Captain Future

Nach dem Ende der Wahlen im Libanon wird Saad Hariri, der Sohn des kürzlich ermordeten Premiers, als neuer Premierminister gehandelt. Aber die Serie von Mordanschlägen geht weiter. von alfred hackensberger, beirut

George Hawi dachte nie daran, dass er das Ziel eines Anschlages werden könnte. Noch in der Nacht vor seinem Tod erstellte der ehemalige Generalsekretär der libanesischen KP mit einem alten Freund zusammen im Spaß eine Liste möglicher Opfer. »George kamen nur prominente Namen in den Sinn«, erzählt sein langjähriger Weggefährte Kareem Morue. »Mit sich selbst rechnete er nicht im Geringsten.« Wie schon beim Attentat auf den Journalisten Samir Kassir am 2. Juni wurde die Bombe unter dem Sitz des Autos versteckt und per Funk gezündet. Hawi befand sich auf dem Weg zum Treffen der Demokratischen Linken Bewegung.

»Natürlich war er gefährdet«, meint Ziad Majed, der Vizepräsident der Demokratischen Linken Bewegung. »Er war einer der Couragiertesten, der immer seine Meinung sagte, so unbequem sie auch sein mochte.« Mehrfach bekundete Hawi nach den Bombenanschlägen der letzten Monate öffentlich, dass er die Adresse der Attentäter kenne: Baabda, der Palast des Präsidenten von Emile Lahoud. Aber das dachten in letzter Zeit auch viele andere, die politisch wesentlich bedeutsamer sind. Hawi hatte kein politisches Amt inne und kandidierte auch nicht bei den Wahlen. Er war kein »antisyrischer Politiker«, sondern ein Kritiker des libanesisch-syrischen Sicherheitsapparates und seiner polizeistaatlichen Methoden.

Das Attentat auf den ehemaligen Generalsekretär ist seit Oktober 2004 der zehnte tödliche Anschlag. »Der syrische Sicherheitsapparat im Libanon funktioniert noch immer«, sagt Walid Jumblatt, der Vorsitzende der Progressiven Sozialistischen Partei. »Nach den demokratischen Wahlen will man die Sicherheit des Landes destabilisieren.« Aber dieses Erklärungsmuster ist gerade nach der Ermordung von Hawi, die kaum politische Logik und Motivation erkennen lässt, zur Phrase geworden. »Früher war Israel an allem schuld«, meint ein Geschäftsinhaber in Beirut abwinkend. »Heute ist Syrien der Sündenbock.«

Nach den jüngst beendeten, mehrwöchigen Parlamentswahlen ziehen die antisyrischen Slogans der Oppositionspolitiker nicht mehr. Im Zuge der Massendemonstrationen der vergangenen Monate, die nach 29jähriger Präsenz zum Abzug aller syrischen Truppen aus dem Libanon führten, hatten die Menschen große Erwartungen. Aber der Wahlkampf raubte ihnen alle Illusionen. Von ehernen Prinzipien war bei der politischen Oligarchie des Landes nichts mehr zu spüren. Im Gerangel um Parlamentssitze begann ein Handel wie auf dem Pferdemarkt. Aberwitzigste Koalitionen wurden gebildet, um Mehrheiten zu sichern. Saad Hariri, der Sohn des ermordeten Premierministers Rafik Hariri, bildete in Beirut die Märtyrer-Liste, die sich aus rechtsradikalen Forces Libanaises, der Phalange sowie der Hizbollah und den Progressiven Sozialisten zusammensetzte.

Von der Versöhnung alter Rivalen wurde gesprochen, aber gemeinsam fotografieren wollte man sich nicht lassen. Die Verhandlungen zwischen Walid Jumblatt und dem erst vor kurzem aus dem französischen Exil zurückgekehrten Michel Aoun über eine gemeinsame Liste scheiterten im Streit um die Anzahl der Mandate. Der 72jährige ehemalige General, der von Syrien nach Frankreich verbannt worden war, ging anschließend eine Koalition mit einem Gegner Jumblatts ein, Tala Arslan, einem langjährigen Verbündeten der Syrer.

