Klirrende Weihnacht

Ein Folterskandal weckt in Griechenland Erinnerungen an die Zeit der Militärdiktatur. Dafür besuchen griechische Autonome schon mal das Polizeirevier, in dem Flüchtlinge gefoltert wurden. von harry ladis, thessaloniki

Polizeiliche Aufgaben delegierten die alten Athener gerne an Einwanderer. Sie selbst hielten, wie Friedrich Engels bemerkt, diese Arbeit für außerordentlich entwürdigend, so dass sie sich lieber von Fremden schlagen ließen, als selbst diese Tätigkeit auszuüben. Mit derlei Imageproblemen muss die Polizei im heutigen Griechenland nicht kämpfen, der griechische Polizist von heute sieht trendy aus und wird gesellschaftlich anerkannt und geschätzt. Doch nun belastet ein jüngst bekannt gewordener Folterskandal das Ansehen der griechischen Polizei.

Am 13. Dezember stürmten Beamte aus einem zentralen Athener Polizeirevier ein Asylbewerberheim. Die Polizisten suchten Informationen über einen illegalen afghanischen Flüchtling, der einige Tage zuvor ohne Papiere verhaftet worden war, aber einer Abschiebung durch eine Flucht entkommen konnte. 40 afghanische Asylbewerber, darunter auch einige Minderjährige, wurden dazu gezwungen, sich nackt auszuziehen, sie wurden verprügelt, mit eiskaltem Wasser bespritzt, an den Zehengliedern mit Stöcken geschlagen und psychisch wie sexuell misshandelt. »Die haben mich zum Untergeschoss der Polizeistation geführt und mich mit Gummischläuchen und Gürteln gepeitscht. Das muss über eine Stunde gedauert haben, wobei sie mich auch mit ihren Handys fotografiert haben«, berichtet verängstigt ein 19jähriger Afghane.

Die Misshandlungen dauerten weitere zwei Tage an. Im Revier, wohin einige Afghanen gebracht wurden, fanden sogar Scheinhinrichtungen statt. Außerdem wurden den inhaftierten Flüchtlingen Pistolen und Knüppel in die Hintern und in den Mund gesteckt. Nach dem Vorbild der US-Marines vergaß man dabei nicht, auch die Grausamkeiten mit Handykameras zu fotografieren.

Trotz Drohungen der beteiligten Polizisten wandten sich die Flüchtlinge an Nichtregierungsorganisationen, die die Vorfälle publik machten. Medizinische Gutachten bestätigen die Vorwürfe, die die Afghanen gegen die Beamten erheben.

Der Polizeiapparat versuchte zunächst, die Tatsachen zu vertuschen. Gegenüber dem ermittelnden Staatsanwalt wurde glatt gelogen und erklärt, die Afghanen wollten keine Anzeige erstatten. Erst durch den persönlichen Besuch des Staatsanwalts im Heim wurden Anzeigen ermöglicht. Zwei Polizisten sind mittlerweile von ihren Opfern identifiziert worden. Damit eröffnet sich erstmals die Möglichkeit, dass griechische Polizisten wegen Folter verurteilt werden. Das ist zwar seit 20 Jahren rechtlich möglich, dazu gekommen ist es jedoch bislang nie.

In der Öffentlichkeit sorgen die Folter und ihre näheren Begleitumstände für großen Unmut. Schließlich wecken diese Berichte die noch lebendigen Erinnerungen an die Methoden der EAT-ESA, der verhassten polizeilichen Verhörabteilung in der Zeit der Militärdiktatur (1967 bis 1974). Außerdem legen solche Vorfälle Parallelen zu den USA nahe, was einer vermeintlich demokratischen und weitgehend antiamerikanischen Wählerschaft nicht unbedingt gefällt. Deshalb bemüht sich der Minister für öffentliche Ordnung, Giorgos Voulgarakis, der für die Polizei zuständig ist, um Schadensbegrenzung: Bei dem Athener Skandal handle es sich um einen Einzelfall, der bedauerlicherweise dem Ansehen der Polizei schade. Die Ereignisse würden aufgeklärt und die Täter bestraft.

Zwei Tage vor Weihnachten eskalierte die Situation, als in der Hafenstadt Patras ein Geschworenengericht einen Polizisten von dem Vorwurf freisprach, 1998 eine ukrainische Frau vergewaltigt zu haben. Der Angeklagte konnte nur in Begleitung seiner Kollegen den Gerichtssaal verlassen, die ihn vor den empörten linken und feministischen Prozessbesuchern schützten. Nach einer Revision und einer Berufung war der Freispruch das dritte Urteil in diesem Aufsehen erregenden Fall.

Die Botschaft war klar: Polizeiliche Verbrechen bleiben unbestraft. Erwähnenswert ist, dass der Freispruch auch mit den Stimmen von Schöffen ermöglicht wurde. In einer Männergesellschaft, in der tausende osteuropäische Frauen als rechtlose Prostituierte leben, hat man offenbar viel Verständnis für einen Polizisten, der mal über die Stränge schlägt.

Das Urteil gab den griechischen Linksradikalen den Rest: An Heiligabend stürmten rund 100 zornige Anarchisten und Autonome das berüchtigte Polizeirevier im Athener Stadtzentrum, in dem die Flüchtlinge gefoltert worden waren. Die alte Parole »Bullen, Schweine, Mörder« skandierend, schmissen sie die Scheiben ein und demolierten Polizeiautos, die überraschten Polizisten mussten sich in einem Hinterzimmer verbarrikadieren.

Bei der Aktion blieb jedoch ein Gefangener zurück. Ihm wird neben Sachbeschädigung und Waffenbesitz auch Brandstiftung vorgeworfen, obwohl bei der Aktion nur Rauchbomben zur Deckung des Rückzuges benutzt wurden. Die Polizei hat sogar vorgeschlagen, bei ihm das Antiterrorgesetz anzuwenden, was eine neue Qualität der Repression bedeutet hätte. Weil die Polizisten sich damit nicht durchsetzen konnten, nahmen sie den Mann selbst in die Mangel. Im Fahrstuhl der Polizeizentrale wurde er verprügelt, wobei ihm die Nase gebrochen wurde.

Die offizielle polizeiliche Mitteilung lautete, dass der Autonome von empörten Bürgern geschlagen worden sei. Doch auch die Misshandlung im Fahrstuhl erinnert an die Zeiten der EAT-ESA.

Trotzdem fand die Geschichte ein vorläufig gutes Ende: Vergangene Woche wurde der inhaftierte 29jährige dem Haftrichter vorgeführt, der ihn unter Auflagen entließ und ihm die Untersuchungshaft ersparte, was die mehr als 300 Zuschauer im Athener Landgericht mit großen Jubel begrüßten. Tags zuvor war in ganz Athen plakatiert und in Thessaloniki die Makedonische Nachrichtenagentur für eine Stunde besetzt worden, um klarzumachen, dass es untragbar sei, wenn Aktivisten verurteilt werden und zugleich Polizisten straflos bleiben.

Ein Einzelfall aber ist der Folterskandal sicher nicht. Ob auf eigene Initiative oder auf Befehl – Polizisten können Ausländer schlagen, Zuhälterei betreiben und beim geringsten Anlass schießen, ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen. Vor und während der olympischen Fiesta waren Ausländer als billige und rechtlose Arbeitskräfte geduldet. Nun, nachdem das Fest vorbei ist, geht man wieder zurück zu den Abschiebungen, Demütigungen und Misshandlungen. Bis sich vielleicht einige wehren.