»Meine Generation ist verschwunden«

Dith Pran

Der US-amerikanische Krieg gegen Vietnam war auch für das benachbarte Kambodscha verheerend. Nach den jahrelangen Flächenbombardements durch die US-Armee, der Militärdiktatur und dem Guerillakrieg übernahmen am 17. April 1975 die Roten Khmer die Macht. Vier Jahre dauerte ihr Terrorregime. Auch Dith Pran litt unter Zwangsarbeit und Hunger und wurde Zeuge des wahllosen Tötens der Roten Khmer. Im Jahr 1979 gelang ihm die Flucht. Anders als zwei Millionen Kambodschaner überlebte Dith Pran die »Killing Fields«. Durch den gleichnamigen Film wurde seine Geschichte einem Millionenpublikum bekannt. Er lebt heute in den USA, arbeitet als Journalist für die New York Times und leitet das Dith Pran Holocaust Awareness Project. Mit ihm sprach Markus Ströhlein.

Wie werden Sie den 17. April 2005, den 30. Jahrestag des Beginns der Herrschaft der Roten Khmer, verbringen?

Der 17. April ist ein Sonntag. Das ist für mich als Journalist ein ganz normaler Arbeitstag. Ich möchte mein Leben nicht mehr an den Geschehnissen ausrichten. Das bedeutet natürlich nicht im Geringsten, dass sie mir gleichgültig sind. Zwei Millionen Menschen wurden umgebracht. Diese Menschen, die unglaublich gelitten haben und schließlich getötet wurden, brauchen Gerechtigkeit. Das muss der Welt gesagt werden. So etwas darf nie wieder geschehen. Nicht in Kambodscha und nirgends auf der Welt. Man muss auch zukünftigen Generationen vermitteln, dass es zu jeder Zeit Formen des Genozids geben kann.

Inwiefern dient das Dith Pran Holocaust Awareness Project dazu, Ihre Erfahrungen und Ihr Wissen zu verbreiten?

Ich halte Vorträge an Schulen und Universitäten. Ich versuche, Schülern und Studenten die Schreckensherrschaft der Roten Khmer zu erläutern. Meine Geschichte stößt auf großes Interesse. Ich beginne immer mit dem Film »Killing Fields«. Wenn die Leute den Film gesehen haben, ergeben sich die Fragen von selbst. Der Film scheint das Bedürfnis nach Bildern zu erfüllen. Mit Worten allein lassen sich die »killing fields« nur schwer beschreiben.

Für den Großteil der Welt wird der 17. April ein ganz normaler Tag sein. Gibt es überhaupt noch ein politisches Interesse an der Geschichte und der jetzigen Situation Kambodschas, oder ist das Land von der politischen Weltkarte verschwunden?

Glücklicherweise halten die Vereinten Nationen den Kontakt zur kambodschanischen Regierung aufrecht. In der Weltgemeinschaft empfindet man eine gewisse Verpflichtung, den Menschen in Kambodscha Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Natürlich dauert dies wegen der mittlerweile anderen Schwerpunkte in der Weltpolitik lange.

Wie sieht die Arbeit des Dith Pran Holocaust Awareness Project im Hinblick auf die gerichtliche Verfolgung der Roten Khmer aus?

Wir sehen es als unsere Aufgabe zu verdeutlichen, dass die Opfer der Roten Khmer immer noch auf Gerechtigkeit warten. Wir werden nicht aufgeben. Ich bin mir sicher, dass ich noch den Tag erlebe, an dem die Täter verurteilt werden. Auch ich möchte wissen, warum die Roten Khmer so viele Menschen getötet haben. Das ist für mich immer noch unverständlich.

Sie haben also die Hoffnung, dass die führenden Köpfe der Roten Khmer vor Gericht gestellt werden?

Ja, ich habe Hoffnung. Auch die kambodschanische Regierung, die selbst mit den Roten Khmern verstrickt war, versteht, dass es in ihrem Interesse ist, deren Führer zu verurteilen. Selbstverständlich sitzen in der Regierung ehemalige Rote Khmer. Aber die barbarischen Zeiten sind vorbei.

Welche Führungskader der Roten Khmer sind noch am Leben und könnten vor Gericht gestellt werden?

