Erosion der Visionen

Atomkraft und Atomwaffen von jörn schulz

Robert Oppenheimer kam eine Zeile aus dem hinduistischen Bhagavad-Gita in den Sinn: »Ich wurde der Tod, Zerstörer der Welten.« Profaner äußerte sich der Physiker Kenneth Bainbridge: »Jetzt sind wir alle Hurensöhne.« Ganz wohl war den Wissenschaftlern nicht, als sie am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexico den ersten Atompilz beobachteten. Viele hatten sich nur an am Bau der Atombombe beteiligt, weil sie die Notwendigkeit sahen, den Deutschen zuvorzukommen.

Nach dem Sieg über Deutschland und Japan galt die Atombombe als willkommenes Mittel, um den Einfluss der Sowjetunion zurückzudrängen. Doch selbst gestandenen Antikommunisten war die Zerstörungskraft der neuen Waffe unheimlich. Die Atomkraft hatte ein Imageproblem. Der US-Präsident Dwight D. Eisenhower propagierte deshalb 1953 vor der UN-Generalversammlung das Programm »Atome für den Frieden«.

Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits hunderte von Atombomben, aber kein einziges kommerzielles Atomkraftwerk. Alle nuklearen Technologien dienten zunächst militärischen Zwecken. Die Entwicklung der von ihren Befürwortern gern als »friedlich« bezeichneten Nutzung der Kernenergie war nicht allein eine Folge der propagandistischen Bemühungen Eisenhowers. Die militärische Nutzbarkeit der Atomenergie erleichterte es den Konzernen jedoch, sich die gewaltigen Subventionen zu sichern, ohne die die nukleare Stromerzeugung nie konkurrenzfähig geworden wäre.

Zu recht bezeichnet die Internationale Atomenergiebehörde IAEA, die ihre Gründung im Jahr 1957 der Initiative Eisenhowers verdankte, das Programm des US-Präsidenten als »Vision«. Es handelte sich um eine ideologische Absichtserklärung, die mit den technologischen Realitäten nichts zu tun hat. Diese Vision bestimmt bis heute die Atompolitik der Uno, die IAEA solle die Proliferation, die Verbreitung von Atomwaffen, verhindern, die zivile Nutzung der Atomkraft jedoch fördern.

Staaten wie der Iran, die sich Atomwaffen beschaffen wollen, wissen diesen Widerspruch zu nutzen. Die Errichtung auch militärisch nutzbarer Anlagen zur Urananreicherung oder Wiederaufarbeitung ist legal. Allein die Abtrennung von Plutonium und die Anreicherung von Uran über den für die Brennstäbe von Atomkraftwerken erforderlichen Grad von etwa drei Prozent sind Verstöße gegen internationales Recht. So kann ein Staat alle Voraussetzungen für die Produktion von Atombomben schaffen und dann den geeigneten Moment abwarten, um sich offiziell zur Nuklearmacht zu erklären.

Eben dies scheint die iranische Strategie zu sein. »Friedliche Atomkraftwerke in Deutschland und Japan können als gutes Modell für die Nuklearprojekte des Iran dienen«, erklärte Außenminister Kamal Kharrazi bei seinem Besuch in Deutschland im Februar. Nicht zufällig wählte Kharrazi das Beispiel zweier nuklearer Schwellenländer, die innerhalb weniger Monate Atomwaffen produzieren könnten.

Die derzeit propagierte »Renaissance der Atomkraft« würde zur Verbreitung nuklearer Technologien und Materialien in einer Vielzahl von Staaten führen. Die Experten der Uno und der IAEA überlegen fieberhaft, wie man die fiktive Trennung zwischen ziviler und militärischer Nutzung erhalten und zugleich die iranischen Ayatollahs und andere interessierte Kreise an der Herstellung von Atomwaffen hindern kann. Optimistisch sind sie nicht, ein UN-Bericht stellte Ende des vergangenen Jahres fest: »Wir nähern uns einem Punkt, an dem die Erosion des Nichtverbreitungsregimes irreversibel werden und zu einer Kaskade der Proliferation führen könnte.«