Schafft eine, zwei, viele Zeitungen

in die presse

Älteren Lesern der Jungle World wird die Geschichte bekannt vorkommen: Wenige Monate vor der israelische Staatsgründung 1948 gab es in der Redaktion der großen Tageszeitung Yediot Ahronot einen ideologischen Krach. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion machte sich Chefredakteur Esriel Carlebach, der einflussreichste und wohl auch beste Journalist des angehenden Staates, davon und gründete eine neue Tageszeitung: Ma’ariv. Mit Carlebach gingen zahlreiche Journalisten, Sekretärinnen, Drucker und Putzfrauen. Yediot schlitterte mit Mühe am intellektuellen und finanziellen Konkurs vorbei.

Seitdem gibt es in Israel zwei Zeitungen, die sich mit riesigen, emotionsgeladenen Überschriften täglich zu übertreffen suchen und deren Artikel dann doch immer wieder überraschend gut sind. Zwischendurch gab’s natürlich noch eine Menge anderer Zeitungen. So hatte jede Partei, und derer waren viele, ihr eigenes Blatt.

Der Superfriedensaktivist Uri Avnery schockte die prüden Israelis in den fünfziger Jahren mit nackten Frauen in seiner hebräischen Version des Spiegel. Hajom Hase (Dieser Tag) wollte in den Achtzigern eine israelische Bild sein.

Geblieben sind neben einem Haufen schlechter Einwandererzeitungen in (fast) allen denkbaren Sprachen, Yediot, Ma’ariv und Ha’aretz. Letztere ist der Senior und schreibt den eigenen Namen ganz wie die FAZ in Frakturschrift. Man titelt betont nüchtern; »Rabin ermordet« gehörte zu den anrührenderen Überschriften der letzten Jahre. Ansonsten ist man vor allem seriös und dagegen. Menachem Begin hatte Recht, als er sagte, »die letzte Regierung, die Ha’aretz unterstützt hat, war das britische Mandat«.

Ihre leidenschaftliche Liebe zur Meinungsvielfalt macht Ha’aretz im Ausland für Anti- und Philosemiten zugleich so wunderbar zitierbar. Yediot will sich, um Missbrauch vorzubeugen, nicht übersetzen lassen. »Auf Hebräisch erreichen wir jeden, für den unsere Informationen wichtig sind«, meint der Geschäftsführer. Das ist eigentlich ein schöner Ansatz. Erschiene es auf Aramäisch, könnte man das auch vom Siedlerblatt Nekuda behaupten.

michael borgstede