Die christlichen Wähler im Mount Lebanon verübelten dies Aoun nicht. Der einstige General gilt als einziger nicht korrumpierter Politiker, der die alten politischen Eliten herausfordert. Besonders populär war seine Ankündigung, alle Staatsausgaben seit 1992 zu überprüfen, um der Korruption auf die Spur zu kommen. Seine Patriotische Freiheitsbewegung errang 15 Mandate, sein prosyrischer Listenkollege bekam sechs. Dennoch ist die Politikverdrossenheit wegen des widersprüchlichen Taktierens der Politiker wieder genauso groß wie früher. Die Wahlbeteiligung lag insgesamt bei rund 45 Prozent. In Beirut waren es sogar nur 29 Prozent der registrierten Wähler, die ihre Stimme abgaben.

Mit seinem unerwarteten Sieg im dritten Wahlgang machte Aoun den vierten und letzten regionalen Wahlgang im Nordlibanon interessant. Das Oppositionsbündnis um Saad Hariri hatte bisher 44 Sitze gewonnen und brauchte mindestens 21 weitere, um eine Mehrheit im Parlament zu haben. Eine Woche lang tourte der Milliardärsprössling im Norden des Landes und soll dabei insgesamt 35 Millionen Dollar ausgegeben haben. Aoun warf ihm vor, das »Bewusstsein der Wähler zu kaufen«. Angeblich wurde für eine Stimme 100 bis 500 Dollar bezahlt.

»Wahlen sind die Zeit des schnellen Geldes«, sagt Nizar Hamzeh, ein Politikwissenschaftler der Amerikanischen Universität in Beirut. Korruption bei den Wahlen sei beinahe Tradition im Libanon. »Es gibt kein Gesetz über die Wahlkampfausgaben. Folglich ist es keine Überraschung, wenn bestochen wird oder man Wählerstimmen kauft.«

Vor einigen Wahllokalen wurde gegen die Korruption protestiert. Auf Postern klebte ein 100-Dollar-Schein, darunter stand: »Damit können Sie meine Stimme kaufen.«

Saad Hariri wies indes die Bestechungsvorwürfe zurück: »Alles völlig aus der Luft gegriffen.« Aber schon sein Vater, Rafik Hariri, war dafür bekannt, rund 70 US-Dollar für eine Stimme zu zahlen. In Wahlkampfzeiten wurde auch regelmäßig das Schulgeld für Kinder an die Eltern gespendet. »Auch ich habe Schlange gestanden, um die 500 Dollar pro Kind zu kassieren«, erzählt eine seit 15 Jahren im Libanon ansässige Deutsche, die zwei schulpflichtige Kinder hat.

Der Nordlibanon galt bisher als Bastion der alten prosyrischen Haudegen Suleiman Franjieh und Omar Karami, des vorletzten Premierministers. Es ist schwer zu sagen, ob es an der ungewöhnlichen Allianz mit Aoun lag oder an der Korruption, dass alle 28 zu vergebenden Mandate an Saad Hariri gingen. Auf seiner Liste kandidierten recht angesehene Politiker der Opposition, darunter Elias Atallah, der Präsident der Demokratischen Linken Bewegung, der den einzigen Sitz für die erst kürzlich neu gegründete Organisation gewann.

Der 35jährige Saad Hariri wird bereits als neuer Premierminister gehandelt, obwohl er politisch vollkommen unerfahren ist. Aber er ist ein guter Geschäftsmann, der in den letzten zwei Jahren die Geschäfte seines Vaters führte und in dieser Zeit dem Familienbesitz von rund vier Milliarden Dollar einige Millionen hinzufügte. Mit dieser Qualifikation kann er sehr gut das »politische Erbe« seines Vaters antreten, der den Libanon wie ein Großunternehmen leitete und alle staatseigenen Betriebe privatisieren wollte.

Die Strukturen hat Rafik Hariri bereits geschaffen. Der Finanzberater und der Anwalt des Hariri-Imperiums sind die ehemaligen libanesischen Minister für Finanzen und Justiz. Der ehemalige Informationsminister ist der Vizepräsident von Saudi-Oger, einer der größten Hariri-Firmen, und das familieneigene Finanzunternehmen Groupe Mediterrane wird dem mit insgesamt rund 35 Milliarden Dollar verschuldeten Staat weitere Kredite in Millionenhöhe geben. Außerdem plant Saad Hariri, seine erfolgreiche Wahlliste zu institutionalisieren. Bald wird es neben seinem »Zukunftsfernsehsender« und der »Zukunftszeitung« auch eine »Zukunftspartei« geben.