Schlimmer geht’s nimmer!

Wer Trash will, kriegt Hetze und Dummheit im Fernsehen geboten. von jörg sundermeier

Der so genannte Trash ist der beschädigende Blick von Beschädigten auf Beschädigte. Zuschauerinnen und Zuschauer, die sich bei Talk-, Reality- oder Blödelshows über die amüsieren, die das Format vorführt, amüsieren sich über ihresgleichen. Wenn man Trash sehen will, muss man nur um die Ecke gehen, schon findet man Dummheit zuhauf.

Doch den Freunden des Trash genügt das nicht, sie finden das beschädigte Leben nur in der Vermittlung interessant. War Trash-Humor einst, also Anfang der achtziger Jahre, noch Teil eines subversiven Vorgehens gegen bürgerliche Normen und Gewissheiten, so ist Trash nun, nachdem die bürgerliche Klasse sich überlebt hat, zum kulturellen Ausdruck der herrschenden Ideologie geworden.

Trash ist, wenn man so sagen darf, die Postkultur im postbürgerlichen Zeitalter, und sie ist voll und ganz auf die postbürgerlichen Bedürfnisse zugeschnitten – kommt er zum einem dem Spieltrieb entgegen, indem er vorgibt, Travestie und Spiel zu befördern, ist er andererseits restriktiv, da er das Subjekt ins Gefängnis der Vereinzelung zwingt. Der Effekt ist an jedem Tag in jedem deutschen Feuilleton zu beobachten, in jedem deutschen Fernsehstudio, in jedem Radiosender.

Nehmen wir ein Beispiel: eine Unzahl der Redakteurinnen und vor allem Redakteure entwickelten angesichts der Nobelpreisverleihung an Elfriede Jelinek einen unkontrollierten Beißzwang und beschimpften Autorin und Nobelpreiskomitee aufs Heftigste. »In einem englischsprachigen Land wäre eine derartige Verletzung der Anstandsregeln, eine solche Umgehung der journalistischen Basics kaum vorstellbar«, stellte Ina Hartwig dazu in der FR fest.

Viele dieser Bissigen scheuten sich in den letzten Jahren nicht, freimütig zu bekennen, dass sie sich gern all das anschauten, worüber »die Fernsehnation« spricht, »Big Brother«, »Dschungelcamp« etc. Das galt vor wenigen Jahren noch als schmuddelig, unfein und dumm. Nun aber, wo man sich freimütig dazu bekennt, locker mit dem Billigen umgehen zu können, ist das Edle nichts mehr wert; deshalb lässt der frühere Kulturbürger seine Wut an dem aus, was er nicht mehr verstehen mag.

In heiterer Folge werfen sich daher die deutschsprachigen Bühnen dem Boulevard um den Hals, Bücher brauchen grelle Themen und kein Sprachgefühl mehr, die Malerei muss gar kein handwerkliches Können verlernen, da sie sowieso nur noch mit Buchstaben und Parolen arbeitet. Und all das ist schon zum Zeitpunkt seiner Produktion wertlos, allerdings durch die Grellheit und die Schamlosigkeit seiner Effekte zumindest kurzweilig. Befriedigend ist es in keinem Fall. Belehrend oder erbaulich, um mal in die Aufklärung zurückzugreifen, darf es jedenfalls nicht sein.

Vor diesem Hintergrund ist die Aufregung über antisemitische Witze bei »Big Brother« nicht recht nachzuvollziehen. Selbstredend sind diese Witze widerlich, doch in einem Milieu, in dem Tabus als Spaßhemmer angesehen werden, sind sie nicht verwunderlich. Derartige Witze werden sogar gefordert; im Gegensatz zu homophoben, rassistischen und sexistischen Witzen werden antisemitische Witze allerdings strafrechtlich sehr hart verfolgt. Das ist gut. Für die anderen, in diesem Sendeformat und bei diesem Sender gern gesehenenen Anzüglichkeiten wünscht man sich oft das Gleiche.

Es sind nicht nur die Menschen, die sich selbst herabwürdigen lassen, die in solchen Sendungen ausgestellt werden, auch die Zuschauerinnen und Zuschauer werden ausgestellt.Beschädigte betrachten hier Beschädigte, und sie werden bei der Betrachtung daran gewöhnt, dass sie weiter beschädigt werden dürfen. Es ist eine Einübung. Für den Verkauf aller Würde wird sekundenlanger Starruhm gewährt.

Wenn die »Big Brother«-Macher nun ankündigen, eine »Stadt« nach dem Vorbild der »Truman Show« zu bauen, in der vornehmlich Arbeitssuchende für Jahrzehnte auf nur 4 000 Quadratmetern eingesperrt werden sollen, dann sollte jeder, der das lustig finden will, das Ende des Films beachten, der für die Idee Pate stand.

Als sich Truman selbst aus dem Gefängnis befreit, stehen Lohnabhängige an ihrem Arbeitsplatz vorm Fernseher und jubeln. Dann aber werden sie sich wieder brav ihrer Arbeit zuwenden. Hier ist selbst die Befreiung nur noch Inszenierung, Freiheit nur noch ein Kamerabild.

Dass sich Leute vorm Fernseher und vor der Kamera zum Paria machen lassen, ob nun freiwillig oder nicht, ist keinesfalls komisch.