Unser Tenno heißt Horst

Japan zelebriert ein »Deutschlandjahr«. Der Bundespräsident lächelt sich durchs fremde Land. von jörg sundermeier

Sie sind verrückt geworden. Die deutschen Konservativen funktionieren offensichtlich nicht mehr. Nichts mehr mit einem verhaltenen Nationalismus, einer gelassenen Marktradikalität, harter Erziehung und ruhigem Kirchgang. Im Gegenteil, die Hektik, das Frische und Moderne, es frisst sie auf. Innerlich. Ein gutes Beispiel für den Niedergang der Werteschützer stellt Heinrich Wefing dar, dem eine Liebeserklärung in die Tastatur tropfte, die die FAZ am Freitag prompt veröffentlichte: »Wenn Horst Köhler lächelt, verändert sich sein ganzes Gesicht. Es wird weicher und weiter, die Lippen teilen sich, und um seine Augenwinkel erscheint ein Strahlenkranz von Fältchen, ein wahres Delta von vielverzweigten Linien. Die erstaunlichste Veränderung aber geht mit den Augen selbst vor. Es ist, als schauten sie verwunderter in die Welt; es sind nicht mehr die Augen eines ernsten, konzentrierten Mannes, sondern eher die eines großen Buben, der, so scheint es, mit einem leicht amüsierten Staunen verfolgt, was um ihn herum geschieht: all die Kameras, die sich auf ihn richten, die Gesichter, die sich an ihn herandrängen, die ausgestreckten Hände; die Sonnenbrille, die ihm gereicht wird, ohne dass er danach fragen muss, und die Journalisten, die immer ganz genau wissen wollen, was er tut und sagt.« Darf man, wenn man ihn schon ernst nehmen will, so über seinen Präsidenten schreiben? Ihn sich quasi schreibend auf den Schoß setzen? Vielleicht darf man es nicht nur, vielleicht muss man es sogar. Denn man kommt in ihm zu sich und bleibt mit sich eins, wo immer man wandelt.

Auch in Asien. Anlass für die merkwürdige Geschichte der FAZ vom Präsidenten als Buben ist Köhlers Aufenthalt in Japan. Das »Deutschlandjahr« soll helfen, die deutsch-japanischen Beziehungen zu verbessern. Während den Japanern ein wenig Kultur vorgeführt wird, also einige Exponate von der Museumsinsel oder ein paar der »Buddy-Bären«, die bereits die Stadt Berlin arg verunstaltet haben, bekommt der deutsche Wirtschaftskapitän an weniger öffentlichen Orten Zahlen vorgelegt. Diesen nüchternen Vorgang zu verschönern, so erkennt es auch Wefing irgendwann trotz all des Lächelns und der Liebe, ist Köhlers eigentliche Aufgabe in Japan. Er verbindet im asiatischen Kaiserreich Aufklärung (Demokratie!) mit Landesinteressen. »Köhler ist kein Bürgerkönig, kein Ersatzmonarch. Eher der oberste Standortwerber der Republik. Der allerhöchste Wirtschaftsförderer.«

Wefing geht, wie vielen anderen auch, das Tamtam um den Tenno auf die Nerven, der Aufregung schon dann provoziert, wenn er noch gar nicht da ist, sondern erst noch auf dem Weg ist, dieweil der deutsche Präsident nicht nur nicht ernst genommen wird, sondern auch noch protokollarisch misshandelt wird: »Keine Ehrenkompanie bei der Landung am Flughafen, weder Nationalhymne noch Fahnen im Wind, nicht einmal Blaulicht und Straßensperren auf dem Weg ins Hotel.« Unser Vertreter ist halt kein König. Doch wir sind auch im Ausland immer die Ersten und bitteschön auch so zu behandeln.

Köhler jedenfalls meistere die Unbilden und setze sich tapfer für das deutsche Image in Szene. Das allerdings ist schwierig. Denn zwar gebe es, Wefing zufolge, »in Japan eine traditionelle Grundsympathie für Deutschland, immer noch genießt, jedenfalls in der älteren Generation, der Dreiklang von Bach, Beethoven und Baumkuchen tiefe Bewunderung«. Doch mit Westernhagen, Westbam und Westfalenhalle lässt sich heute bei den jüngeren Japanerinnen und Japanern nicht mehr allzu viel reißen.

