nicht leben. Schließlich haben sich die Bewohner von Ariel zwar hier niedergelassen, arbeiten, einkaufen und ausgehen aber tun die meisten von ihnen im mehrere Kilometer entfernten Tel Aviv. Ariel erscheint letztlich wie eine weit nach draußen verlagerte Vorstadt Tel Avivs, die zumindest für klar denkende Jugendliche ein Albtraum sein dürfte.

Dennoch wird der diskutierte Rückzug der Siedlungen aus der Westbank Ariel nicht betreffen. Allein die schiere Größe des Ortes ist das beste Argument für seinen Erhalt. Noch ist jedoch nicht ganz klar, wie dieser gewährleistet werden soll, ob der Verlauf des Zauns so weit von der Grünen Linie abweichen soll, dass Ariel einfach komplett israelischem Gebiet zugeschlagen wird, oder ob ein gesonderter Sicherheitszaun um die Siedlung herum gezogen werden soll. So oder so, die verfehlte Siedlungspolitik Israels hat dazu geführt, dass ein Problem wie Ariel kaum noch auf eine befriedigende Weise gelöst werden kann.

andreas hartmann

Kleine Intifada

Von Plakaten lächelt Scheich Yassin auf uns herunter. Aus den Lautsprechern des Minaretts hält der Muezzin aggressive Reden. Wir stehen mit etwa 400 Palästinensern, darunter sehr viele Kinder, einigen internationalen Solidaritätsleuten und ein paar Kollegen von anderen Medien vor der Moschee in Asawija. Gleich soll eine Demonstration stattfinden gegen den Bau des Sicherheitszauns, der die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung Asawijas tatsächlich stark beeinträchtigt. Die Einwohner sind aufgebracht und demonstrieren seit Monaten fast täglich gegen den Zaun oder, wie sie sagen, die »Apartheidmauer«. Alles ist Routine. Fast jeder hält eine Zwiebel bereit und Staubmasken gegen das Tränengas, das die IDF jedes Mal massenhaft einsetzen. Eva, eine junge Anarchistin aus Berlin, bietet uns dazu noch Alkohol an zum Entfernen der Sonnencreme, und Essig, um das Tränengas zu neutralisieren. Besser ausgerüstet ist der AP-Fotograf. Er hat einen Helm und eine schusssichere Weste.

Organisiert wird diese tägliche kleine Intifada von der Fatah, sagt man uns, auch Leute von der Hamas seien dabei. Die Internationale Frauenorganisation IWPS und die Anarchists against the Wall gehören ebenfalls zu den Organisatoren. Es ist eine merkwürdige Koalition, die sich hier bildet. Seit vier Monaten fährt Eva jeden Tag aus dem mondänen Tel Aviv, wo sie lebt, in die staubige Westbank, um bei Aktionen mitzumachen. Warum sie dann nicht gleich dorthin ziehe, fragen wir. Sie erklärt, dass ihr das »zu krass« sei. Als Frau dürfe sie hier ja nicht mal laut lachen. Dass sie mit Leuten gemeinsame Sache macht, die genau so eine »krasse« Gesellschaft wollen, ist für sie tatsächlich ein Problem. An ihrem Engagement ändert das jedoch nichts.

Dann geht alles sehr schnell und wie inszeniert vonstatten. Die Demonstration setzt sich in Gang. Nach ein paar hundert Metern biegt die Spitze des Zuges um eine Ecke, wo die IDF die Bauarbeiter, die dort an dem Zaun arbeiten, beschützen. Sofort schießen die Soldaten Tränengaspatronen ab, und die Demonstranten rennen im Laufschritt wieder zurück. Damit ist die Demo auch schon wieder vorbei.

An diesem Tag sollen etwa 15 Palästinenser von Gummigeschossen leicht verletzt worden sein, die IDF bestreiten das. Wir können das nicht sehen, weil wir uns weit hinten befinden, beobachten jedoch, wie etwa so viele Leute in Privatautos und Krankenwagen unter riesigem Trara weggefahren werden. Eine alte Frau klagt laut, und ein offenbar extra für die Presse zuständiger Dolmetscher erklärt uns unaufgefordert, dass sie sage, man habe ihnen erst das Land genommen und jetzt nehme man ihnen auch noch die Söhne. Auf unsere Frage, ob ihre Söhne zu den Verletzten gehören, wird uns gesagt, dass sie nicht ihre eigenen Söhne meine, sondern dass das allgemein zu verstehen sei. Am nächsten Tag ist in den bürgerlichen Medien ebenso wie bei Indymedia von schweren Auseinandersetzungen im Westjordanland die Rede.

ivo bozic