Die prominenteste Figur ist Khieu Samphan, der Präsident des Regimes der Roten Khmer. Daneben gibt es natürlich noch eine recht große Zahl nicht so bekannter Personen. Der Regierung und dem kambodschanischen Dokumentationszentrum sind aufgrund der Aktenlage alle wichtigen Personen bekannt. Ieng Sary, der Außenminister der Roten Khmer, gehört auch zum Kreis ihrer prominenten Vertreter. Solche Leute müssen vor ein Gericht. Sie müssen sich für ihre Taten rechtfertigen. Ich habe so viele Verwandte verloren. Ich habe drei Brüder und eine Schwester samt ihrer Familien verloren. Meine Eltern wurden ermordet, mehrere Onkel, mehrere Cousinen und Cousins. Und viele meiner Freunde. Meine Generation ist verschwunden.

Wann waren Sie zum letzten Mal in Kambodscha?

Zum letzten Mal war ich 1993 dort. Ich bin auch 1989 in Kambodscha gewesen, noch unter dem provietnamesischen Regime von Hun Sen. Es waren noch vietnamesische Truppen im Land. Damals wurde ich von Hun Sen empfangen. Natürlich war das ein politisches Spiel von ihm. Er wollte mir demonstrieren, dass sein Regime nicht die Fortsetzung der Politik Pol Pots betrieb. Er hat mich damals sehr wohlwollend empfangen, und wir haben einige Gespräche geführt. Aber ich bin kein Politiker. Ich sehe mich als Botschafter, der die Wahrheit über die Verbrechen der Roten Khmer verbreitet. Die politische und juristische Arbeit überlasse ich anderen. Nach 30 Jahren hat auch das Regime von Hun Sen verstanden, dass es der Welt und den Menschen in Kambodscha zeigen muss, dass es ihm mit der juristischen Verfolgung der Roten Khmer Ernst ist.

Gibt es in Kambodscha derzeit politische Kräfte, die in der Lage wären, das Land wirklich zu demokratisieren und die soziale Situation der Menschen langfristig zu verbessern?

Ich denke, die Regierung hat einige Schritte unternommen. Aber wie die meisten Länder der Dritten Welt hat auch Kambodscha ein riesiges Korruptionsproblem. Anstrengungen, zu demokratisieren und die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln, gibt es dennoch. Es gibt Versuche, das Verkehrs- und Kommunikationssystem aufzubauen. Außerdem hat man mittlerweile verstanden, dass der Tourismus sich zum stärksten Wirtschaftsfaktor für Kambodscha entwickeln könnte. Deshalb hat die Regierung das Land geöffnet und vor allem französischen Unternehmern erlaubt, im Tourismussektor einzusteigen. Ich habe immer noch Verwandte in Kambodscha. Ihre Berichte geben Anlass zur Hoffnung. Die junge Generation ist sehr westlich orientiert und möchte Demokratie. Natürlich ist die derzeitige Regierung in dieser Hinsicht alles andere als perfekt. Kambodscha ist erst seit 1993 eine Demokratie. Kambodscha macht immer noch seine ersten Schritte, das muss man akzeptieren. Die Roten Khmer haben Kambodscha zerstört. Heute ist das Land zwar immer noch arm. Aber es ist tausendmal besser als unter Pol Pot. Man braucht eben Geduld.

Gibt es für den Massenmord der Roten Khmer ein eigenes Wort in der kambodschanischen Landessprache?

Es gibt kein spezielles Wort für den kambodschanischen Genozid. Ein Wort, das den Schrecken dieser Zeit symbolisiert, ist »Angkar«. Es wurde als Begriff von den Roten Khmern eingeführt und bedeutet »die Organisation«. Es gab dieses Wort vorher nicht. In der Zeit der Roten Khmer war alles Eigentum von »Angkar«, also Eigentum der Partei oder des Politbüros. Kinder gehörten »Angkar«. Menschen gehörten »Angkar«. Alles gehörte »Angkar«. Wie gesagt, ein eigenes Wort für den Genozid gibt es nicht. Aber jedes Kind in Kambodscha weiß, was die »killing fields« sind. Kambodscha ist voller Reisfelder. Die Roten Khmer haben die Reisfelder in »killing fields« verwandelt.