Der allerhöchste Wirtschaftsförderer stellt sich daher einer großen Aufgabe, sagt Wefing. »Deutschland nicht nur als Heimat der Klassiker vorzuführen, sondern auch als ›junges Land mit Elan und Ideen‹, innovativ eben, modern, irgendwie sexy, aufregend für die Jugend, ist daher ein strategisches Ziel des Deutschlandjahres. Ausdauernd wirbt Köhler also für Berlin, eine der attraktivsten Metropolen der Welt, ›wie ich finde‹, in deren Szeneviertel sich auch japanische Nachwuchskünstler und Designer wohl fühlen sollten.«

Nun ist Köhler gemeinhin ein Politiker, der als »sexy« gilt, weil sein mittelmäßiger Anzug sitzt, was keine geringe Leistung ist, wenn man sich den Rest der deutschen Volksvertreter anschaut. Doch die Bilder, die die Agenturen aus Japan schickten, zeigen einen grinsenden Biedermann, der sich der Teezeremonie wie ein ungeschickter Tourist widmet, dessen Begeisterung für japanische Sitten schlecht gespielt ist und der erst lockerer wird, wenn er sich mit Japans Ministerpräsidenten, Junichiro Koizumi, vor einem der fürchterlichen Buddy-Bären fotografieren lässt. Auf einem solchen Foto allerdings wirkt Koizumi verloren, weder weiß er, warum man ihm diese bunte Plastik ins Land gebracht hat, noch ahnt er, warum sich Deutschland nicht schämt, sich mit derartigem Müll zu präsentieren.

Maskottchen beherrschen, so war es offensichtlich der Wille der Deutschen, das »Deutschlandjahr«. Ein Logo, mit dem man das japanische Publikum heimsucht, ist das der »Sendung mit der Maus«. Henrik Schmiegelow, der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Japan, hofft vermittels dieses »neueren und frischeren Deutschlandbildes« die »traditionell sehr guten Beziehungen« beider Länder verbessern zu können.

Für die Deutschen ist der Japaner schon längst nicht mehr der getreue Weltkriegskamerad, der den Ami noch attackierte, als der Führer schon tot und die weiße Flagge im Reich gehisst war. Heute ist Japan das Land der unergründlichen Lächler, die ein bisschen blöde über den Potsdamer Platz oder durch Heidelberg stolpern, die Elvis zwar imitieren, doch dabei nur »niedlich« aussehen, die Autos bauen, die billiger und vielleicht sogar besser sind als die deutschen, die sich dem Stresstod hingeben und an Unterwäsche schnüffeln.

Dass man sich in Japan derart kindisch in Szene setzt, liegt jedoch nicht daran, dass Deutschland dem Land gegenüber nicht aufgeschlossen wäre – nein, die Maus, die Bären, der Fußball und all der ganze andere Krempel, mit dem Japan im »Deutschlandjahr« überhäuft wird, ist ja tatsächlich, was die Deutschen an sich mögen. Von einer Infantilgesellschaft ist nicht zu verlangen, dass sie sich den internationalen bürgerlichen Gepflogenheiten anpassen kann. Wir lieben nun mal unseren Blödsinn, wollen wir Japan entgegenschreien, und, ja, wenn man ernsthaft in Tokio, mit dem Wissen, dass Peking und Hongkong gleich um die Ecke sind, behauptet, dass Berlin »eine der attraktivsten Metropolen der Welt« sei, dann meint man das wohl tatsächlich.

Die Gastgeber sind höflich, lassen das Spektakel über sich ergehen und kaufen vielleicht das eine oder andere Wirtschaftsprodukt. Köhler aber wird, wenn er mit seinem Hofberichterstatter Wefing heimkommt, von einem seltsamen Land schwärmen. Für ihn wie für das von ihm vertretene Volk bleibt vorerst alles, was sich schon im 21. Jahrhundert befindet, »exotisch«. Die Konservativen haben noch immer den Kolonialistenblick, sie bewegen sich noch immer in Anzügen, doch ist es wohl das »Moderne« an ihnen, dass sie absolut nicht mehr wissen, warum.